p2b_058.001 Wallensteins zusammen &c. - Wie viel läßt sich an solcher Behandlungsweise p2b_058.002 lernen!
p2b_058.003 5. Ein großer Teil der modernen Dichter historischer Dramen schreibt nur p2b_058.004 dialogisierte, verstümmelte Geschichte, giebt epischen Stoff in dramatischer Form. p2b_058.005 An Lessing, Schiller und besonders an Shakespeare sollte man sich ein Vorbild p2b_058.006 nehmen! Des Letzteren Dichtungen: Julius Cäsar, Romeo und Julia, p2b_058.007 Richard III., Coriolan sind im eminenten Sinne dramatisch und zeigen jene p2b_058.008 wunderbare Kraft, die manchem berühmten Werke unserer großen Dichter fehlt.
p2b_058.009
§ 40. Aufführbarkeit der dramatischen Dichtung.
p2b_058.010 Jedes Drama muß bühnengerecht sein, d. h. seine Bedeutung und p2b_058.011 Berechtigung muß bei der Aufführung vom Publikum mit Anerkennung p2b_058.012 gefühlt werden, und die Schauspieler müssen im Stande sein, durch p2b_058.013 die Mittel ihrer Kunst das Eigenartige, Menschliche auch in wirksamer p2b_058.014 Weise zur Darstellung zu bringen.
p2b_058.015 Ein Grieche würde die selbstverständliche Betonung der Forderung der p2b_058.016 Aufführbarkeit mindestens überflüssig gefunden haben. Aber da unsere deutschmoderne p2b_058.017 Litteratur (welche künstliche Lieder bildet, die niemand singen und p2b_058.018 Dramen, die niemand inscenieren kann) nicht mehr in solcher Beziehung zum p2b_058.019 Volke steht, wie dies bei der griechischen der Fall war, so ist wohl ein prüfender p2b_058.020 Blick auf die Aufführungsmöglichkeit der Dramen am Platze.
p2b_058.021 Ein für die Aufführung geschriebenes Stück darf vor allem nicht zu p2b_058.022 lang sein. (Cristofero Colombo von Rückert, welches einen Umfang von p2b_058.023 618 Druckseiten hat, ist in dieser Richtung zu verwerfen). Weiter darf ein p2b_058.024 Drama der Darstellung keine gegen Sitte und Anstandsgefühl verstoßenden p2b_058.025 Scenen zumuten. (Wir werden uns gerne von einem Manne berichten lassen, p2b_058.026 der ein Dutzend Angreifer vernichtet, aber wir werden uns gegen solche Balgerei p2b_058.027 vor unsern Augen sträuben, um nicht mit der Wahrheit der Handlung in p2b_058.028 Konflikt zu geraten. Wir werden ferner gegen gemeines Schimpfen und Raufen, p2b_058.029 wie es sich z. B. bei Gryphius im Horribilikribrifax findet, auf unserer Bühne p2b_058.030 ein Veto einlegen &c. Nackte Menschen, wie sie Rückert in Cristofero Colombo p2b_058.031 vorführt, werden wir nicht auf der Bühne sehen wollen. Das Schwimmen p2b_058.032 werden wir vielleicht in einem Zauberstück, sowie in der Ausstattungsoper p2b_058.033 gestatten, nimmermehr aber in einer Tragödie u. s. w. Jn dieser Beziehung p2b_058.034 leistet R. Wagner das äußerste dadurch, daß er seine Rheintöchter nicht bloß p2b_058.035 schwimmen, sondern auch dazu singen läßt). Endlich darf das Stück für seine p2b_058.036 Jnscenirung keine Ungeheuerlichkeiten und Unmöglichkeiten fordern. Auch muß p2b_058.037 es nur eine solche Jnscenierung vorschreiben, welche in bezug auf Dekorationswechsel p2b_058.038 und Umkleidung innerhalb der Zwischenakte möglich ist, ohne diese zu p2b_058.039 sehr auszudehnen &c. Um praktische Begriffe von Aufführbarkeit zu erhalten, p2b_058.040 muß sich der Dichter gründliche Bühnenkenntnis verschaffen.
p2b_058.001 Wallensteins zusammen &c. ─ Wie viel läßt sich an solcher Behandlungsweise p2b_058.002 lernen!
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§ 40. Aufführbarkeit der dramatischen Dichtung.
p2b_058.010 Jedes Drama muß bühnengerecht sein, d. h. seine Bedeutung und p2b_058.011 Berechtigung muß bei der Aufführung vom Publikum mit Anerkennung p2b_058.012 gefühlt werden, und die Schauspieler müssen im Stande sein, durch p2b_058.013 die Mittel ihrer Kunst das Eigenartige, Menschliche auch in wirksamer p2b_058.014 Weise zur Darstellung zu bringen.
p2b_058.015 Ein Grieche würde die selbstverständliche Betonung der Forderung der p2b_058.016 Aufführbarkeit mindestens überflüssig gefunden haben. Aber da unsere deutschmoderne p2b_058.017 Litteratur (welche künstliche Lieder bildet, die niemand singen und p2b_058.018 Dramen, die niemand inscenieren kann) nicht mehr in solcher Beziehung zum p2b_058.019 Volke steht, wie dies bei der griechischen der Fall war, so ist wohl ein prüfender p2b_058.020 Blick auf die Aufführungsmöglichkeit der Dramen am Platze.
p2b_058.021 Ein für die Aufführung geschriebenes Stück darf vor allem nicht zu p2b_058.022 lang sein. (Cristofero Colombo von Rückert, welches einen Umfang von p2b_058.023 618 Druckseiten hat, ist in dieser Richtung zu verwerfen). Weiter darf ein p2b_058.024 Drama der Darstellung keine gegen Sitte und Anstandsgefühl verstoßenden p2b_058.025 Scenen zumuten. (Wir werden uns gerne von einem Manne berichten lassen, p2b_058.026 der ein Dutzend Angreifer vernichtet, aber wir werden uns gegen solche Balgerei p2b_058.027 vor unsern Augen sträuben, um nicht mit der Wahrheit der Handlung in p2b_058.028 Konflikt zu geraten. Wir werden ferner gegen gemeines Schimpfen und Raufen, p2b_058.029 wie es sich z. B. bei Gryphius im Horribilikribrifax findet, auf unserer Bühne p2b_058.030 ein Veto einlegen &c. Nackte Menschen, wie sie Rückert in Cristofero Colombo p2b_058.031 vorführt, werden wir nicht auf der Bühne sehen wollen. Das Schwimmen p2b_058.032 werden wir vielleicht in einem Zauberstück, sowie in der Ausstattungsoper p2b_058.033 gestatten, nimmermehr aber in einer Tragödie u. s. w. Jn dieser Beziehung p2b_058.034 leistet R. Wagner das äußerste dadurch, daß er seine Rheintöchter nicht bloß p2b_058.035 schwimmen, sondern auch dazu singen läßt). Endlich darf das Stück für seine p2b_058.036 Jnscenirung keine Ungeheuerlichkeiten und Unmöglichkeiten fordern. Auch muß p2b_058.037 es nur eine solche Jnscenierung vorschreiben, welche in bezug auf Dekorationswechsel p2b_058.038 und Umkleidung innerhalb der Zwischenakte möglich ist, ohne diese zu p2b_058.039 sehr auszudehnen &c. Um praktische Begriffe von Aufführbarkeit zu erhalten, p2b_058.040 muß sich der Dichter gründliche Bühnenkenntnis verschaffen.
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Richard III., Coriolan sind im eminenten Sinne dramatisch und zeigen jene p2b_058.008
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§ 40. Aufführbarkeit der dramatischen Dichtung. p2b_058.010
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Ein für die Aufführung geschriebenes Stück darf vor allem nicht zu p2b_058.022
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ein Veto einlegen &c. Nackte Menschen, wie sie Rückert in Cristofero Colombo p2b_058.031
vorführt, werden wir nicht auf der Bühne sehen wollen. Das Schwimmen p2b_058.032
werden wir vielleicht in einem Zauberstück, sowie in der Ausstattungsoper p2b_058.033
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schwimmen, sondern auch dazu singen läßt). Endlich darf das Stück für seine p2b_058.036
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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Zweiter Band. Stuttgart, 1883, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik02_1883/80>, abgerufen am 22.11.2024.
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