p2b_497.001 Jnhalt: Adolar, der Halbbruder des klösterlich keuschen und streng richtenden p2b_497.002 Königs Sever wird verbannt, weil er die Rosenlippen der Kanzlerstochter p2b_497.003 Angela kußlich fand. Er wendet sich nach Aragon, wo er ein wegen p2b_497.004 des gleichen Frevels von König Sever verfolgtes Liebespaar (Carlo und Maritta) p2b_497.005 trifft; Adolar will den König von seiner Härte überzeugen; er läßt sich verkleidet p2b_497.006 als Abgesandter des Herzogs von Aragon in seine Heimat zurückschicken, p2b_497.007 um dort gleich Zeuge des strengen Urteils über die Ausgelieferten Carlo p2b_497.008 und Maritta zu sein, die nun zur Strafe ein Jahr lang am Hofe unter der p2b_497.009 Bedingung zurückgehalten werden, sich während dieser Zeit nicht zu küssen. An p2b_497.010 diesen Urteilsspruch anknüpfend, weiß Adolar den König zu einer Wette zu p2b_497.011 veranlassen darüber, daß trotz strengen Verbots am Hofe jedermann und der p2b_497.012 König selbst küssen würde, wenn die beiden allegorischen Figuren Gelegenheitp2b_497.013 und Notwendigkeit herantreten würden. Der König verläßt scheinbar p2b_497.014 für einen mehrwöchentlichen Besuch das Land, kehrt aber sofort wieder zurück, p2b_497.015 um (genau wie in Shakespeare's "Maß für Maß" der Herzog Vicentio p2b_497.016 oder in dem preisgekrönten Lustspiel: Schach dem König, der König Jakob) p2b_497.017 unerkannt beobachten zu können. (Jn dem erwähnten Preislustspiel des 1837 p2b_497.018 verstorbenen Schauffert wird der gegen das Tabakrauchen fanatisch eingenommene p2b_497.019 König Jakob durch seinen Ganymed, die verkleidete Geliebte seines Schreibers, p2b_497.020 dazu verleitet, aus der Tabakpfeife zu schmauchen. Er hatte erklärt, seinen p2b_497.021 beim Rauchen ertappten und deshalb verbannten Schreiber nur dann wieder p2b_497.022 anzunehmen, wenn er selbst einmal geraucht haben würde. Nun zwingt ihn p2b_497.023 die Geliebte des Schreibers zur Rückberufung ihres Geliebten &c.) Sever muß p2b_497.024 sich überzeugen, daß an seinem Hofe niemand einen Kuß verschmäht, ja, er p2b_497.025 selbst wird vom Kultus der Natur besiegt, als Maritta in der Dunkelheit ihn p2b_497.026 für Carlo hält und mit Küssen überhäuft. Einmal von dem versengenden p2b_497.027 Liebeskuß durchbebt, verzehrt sich der König vor Sehnsucht.
p2b_497.028 Geistvoll ist die psychologische Motivierung, wie die Königin dem häßlichsten p2b_497.029 Mohren, der den wertvollsten Diamant nur für einen Kuß der allerschönsten p2b_497.030 Frau geben will, diese Gunst gewährt. Mitleid und Eitelkeit wären wohl für p2b_497.031 unser ästhetisches Gefühl genügend gewesen, um den Kuß zu rechtfertigen. Der p2b_497.032 Dichter will es anders; er macht die hohe Gunstgewährung noch von der Forderung p2b_497.033 des Übertritts zum Christentum abhängig. Derartige Bekehrungsversuche stehen p2b_497.034 freilich mit unseren modernen Anschauungen nicht im Einklang, wenn sie p2b_497.035 auch kostümgemäß sind. Jedoch wird das ethische Moment insofern aufrecht p2b_497.036 erhalten, als König wie Königin rein aus dem Konflikte hervorgehen.
p2b_497.037 Deutschland. Die ältesten Lustspiele in Deutschland (vgl. Rhoswitha I 47) p2b_497.038 waren in lateinischer Sprache abgefaßt. Auch die Fastnachtsspiele (Mysterien p2b_497.039 S. 461 d. Bds.) hatten lateinischen Text. Eine Art frühester Lustspiele waren die p2b_497.040 sog. Fastnachtsspiele und Possenspiele (I 49 und 50 D). Es waren Lustspiele p2b_497.041 mit geringen Verwickelungen. Wie die Tragödie aus den Passionsspielen, p2b_497.042 so entstand die Komödie aus den Fastnachtsspielen. Hans Sachs, der 78 p2b_497.043 Lustspiele schrieb, bedeutet einen Fortschritt auch im Lustspiel. Er, Rosenplüt p2b_497.044 und Folz waren die Begründer des eigentl. Lustspiels, dessen Wiege also Nürnberg
p2b_497.001 Jnhalt: Adolar, der Halbbruder des klösterlich keuschen und streng richtenden p2b_497.002 Königs Sever wird verbannt, weil er die Rosenlippen der Kanzlerstochter p2b_497.003 Angela kußlich fand. Er wendet sich nach Aragon, wo er ein wegen p2b_497.004 des gleichen Frevels von König Sever verfolgtes Liebespaar (Carlo und Maritta) p2b_497.005 trifft; Adolar will den König von seiner Härte überzeugen; er läßt sich verkleidet p2b_497.006 als Abgesandter des Herzogs von Aragon in seine Heimat zurückschicken, p2b_497.007 um dort gleich Zeuge des strengen Urteils über die Ausgelieferten Carlo p2b_497.008 und Maritta zu sein, die nun zur Strafe ein Jahr lang am Hofe unter der p2b_497.009 Bedingung zurückgehalten werden, sich während dieser Zeit nicht zu küssen. An p2b_497.010 diesen Urteilsspruch anknüpfend, weiß Adolar den König zu einer Wette zu p2b_497.011 veranlassen darüber, daß trotz strengen Verbots am Hofe jedermann und der p2b_497.012 König selbst küssen würde, wenn die beiden allegorischen Figuren Gelegenheitp2b_497.013 und Notwendigkeit herantreten würden. Der König verläßt scheinbar p2b_497.014 für einen mehrwöchentlichen Besuch das Land, kehrt aber sofort wieder zurück, p2b_497.015 um (genau wie in Shakespeare's „Maß für Maß“ der Herzog Vicentio p2b_497.016 oder in dem preisgekrönten Lustspiel: Schach dem König, der König Jakob) p2b_497.017 unerkannt beobachten zu können. (Jn dem erwähnten Preislustspiel des 1837 p2b_497.018 verstorbenen Schauffert wird der gegen das Tabakrauchen fanatisch eingenommene p2b_497.019 König Jakob durch seinen Ganymed, die verkleidete Geliebte seines Schreibers, p2b_497.020 dazu verleitet, aus der Tabakpfeife zu schmauchen. Er hatte erklärt, seinen p2b_497.021 beim Rauchen ertappten und deshalb verbannten Schreiber nur dann wieder p2b_497.022 anzunehmen, wenn er selbst einmal geraucht haben würde. Nun zwingt ihn p2b_497.023 die Geliebte des Schreibers zur Rückberufung ihres Geliebten &c.) Sever muß p2b_497.024 sich überzeugen, daß an seinem Hofe niemand einen Kuß verschmäht, ja, er p2b_497.025 selbst wird vom Kultus der Natur besiegt, als Maritta in der Dunkelheit ihn p2b_497.026 für Carlo hält und mit Küssen überhäuft. Einmal von dem versengenden p2b_497.027 Liebeskuß durchbebt, verzehrt sich der König vor Sehnsucht.
p2b_497.028 Geistvoll ist die psychologische Motivierung, wie die Königin dem häßlichsten p2b_497.029 Mohren, der den wertvollsten Diamant nur für einen Kuß der allerschönsten p2b_497.030 Frau geben will, diese Gunst gewährt. Mitleid und Eitelkeit wären wohl für p2b_497.031 unser ästhetisches Gefühl genügend gewesen, um den Kuß zu rechtfertigen. Der p2b_497.032 Dichter will es anders; er macht die hohe Gunstgewährung noch von der Forderung p2b_497.033 des Übertritts zum Christentum abhängig. Derartige Bekehrungsversuche stehen p2b_497.034 freilich mit unseren modernen Anschauungen nicht im Einklang, wenn sie p2b_497.035 auch kostümgemäß sind. Jedoch wird das ethische Moment insofern aufrecht p2b_497.036 erhalten, als König wie Königin rein aus dem Konflikte hervorgehen.
p2b_497.037 Deutschland. Die ältesten Lustspiele in Deutschland (vgl. Rhoswitha I 47) p2b_497.038 waren in lateinischer Sprache abgefaßt. Auch die Fastnachtsspiele (Mysterien p2b_497.039 S. 461 d. Bds.) hatten lateinischen Text. Eine Art frühester Lustspiele waren die p2b_497.040 sog. Fastnachtsspiele und Possenspiele (I 49 und 50 D). Es waren Lustspiele p2b_497.041 mit geringen Verwickelungen. Wie die Tragödie aus den Passionsspielen, p2b_497.042 so entstand die Komödie aus den Fastnachtsspielen. Hans Sachs, der 78 p2b_497.043 Lustspiele schrieb, bedeutet einen Fortschritt auch im Lustspiel. Er, Rosenplüt p2b_497.044 und Folz waren die Begründer des eigentl. Lustspiels, dessen Wiege also Nürnberg
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/519>, abgerufen am 22.11.2024.
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