Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_126.001 p3b_126.012 p3b_126.026 p3b_126.041 p3b_126.001 p3b_126.012 p3b_126.026 p3b_126.041 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="126"/><lb n="p3b_126.001"/> noch vom Zufall abhängig wäre. Platen, den Ludwig Eichrodt einen <lb n="p3b_126.002"/> Sprachverderber nennt, fehlt in dieser Beziehung gewöhnlich, was viele <lb n="p3b_126.003"/> seiner Schüler vergeblich zu bemänteln suchen. Freilich erschließt keiner <lb n="p3b_126.004"/> wie er das Geheimnis der Form, ja, gerade durch seine Verstöße und <lb n="p3b_126.005"/> seine Konsequenz thut er es; er verdient daher ernstes Studium und <lb n="p3b_126.006"/> alle neueren Dichter werden bekennen müssen, daß sie in der Lyrik ─ <lb n="p3b_126.007"/> was Praxis anlangt ─ formell <hi rendition="#g">ihm,</hi> sowie innerlich dem großen <lb n="p3b_126.008"/> Rückert das meiste verdanken. (Man vergleiche Enks deutsche Zeitmessung <lb n="p3b_126.009"/> mit Bezug auf Platen, sowie Rückerts Kritik des Siebenmeers.) <lb n="p3b_126.010"/> Aber alle Verdienste Platens haben seine fehlerhaften, undeutschen Betonungen <lb n="p3b_126.011"/> nicht entschuldigen können.</p> <p><lb n="p3b_126.012"/> Wir haben es oft genug ausgesprochen und wiederholen es hier <lb n="p3b_126.013"/> ausdrücklich, daß unser Spondeus entweder ein Hochton mit einem <lb n="p3b_126.014"/> Tiefton oder umgekehrt ist, daß es im Deutschen also nur fallende oder <lb n="p3b_126.015"/> steigende sog. Spondeen giebt. Der sog. Spondeus „Ā́cht gīeb“, oder <lb n="p3b_126.016"/> „Gīeb ā́cht“ kann als tonlich schlechter Trochäus oder schlechter Jambus <lb n="p3b_126.017"/> aufgefaßt werden. Man ersieht dies, wenn man ein Wort zusetzt, <lb n="p3b_126.018"/> z. B.: „Ācht giĕbt ēr, nĭcht sīe“; oder „Gĭeb ācht ĭn dēinĕm Krēisĕ“; <lb n="p3b_126.019"/> man ersieht es ferner bei Spondeen wie Bā́umōbst und Ṓbstbāum. <lb n="p3b_126.020"/> Die sog. tonlosen Silben und die Pausen bestimmen alles weitere, <lb n="p3b_126.021"/> und die Volkssprache hilft auch dem verknöchertsten Pedanten auf die <lb n="p3b_126.022"/> richtige Spur. (Jch erinnere beispielshalber nur an die Melodie ihrer <lb n="p3b_126.023"/> Schnadahüpfl. Mancher Schulmetriker würde sicher unser „Ob's d' <lb n="p3b_126.024"/> hergehst“ &c. als Molossus (– – –) bezeichnen, während es doch Amphibrach <lb n="p3b_126.025"/> (⏑ – ⏑) ist, denn der schwere Ton liegt auf „<hi rendition="#g">her</hi>“.)</p> <p><lb n="p3b_126.026"/> Das, was Spondeus heißt, ist im Deutschen nur unter besonderen <lb n="p3b_126.027"/> Umständen möglich: nämlich durch zwei Worte von gleichem Gewicht, <lb n="p3b_126.028"/> zwischen denen eine oder zwei Senkungen verloren gegangen sind, <lb n="p3b_126.029"/> oder wenn in einem Worte sämtliche Silben schwer für die Zunge sind. <lb n="p3b_126.030"/> „<hi rendition="#g">Feldhauptmann</hi>“ wäre zu lesen – ⏑ ⏑, „<hi rendition="#g">Feldlager</hi>“ – ⏑ ⏑. „<hi rendition="#g">Jm <lb n="p3b_126.031"/> Feld lagert</hi>“ bildet einen Antispast (⏑ ─́ – ⏑) und hat den richtigen <lb n="p3b_126.032"/> Spondeus, aber doch nur durch Konzession. (Dieser Antispast ist nämlich <lb n="p3b_126.033"/> <figure><note type="editorial">type="versmetrik"</note></figure>, wobei das Zeichen ⏜ die unterdrückte Senkung bedeutet.) <lb n="p3b_126.034"/> „Gieb, gieb“ ist ein echter, reiner, unkonzessionierter Spondeus, aber <lb n="p3b_126.035"/> auch mit unterdrückter Senkung. Wir Deutschen lösen niemals eine <lb n="p3b_126.036"/> Länge in zwei Kürzen auf oder rechnen zwei Kürzen für eine Länge. <lb n="p3b_126.037"/> Nicht die Länge der Silbe, nicht ihr sprachlicher Wert, sondern nur <lb n="p3b_126.038"/> ihre logische oder syntaktische Bedeutung und endlich der Rhythmus im <lb n="p3b_126.039"/> ganzen, sowie das nachbarliche Verhältnis im einzelnen bestimmt, was <lb n="p3b_126.040"/> sie ist: ihre Bedeutung hängt also nur vom Accent ab.</p> <p><lb n="p3b_126.041"/> Dies vorausgeschickt, können immerhin auch die antiken Maße <lb n="p3b_126.042"/> größtenteils nachgeahmt werden; aber die Verteilung der Accente, da= </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0152]
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noch vom Zufall abhängig wäre. Platen, den Ludwig Eichrodt einen p3b_126.002
Sprachverderber nennt, fehlt in dieser Beziehung gewöhnlich, was viele p3b_126.003
seiner Schüler vergeblich zu bemänteln suchen. Freilich erschließt keiner p3b_126.004
wie er das Geheimnis der Form, ja, gerade durch seine Verstöße und p3b_126.005
seine Konsequenz thut er es; er verdient daher ernstes Studium und p3b_126.006
alle neueren Dichter werden bekennen müssen, daß sie in der Lyrik ─ p3b_126.007
was Praxis anlangt ─ formell ihm, sowie innerlich dem großen p3b_126.008
Rückert das meiste verdanken. (Man vergleiche Enks deutsche Zeitmessung p3b_126.009
mit Bezug auf Platen, sowie Rückerts Kritik des Siebenmeers.) p3b_126.010
Aber alle Verdienste Platens haben seine fehlerhaften, undeutschen Betonungen p3b_126.011
nicht entschuldigen können.
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Wir haben es oft genug ausgesprochen und wiederholen es hier p3b_126.013
ausdrücklich, daß unser Spondeus entweder ein Hochton mit einem p3b_126.014
Tiefton oder umgekehrt ist, daß es im Deutschen also nur fallende oder p3b_126.015
steigende sog. Spondeen giebt. Der sog. Spondeus „Ā́cht gīeb“, oder p3b_126.016
„Gīeb ā́cht“ kann als tonlich schlechter Trochäus oder schlechter Jambus p3b_126.017
aufgefaßt werden. Man ersieht dies, wenn man ein Wort zusetzt, p3b_126.018
z. B.: „Ācht giĕbt ēr, nĭcht sīe“; oder „Gĭeb ācht ĭn dēinĕm Krēisĕ“; p3b_126.019
man ersieht es ferner bei Spondeen wie Bā́umōbst und Ṓbstbāum. p3b_126.020
Die sog. tonlosen Silben und die Pausen bestimmen alles weitere, p3b_126.021
und die Volkssprache hilft auch dem verknöchertsten Pedanten auf die p3b_126.022
richtige Spur. (Jch erinnere beispielshalber nur an die Melodie ihrer p3b_126.023
Schnadahüpfl. Mancher Schulmetriker würde sicher unser „Ob's d' p3b_126.024
hergehst“ &c. als Molossus (– – –) bezeichnen, während es doch Amphibrach p3b_126.025
(⏑ – ⏑) ist, denn der schwere Ton liegt auf „her“.)
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Das, was Spondeus heißt, ist im Deutschen nur unter besonderen p3b_126.027
Umständen möglich: nämlich durch zwei Worte von gleichem Gewicht, p3b_126.028
zwischen denen eine oder zwei Senkungen verloren gegangen sind, p3b_126.029
oder wenn in einem Worte sämtliche Silben schwer für die Zunge sind. p3b_126.030
„Feldhauptmann“ wäre zu lesen – ⏑ ⏑, „Feldlager“ – ⏑ ⏑. „Jm p3b_126.031
Feld lagert“ bildet einen Antispast (⏑ ─́ – ⏑) und hat den richtigen p3b_126.032
Spondeus, aber doch nur durch Konzession. (Dieser Antispast ist nämlich p3b_126.033
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, wobei das Zeichen ⏜ die unterdrückte Senkung bedeutet.) p3b_126.034
„Gieb, gieb“ ist ein echter, reiner, unkonzessionierter Spondeus, aber p3b_126.035
auch mit unterdrückter Senkung. Wir Deutschen lösen niemals eine p3b_126.036
Länge in zwei Kürzen auf oder rechnen zwei Kürzen für eine Länge. p3b_126.037
Nicht die Länge der Silbe, nicht ihr sprachlicher Wert, sondern nur p3b_126.038
ihre logische oder syntaktische Bedeutung und endlich der Rhythmus im p3b_126.039
ganzen, sowie das nachbarliche Verhältnis im einzelnen bestimmt, was p3b_126.040
sie ist: ihre Bedeutung hängt also nur vom Accent ab.
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Dies vorausgeschickt, können immerhin auch die antiken Maße p3b_126.042
größtenteils nachgeahmt werden; aber die Verteilung der Accente, da=
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