Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_095.001 Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen, p3b_095.002 p3b_095.003Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen. Und nun sang und pfiff es greulich in den Kronen, in den Lüften, p3b_095.004 p3b_095.005Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften. Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine: p3b_095.006 p3b_095.007Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine! Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen, p3b_095.008 p3b_095.009Alles Laub war, weißlich schimmernd, starr nach Süden hingestrichen. Also streicht die alte Geige Pan der Alte, laut und leise, p3b_095.010 p3b_095.011Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise. Jn den sieben Tönen schweift er unaufhörlich auf und nieder, p3b_095.012 p3b_095.013Jn den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder. Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken, p3b_095.014 p3b_095.015Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken. Daktylischer Rhythmus. p3b_095.016 § 33. Bildung daktylischer Reimstrophen. p3b_095.017 p3b_095.022 p3b_095.025 p3b_095.030 [Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_095.033 Lösung. Von C. Beyer. p3b_095.102Fern im Gebirg erglänzet ein Schloß, p3b_095.103 [Ende Spaltensatz]
Drinnen sich tummelt ein fröhlicher Troß: p3b_095.104 Narren und Weise und herrliche Frau'n, p3b_095.105 Knappen und Ritter gar stattlich zu p3b_095.106 schau'n. p3b_095.001 Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen, p3b_095.002 p3b_095.003Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen. Und nun sang und pfiff es greulich in den Kronen, in den Lüften, p3b_095.004 p3b_095.005Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften. Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine: p3b_095.006 p3b_095.007Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine! Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen, p3b_095.008 p3b_095.009Alles Laub war, weißlich schimmernd, starr nach Süden hingestrichen. Also streicht die alte Geige Pan der Alte, laut und leise, p3b_095.010 p3b_095.011Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise. Jn den sieben Tönen schweift er unaufhörlich auf und nieder, p3b_095.012 p3b_095.013Jn den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder. Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken, p3b_095.014 p3b_095.015Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken. Daktylischer Rhythmus. p3b_095.016 § 33. Bildung daktylischer Reimstrophen. p3b_095.017 p3b_095.022 p3b_095.025 p3b_095.030 [Beginn Spaltensatz] Stoff. p3b_095.033 Lösung. Von C. Beyer. p3b_095.102Fern im Gebirg erglänzet ein Schloß, p3b_095.103 [Ende Spaltensatz]
Drinnen sich tummelt ein fröhlicher Troß: p3b_095.104 Narren und Weise und herrliche Frau'n, p3b_095.105 Knappen und Ritter gar stattlich zu p3b_095.106 schau'n. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0121" n="95"/> <lb n="p3b_095.001"/> <lg> <l>Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen,</l> <lb n="p3b_095.002"/> <l>Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen. </l> </lg> <lb n="p3b_095.003"/> <lg> <l>Und nun sang und pfiff es greulich in den Kronen, in den Lüften,</l> <lb n="p3b_095.004"/> <l>Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften. </l> </lg> <lb n="p3b_095.005"/> <lg> <l>Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine:</l> <lb n="p3b_095.006"/> <l>Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine! </l> </lg> <lb n="p3b_095.007"/> <lg> <l>Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen,</l> <lb n="p3b_095.008"/> <l>Alles Laub war, weißlich schimmernd, starr nach Süden hingestrichen. </l> </lg> <lb n="p3b_095.009"/> <lg> <l>Also streicht die alte Geige Pan der Alte, laut und leise,</l> <lb n="p3b_095.010"/> <l>Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise. </l> </lg> <lb n="p3b_095.011"/> <lg> <l>Jn den sieben Tönen schweift er unaufhörlich auf und nieder,</l> <lb n="p3b_095.012"/> <l>Jn den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder. </l> </lg> <lb n="p3b_095.013"/> <lg> <l>Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken,</l> <lb n="p3b_095.014"/> <l>Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.</l> </lg> <lb n="p3b_095.015"/> <p> <hi rendition="#c">Daktylischer Rhythmus.</hi> </p> </div> <div n="2"> <lb n="p3b_095.016"/> <head> <hi rendition="#c">§ 33. Bildung daktylischer Reimstrophen.</hi> </head> <p><lb n="p3b_095.017"/> 1. Bei diesen Strophen ist wie bei den hexametrischen Versen auf <lb n="p3b_095.018"/> solche Daktylen zu halten, welche dem deutschen Accent Rechnung tragen. <lb n="p3b_095.019"/> Also sind nur Stammsilben in die Arsis zu stellen, nicht aber <lb n="p3b_095.020"/> Formsilben, Artikel und unbetonte Silben. Jn der Thesis müssen <lb n="p3b_095.021"/> alle schweren Silben vermieden werden.</p> <p><lb n="p3b_095.022"/> 2. Die Einfügung des Trochäus und des trochäischen Spondeus <lb n="p3b_095.023"/> in den daktylischen Vers ist gestattet, da der Trochäus dieselbe Zeit <lb n="p3b_095.024"/> beansprucht, als der Daktylus.</p> <p><lb n="p3b_095.025"/> 3. Zwei Kürzen am Schluß des Verses würden mit Ungestüm <lb n="p3b_095.026"/> zum nächsten Vers weiter drängen. Deshalb schließt man den längeren <lb n="p3b_095.027"/> daktylischen Vers nur mit einer einzigen Thesis, also mit einem die <lb n="p3b_095.028"/> rasche Bewegung hemmenden trochäischen Spondeus oder einem Trochäus. <lb n="p3b_095.029"/> Es können aber auch beide Thesen fallen.</p> <p><lb n="p3b_095.030"/><hi rendition="#g">Aufgabe. Vierzeilige daktylische Strophen. Viertaktige, <lb n="p3b_095.031"/> katalektische Verse. Reimschema:</hi><hi rendition="#aq">a a b b</hi>.</p> <lb n="p3b_095.032"/> <cb type="start"/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Stoff.</hi> </hi> </p> <p><lb n="p3b_095.033"/> 1. Auf einem fernen Berge steht <lb n="p3b_095.034"/> ein Schloß, darin sich Ritter und <lb n="p3b_095.035"/> Volk wacker tummeln. ‖</p> <cb/> <lb n="p3b_095.101"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung. Von</hi> C. <hi rendition="#g">Beyer.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_095.102"/> <lg> <l>Fern im Gebirg erglänzet ein Schloß,</l> <lb n="p3b_095.103"/> <l>Drinnen sich tummelt ein fröhlicher Troß:</l> <lb n="p3b_095.104"/> <l>Narren und Weise und herrliche Frau'n,</l> <lb n="p3b_095.105"/> <l>Knappen und Ritter gar stattlich zu</l> <lb n="p3b_095.106"/> <l> <hi rendition="#et">schau'n.</hi> </l> </lg> <cb type="end"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0121]
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Kam es her in mächt'gem Zuge, schwoll es an zu breiten Wogen, p3b_095.002
Hoch sich durch die Wipfel wälzend kam die Sturmesflut gezogen.
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Und nun sang und pfiff es greulich in den Kronen, in den Lüften, p3b_095.004
Und dazwischen knarrt' und dröhnt' es unten in den Wurzelgrüften.
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Manchmal schwang die höchste Eiche gellend ihren Schaft alleine: p3b_095.006
Donnernder erscholl nur immer drauf der Chor vom ganzen Haine!
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Einer wilden Meeresbrandung hat das schöne Spiel geglichen, p3b_095.008
Alles Laub war, weißlich schimmernd, starr nach Süden hingestrichen.
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Also streicht die alte Geige Pan der Alte, laut und leise, p3b_095.010
Unterrichtend seine Wälder in der alten Weltenweise.
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Jn den sieben Tönen schweift er unaufhörlich auf und nieder, p3b_095.012
Jn den sieben alten Tönen, die umfassen alle Lieder.
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Und es lauschen still die jungen Dichter und die jungen Finken, p3b_095.014
Kauernd in den dunklen Büschen sie die Melodien trinken.
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Daktylischer Rhythmus.
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§ 33. Bildung daktylischer Reimstrophen. p3b_095.017
1. Bei diesen Strophen ist wie bei den hexametrischen Versen auf p3b_095.018
solche Daktylen zu halten, welche dem deutschen Accent Rechnung tragen. p3b_095.019
Also sind nur Stammsilben in die Arsis zu stellen, nicht aber p3b_095.020
Formsilben, Artikel und unbetonte Silben. Jn der Thesis müssen p3b_095.021
alle schweren Silben vermieden werden.
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2. Die Einfügung des Trochäus und des trochäischen Spondeus p3b_095.023
in den daktylischen Vers ist gestattet, da der Trochäus dieselbe Zeit p3b_095.024
beansprucht, als der Daktylus.
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3. Zwei Kürzen am Schluß des Verses würden mit Ungestüm p3b_095.026
zum nächsten Vers weiter drängen. Deshalb schließt man den längeren p3b_095.027
daktylischen Vers nur mit einer einzigen Thesis, also mit einem die p3b_095.028
rasche Bewegung hemmenden trochäischen Spondeus oder einem Trochäus. p3b_095.029
Es können aber auch beide Thesen fallen.
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Aufgabe. Vierzeilige daktylische Strophen. Viertaktige, p3b_095.031
katalektische Verse. Reimschema: a a b b.
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Stoff.
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1. Auf einem fernen Berge steht p3b_095.034
ein Schloß, darin sich Ritter und p3b_095.035
Volk wacker tummeln. ‖
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Lösung. Von C. Beyer.
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Narren und Weise und herrliche Frau'n, p3b_095.105
Knappen und Ritter gar stattlich zu p3b_095.106
schau'n.
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/121>, abgerufen am 16.02.2025. |