p2b_477.001 Tragödie ausschließt, einen großen Spielraum. Es sind ja nicht Schicksalsmächte, p2b_477.002 gegen welche der Held kämpft, sondern die Schwächen seiner Mitmenschen, p2b_477.003 deren zufällig entgegenkommende Engherzigkeit oder deren zu benützende p2b_477.004 Thorheit. Er geht daher nicht über die Schranken des gewöhnlichen Lebens p2b_477.005 hinaus. Seiner Wirkungssphäre entsprechend führt er den Kampf mit List und p2b_477.006 Gewandtheit, mit Witz, Scherz und Laune. Die Lösung besteht nicht im Untergang p2b_477.007 der feindlichen Partei, sondern in deren Nachgeben, oder in Überlistung p2b_477.008 derselben, in Besiegung von Jntriguen.
p2b_477.009 Oft ist der Held selbst der Verkehrte und Verirrte; er unterliegt sodann p2b_477.010 von Rechtswegen und kehrt zur richtigen Vernunft zurück. Dieser Ausgang p2b_477.011 hat etwas Erheiterndes, Komisches, Humoristisches, Befriedigendes, indem er p2b_477.012 zeigt, daß das Jrrtümliche, Bornierte und Verkehrte endlich der Vernunftmäßigkeit p2b_477.013 und Natürlichkeit weichen muß. Witz, Jronie und jene feine Komik, p2b_477.014 die mit ihrem unverstellten Blick alle Situationen durchdringt, sind die wesentlichen p2b_477.015 treibenden Momente im Lustspiel. (Vgl. I 103 ff.) Aber der Witz p2b_477.016 und die Jronie müssen sich aus der Handlung ergeben. Nicht der bloße Wortwitz, p2b_477.017 der ja auch zuweilen seine Wirkung übt, ist es, sondern Gedankenhumor p2b_477.018 im Handeln, in Überlistung des Geschicks, Jronie im Bild, was den Charakter p2b_477.019 des Ungesuchten an sich trägt. (Man vgl. z. B. Falstaff von Shakespeare.) p2b_477.020 Am besten entsteht das Komische durch den Kontrast des Charakters mit der p2b_477.021 Situation.
p2b_477.022 Die Ungereimtheiten müssen von vernünftigen Wesen ausgehen, an wichtigen p2b_477.023 Dingen stattfinden und überraschend auftreten. Über den Stotternden wird p2b_477.024 man nur lachen, wenn er z. B. eine feierliche Rede halten wollte; über einen p2b_477.025 Zerstreuten, wenn er z. B. den Degen an der rechten Seite trägt; über alberne p2b_477.026 Redewendungen, die sich wiederholen, wenn der Redner sich für geistvoll hält; p2b_477.027 nicht aber über einen Geisteskranken &c. (vgl. I 102).
p2b_477.028 Das Lustspiel, indem es durch Witz und feine Komik das wirkliche Leben p2b_477.029 mit seinen Mängeln und Schwächen von seiner lächerlichen Seite darstellt, zieht p2b_477.030 dazu auch das Edle, Liebenswürdige und Gefällige der menschlichen Verhältnisse p2b_477.031 und der gesellschaftlichen Zustände in seinen Kreis. Komische Situationen müssen p2b_477.032 das Jnteresse der Handlung beleben, und wir müssen durch dieselben nach den p2b_477.033 Gesetzen des Kontrastes an die schönen Verhältnisse erinnert werden, deren p2b_477.034 Gegenteil sie sind.
p2b_477.035 Ein Unglück, welches dem Helden zustößt, muß als leicht zu lösende, "lächerliche p2b_477.036 Not erscheinen, die keine ernsten Folgen haben wird". Der Dichter hat p2b_477.037 eben die ergetzlichen Widersprüche geschickt zu verwerten, ohne sie auszugleichen.
p2b_477.038 Wenn er sie wirklich ausgleicht, wenn die Thoren vernünftig, die Schlechtgesinnten p2b_477.039 gebessert, oder im tragischen Sinne bestraft werden, so ist es, wie p2b_477.040 Schlegel richtig bemerkt, um den lustigen Eindruck geschehen. Die Moral des p2b_477.041 Lustspiels ist nach ihm die Moral des Erfolgs, nicht, wie in der Tragödie die p2b_477.042 der Triebfeder. Jm feineren Lustspiel dürfen die handelnden Personen ihre p2b_477.043 Schwächen, die sie zu verbergen suchen, nicht kennen; nur aus der Handlung p2b_477.044 müssen diese mit ihrer ergetzlichen Wirkung hervorgehen.
p2b_477.001 Tragödie ausschließt, einen großen Spielraum. Es sind ja nicht Schicksalsmächte, p2b_477.002 gegen welche der Held kämpft, sondern die Schwächen seiner Mitmenschen, p2b_477.003 deren zufällig entgegenkommende Engherzigkeit oder deren zu benützende p2b_477.004 Thorheit. Er geht daher nicht über die Schranken des gewöhnlichen Lebens p2b_477.005 hinaus. Seiner Wirkungssphäre entsprechend führt er den Kampf mit List und p2b_477.006 Gewandtheit, mit Witz, Scherz und Laune. Die Lösung besteht nicht im Untergang p2b_477.007 der feindlichen Partei, sondern in deren Nachgeben, oder in Überlistung p2b_477.008 derselben, in Besiegung von Jntriguen.
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p2b_477.022 Die Ungereimtheiten müssen von vernünftigen Wesen ausgehen, an wichtigen p2b_477.023 Dingen stattfinden und überraschend auftreten. Über den Stotternden wird p2b_477.024 man nur lachen, wenn er z. B. eine feierliche Rede halten wollte; über einen p2b_477.025 Zerstreuten, wenn er z. B. den Degen an der rechten Seite trägt; über alberne p2b_477.026 Redewendungen, die sich wiederholen, wenn der Redner sich für geistvoll hält; p2b_477.027 nicht aber über einen Geisteskranken &c. (vgl. I 102).
p2b_477.028 Das Lustspiel, indem es durch Witz und feine Komik das wirkliche Leben p2b_477.029 mit seinen Mängeln und Schwächen von seiner lächerlichen Seite darstellt, zieht p2b_477.030 dazu auch das Edle, Liebenswürdige und Gefällige der menschlichen Verhältnisse p2b_477.031 und der gesellschaftlichen Zustände in seinen Kreis. Komische Situationen müssen p2b_477.032 das Jnteresse der Handlung beleben, und wir müssen durch dieselben nach den p2b_477.033 Gesetzen des Kontrastes an die schönen Verhältnisse erinnert werden, deren p2b_477.034 Gegenteil sie sind.
p2b_477.035 Ein Unglück, welches dem Helden zustößt, muß als leicht zu lösende, „lächerliche p2b_477.036 Not erscheinen, die keine ernsten Folgen haben wird“. Der Dichter hat p2b_477.037 eben die ergetzlichen Widersprüche geschickt zu verwerten, ohne sie auszugleichen.
p2b_477.038 Wenn er sie wirklich ausgleicht, wenn die Thoren vernünftig, die Schlechtgesinnten p2b_477.039 gebessert, oder im tragischen Sinne bestraft werden, so ist es, wie p2b_477.040 Schlegel richtig bemerkt, um den lustigen Eindruck geschehen. Die Moral des p2b_477.041 Lustspiels ist nach ihm die Moral des Erfolgs, nicht, wie in der Tragödie die p2b_477.042 der Triebfeder. Jm feineren Lustspiel dürfen die handelnden Personen ihre p2b_477.043 Schwächen, die sie zu verbergen suchen, nicht kennen; nur aus der Handlung p2b_477.044 müssen diese mit ihrer ergetzlichen Wirkung hervorgehen.
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Tragödie ausschließt, einen großen Spielraum. Es sind ja nicht Schicksalsmächte, p2b_477.002
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/499>, abgerufen am 22.11.2024.
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