Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_099.001 Hör' an, was ich dir sag', p3b_099.102 p3b_099.106Dein Schätzlein ich verklag': p3b_099.103 Derweil ich dieses singen thu', p3b_099.104 Herzt er ein Lieb in guter Ruh', p3b_099.105 Ein Stündlein wohl vor Tag. O weh! nicht weiter sag'! p3b_099.107 [Ende Spaltensatz]
p3b_099.112O still! nichts hören mag! p3b_099.108 Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum! p3b_099.109 - Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein p3b_099.110 Traum p3b_099.111 Ein Stündlein wohl vor Tag. b. Verbindung der Allitteration mit dem Reim. p3b_099.113 p3b_099.122 p3b_099.123 p3b_099.128 p3b_099.138 p3b_099.001 Hör' an, was ich dir sag', p3b_099.102 p3b_099.106Dein Schätzlein ich verklag': p3b_099.103 Derweil ich dieses singen thu', p3b_099.104 Herzt er ein Lieb in guter Ruh', p3b_099.105 Ein Stündlein wohl vor Tag. O weh! nicht weiter sag'! p3b_099.107 [Ende Spaltensatz]
p3b_099.112O still! nichts hören mag! p3b_099.108 Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum! p3b_099.109 ─ Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein p3b_099.110 Traum p3b_099.111 Ein Stündlein wohl vor Tag. b. Verbindung der Allitteration mit dem Reim. p3b_099.113 p3b_099.122 p3b_099.123 p3b_099.128 p3b_099.138 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0125" n="99"/><lb n="p3b_099.001"/><cb type="start"/> 2. Es sang: Höre, was ich dir sagen <lb n="p3b_099.002"/> will. │ Jch muß deinen Schatz anklagen. <lb n="p3b_099.003"/> │ Während ich dieses singe, │ <lb n="p3b_099.004"/> herzt er eine andere Geliebte: │ Es ist <lb n="p3b_099.005"/> wohl eben eine Stunde vor Tagesanbruch. <lb n="p3b_099.006"/> ‖ 3. Jch rief: O weh mir! <lb n="p3b_099.007"/> Sprich nicht weiter! │ Jch will nichts <lb n="p3b_099.008"/> mehr hören. │ Flieg hinweg von meinem <lb n="p3b_099.009"/> Baum! │ Liebe und Treue ist wesenlos <lb n="p3b_099.010"/> wie der Traum, │ den man träumt <lb n="p3b_099.011"/> eine Stunde vor Tagesanbruch. ‖</p> <cb/> <lb n="p3b_099.101"/> <lg> <l>Hör' an, was ich dir sag',</l> <lb n="p3b_099.102"/> <l>Dein Schätzlein ich verklag':</l> <lb n="p3b_099.103"/> <l>Derweil ich dieses singen thu',</l> <lb n="p3b_099.104"/> <l>Herzt er ein Lieb in guter Ruh',</l> <lb n="p3b_099.105"/> <l>Ein Stündlein wohl vor Tag. </l> </lg> <lb n="p3b_099.106"/> <lg> <l>O weh! nicht weiter sag'!</l> <lb n="p3b_099.107"/> <l>O still! nichts hören mag!</l> <lb n="p3b_099.108"/> <l>Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum!</l> <lb n="p3b_099.109"/> <l>─ Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein</l> <lb n="p3b_099.110"/> <l> <hi rendition="#et">Traum</hi> </l> <lb n="p3b_099.111"/> <l>Ein Stündlein wohl vor Tag.</l> </lg> <cb type="end"/> <lb n="p3b_099.112"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Verbindung der Allitteration mit dem Reim</hi>.</hi> </p> <p><lb n="p3b_099.113"/> 1. Der Erste, welcher die Allitteration mit dem Vollreim verband, <lb n="p3b_099.114"/> war Otfried im Evangelienbuch (868 n. Chr.). Er hat die 1. <lb n="p3b_099.115"/> und 3. der vier Arsen jeder Verszeile durch Accentzeichen ausgezeichnet <lb n="p3b_099.116"/> und dadurch die Accentuierung der Stammsilben wesentlich gefördert. <lb n="p3b_099.117"/> Jndem er weiter im Schlußreim den stärksten Accent schuf, zu welchem <lb n="p3b_099.118"/> immer mehr das Steigen und Sinken der ganzen Tonreihe hindrängte, <lb n="p3b_099.119"/> hat er den nachhaltigsten Anstoß zur Weiterentwickelung des accentuierenden <lb n="p3b_099.120"/> Prinzips in unserer Sprache geliefert und gezeigt, daß auch der <lb n="p3b_099.121"/> Reim die Aufgabe des allitterierenden Wortes übernehmen kann.</p> <p><lb n="p3b_099.122"/> 2. Nach dem Siege des Vollreims kam die Allitteration ins Abnehmen.</p> <p><lb n="p3b_099.123"/> 3. Erst in der Neuzeit hat man wieder erkannt, welchen Zauber in <lb n="p3b_099.124"/> ästhetischer Beziehung, welche musikalische Wirkung, welche lautmalende <lb n="p3b_099.125"/> Fähigkeit die Allitteration hat, weshalb einzelne Dichter, die (im <lb n="p3b_099.126"/> Gegensatz zu Jordan) nicht auf den Vollreim verzichten mochten, die <lb n="p3b_099.127"/> Allitteration in Reimgedichten zur Anwendung brachten.</p> <p><lb n="p3b_099.128"/> 4. Um einzelne markante Beispiele zu erwähnen, so schließt Rückert <lb n="p3b_099.129"/> jede Strophe seines in alle Schullesebücher übergegangenen Gedichts <lb n="p3b_099.130"/> „Roland der Ries'“ mit gleichem Reim (Macht, Schlacht, Wacht, <lb n="p3b_099.131"/> Nacht &c.). Schlegel führt im Sonett „Was ist Liebe?“ den Allitterationslaut <lb n="p3b_099.132"/> L durch; Rückert im gereimten Rosenlied den Allitterationslaut <lb n="p3b_099.133"/> r (ebenso Müller von der Werra im Rüpellied). Mit Geschick <lb n="p3b_099.134"/> haben sonst noch die Allitteration mit dem Endreim verbunden: Bürger <lb n="p3b_099.135"/> (im Lied von der Einzigen), Goethe (in „Es war ein König in Thule“), <lb n="p3b_099.136"/> Heine (in „Es blasen die blauen Husaren“), Uhland (in „Jn Liebesarmen <lb n="p3b_099.137"/> ruht ihr trunken“), Fouqu<hi rendition="#aq">é</hi> (in vielen Dichtungen), W. Müller u. a.</p> <p><lb n="p3b_099.138"/><hi rendition="#g">Aufgabe. Nachstehender Stoff soll zu einem zweistrophigen <lb n="p3b_099.139"/> Gedicht von je</hi> 4 <hi rendition="#g">Verszeilen verwertet werden, <lb n="p3b_099.140"/> in welchem der Allitterationslaut</hi> L <hi rendition="#g">den Eindruck fortsetzen <lb n="p3b_099.141"/> soll, den der</hi> L=<hi rendition="#g">Klang durch die Erinnerung an das Wort <lb n="p3b_099.142"/> Liebe hervorruft.</hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0125]
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2. Es sang: Höre, was ich dir sagen p3b_099.002
will. │ Jch muß deinen Schatz anklagen. p3b_099.003
│ Während ich dieses singe, │ p3b_099.004
herzt er eine andere Geliebte: │ Es ist p3b_099.005
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‖ 3. Jch rief: O weh mir! p3b_099.007
Sprich nicht weiter! │ Jch will nichts p3b_099.008
mehr hören. │ Flieg hinweg von meinem p3b_099.009
Baum! │ Liebe und Treue ist wesenlos p3b_099.010
wie der Traum, │ den man träumt p3b_099.011
eine Stunde vor Tagesanbruch. ‖
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Hör' an, was ich dir sag', p3b_099.102
Dein Schätzlein ich verklag': p3b_099.103
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Herzt er ein Lieb in guter Ruh', p3b_099.105
Ein Stündlein wohl vor Tag.
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O still! nichts hören mag! p3b_099.108
Flieg' ab, flieg' ab von meinem Baum! p3b_099.109
─ Ach, Lieb' und Treu' ist wie ein p3b_099.110
Traum p3b_099.111
Ein Stündlein wohl vor Tag.
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b. Verbindung der Allitteration mit dem Reim.
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1. Der Erste, welcher die Allitteration mit dem Vollreim verband, p3b_099.114
war Otfried im Evangelienbuch (868 n. Chr.). Er hat die 1. p3b_099.115
und 3. der vier Arsen jeder Verszeile durch Accentzeichen ausgezeichnet p3b_099.116
und dadurch die Accentuierung der Stammsilben wesentlich gefördert. p3b_099.117
Jndem er weiter im Schlußreim den stärksten Accent schuf, zu welchem p3b_099.118
immer mehr das Steigen und Sinken der ganzen Tonreihe hindrängte, p3b_099.119
hat er den nachhaltigsten Anstoß zur Weiterentwickelung des accentuierenden p3b_099.120
Prinzips in unserer Sprache geliefert und gezeigt, daß auch der p3b_099.121
Reim die Aufgabe des allitterierenden Wortes übernehmen kann.
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2. Nach dem Siege des Vollreims kam die Allitteration ins Abnehmen.
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3. Erst in der Neuzeit hat man wieder erkannt, welchen Zauber in p3b_099.124
ästhetischer Beziehung, welche musikalische Wirkung, welche lautmalende p3b_099.125
Fähigkeit die Allitteration hat, weshalb einzelne Dichter, die (im p3b_099.126
Gegensatz zu Jordan) nicht auf den Vollreim verzichten mochten, die p3b_099.127
Allitteration in Reimgedichten zur Anwendung brachten.
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4. Um einzelne markante Beispiele zu erwähnen, so schließt Rückert p3b_099.129
jede Strophe seines in alle Schullesebücher übergegangenen Gedichts p3b_099.130
„Roland der Ries'“ mit gleichem Reim (Macht, Schlacht, Wacht, p3b_099.131
Nacht &c.). Schlegel führt im Sonett „Was ist Liebe?“ den Allitterationslaut p3b_099.132
L durch; Rückert im gereimten Rosenlied den Allitterationslaut p3b_099.133
r (ebenso Müller von der Werra im Rüpellied). Mit Geschick p3b_099.134
haben sonst noch die Allitteration mit dem Endreim verbunden: Bürger p3b_099.135
(im Lied von der Einzigen), Goethe (in „Es war ein König in Thule“), p3b_099.136
Heine (in „Es blasen die blauen Husaren“), Uhland (in „Jn Liebesarmen p3b_099.137
ruht ihr trunken“), Fouqué (in vielen Dichtungen), W. Müller u. a.
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Aufgabe. Nachstehender Stoff soll zu einem zweistrophigen p3b_099.139
Gedicht von je 4 Verszeilen verwertet werden, p3b_099.140
in welchem der Allitterationslaut L den Eindruck fortsetzen p3b_099.141
soll, den der L=Klang durch die Erinnerung an das Wort p3b_099.142
Liebe hervorruft.
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