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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883.

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Widerwärtigkeiten spannende Verwickelungen entstehen mit einer logischen Schürzung p2b_037.002
des sog. dramatischen Knotens. Ein fortwährend schwankender Charakter paßt p2b_037.003
für eine komische Figur, nimmermehr aber zum Helden eines Stückes, das p2b_037.004
feste Ziele und Endzwecke haben soll. Ferner eignet sich ein Held, der nur p2b_037.005
duldet, so wenig für's Drama, als ein solcher, welcher lediglich handelt ohne p2b_037.006
die Rückwirkung seiner Handlungen zu verspüren. Er ist dann ein epischer p2b_037.007
Held, ähnlich wie Odysseus, der bis zum Schluß des Epos ohne Veränderung p2b_037.008
derselbe listige, ausdauernd unternehmende Held bleibt.

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Ein dramatischer Held verändert sich in seinen einflußübenden Handlungen p2b_037.010
durch das Werden. Man betrachte bei Othello, Richard III., Macbeth &c. p2b_037.011
die Seelenstimmung, die Gewissensschläge, das Grausen, das diese dramatischen p2b_037.012
Charaktere durchleben. Weiche Naturen, die einer leidenschaftsvollen Erregung p2b_037.013
nicht fähig sind, passen ebenso wenig für's Drama, als hartgesottene Scheusale, p2b_037.014
die jede Handlung unberührt läßt. Aristoteles (Poet. 2) will weder untadelhafte p2b_037.015
noch durchaus böse Charaktere haben. Jedenfalls soll der Held in der p2b_037.016
Handlung mit den sittlichen Anforderungen des Jahrhunderts im Einklang p2b_037.017
stehen. Jn der Nichtbeachtung dieser Forderung ist wohl der Grund zu suchen, p2b_037.018
weshalb z. B. Sakuntala mit der eigenartigen Ringgeschichte und der stark p2b_037.019
orientalisch gefärbten Scene in der Laube (selbst in der verdienstlichen Wolzogenschen p2b_037.020
Bearbeitung) für unsere deutsche Bühne nicht paßt, während ein p2b_037.021
Hamlet, ein Othello nicht von ethischen Anschauungen des Jahrhunderts und p2b_037.022
des bestimmten Volkes abhängen, da eben die Leidenschaft etwas allen Jahrhunderten p2b_037.023
Gemeinsames ist. Shakespeare hat nur solche Helden gewählt, welche p2b_037.024
durch beispiellose Energie und wunderbare Kraft der Leidenschaft und des p2b_037.025
Willens die Handlung lebhaft vorwärts treiben. Die Helden der Deutschen p2b_037.026
waren im vorigen Jahrhundert meist durch äußere Verhältnisse bewegt, und p2b_037.027
selbst Schiller gab nicht selten den Gegenfiguren im ersten Teil die Führung.

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§ 26. Stoff des Drama.

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Einzelne Dramatiker entlehnen ihre Stoffe aus der Sagenwelt p2b_037.030
und Geschichte, andere aus dem gesellschaftlichen Familienleben, andere p2b_037.031
aus schon vorhandenen dichterischen Arbeiten, (aus der Novelle, aus p2b_037.032
dem Romane, aus der Ballade), andere endlich aus der eigenen Erfindung, p2b_037.033
aus der Phantasie. (Vgl. Bd. I. § 16. S. 36.)

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Ein wirklich dramatischer Stoff darf in seiner Ausführung weder p2b_037.035
gegen die ästhetischen, noch gegen die Rechts- oder Sittlichkeitsverhältnisse p2b_037.036
des Zuschauers und seiner Zeit verstoßen.

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Alle Lebensphasen, alle Verhältnisse des Menschen bilden die Domäne p2b_037.038
des Dramatikers für den dramatischen Stoff. Hier eine Badekur, leichtes Leben, p2b_037.039
dort Faust im Ringen nach dem Höchsten - nach Erkenntnis; hier Burleske p2b_037.040
und Spott, dort Ernst und Würde: Aristophanes und Sophokles! Hier p2b_037.041
ein Handel, der sich um nichts dreht, dort eine den Untergang eines Reiches

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Ein wirklich dramatischer Stoff darf in seiner Ausführung weder p2b_037.035
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/59>, abgerufen am 22.11.2024.