Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite
p3b_125.001
Fünftes Hauptstück. p3b_125.002
Antike Strophenformen. ------
p3b_125.003
§ 47. Vorbemerkungen und Stellungnahme.

p3b_125.004
1. Nachdem wir in genügender Anzahl Übungen in jambischen, p3b_125.005
trochäischen, anapästischen und jambisch=anapästischen, daktylischen und p3b_125.006
künstlichen Reimstrophen geboten haben, lassen wir der Vollständigkeit p3b_125.007
halber und zum Abschluß der Strophenbildungen noch einige Übungen p3b_125.008
aller möglichen Rhythmen folgen, nämlich die gebräuchlichsten, beliebtesten, p3b_125.009
vierzeiligen antiken Strophen, welche durch Zusammensetzung p3b_125.010
vorgeschriebener Metren herzustellen sind. Große Odenmaße, die nur p3b_125.011
mit Zuhilfenahme des Bleistifts zu skandieren sind, lassen wir begreiflicherweise p3b_125.012
gerne bei Seite.

p3b_125.013
2. Unser ernstes Bemühen, den deutschen Accent in seine Rechte p3b_125.014
einzusetzen, möchte sich auch bei Bildung antiker Strophenformen bewähren.

p3b_125.015

p3b_125.016
Jndem wir - um nur eines zu betonen - von Spondeen p3b_125.017
u. dgl. sprechen, könnte es für den Kurzsichtigen, Halbgebildeten oder p3b_125.018
Eingebildeten den Anschein gewinnen, daß wir unserem Prinzip nicht p3b_125.019
so ganz treu bleiben, sondern dem sog. Quantitätsprinzip Konzessionen p3b_125.020
machen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Quantitätsprinzip - p3b_125.021
dies soll allen Anhängern desselben nachdrücklichst an dieser Stelle p3b_125.022
wiederholt sein - ist nicht mehr zu rehabilitieren, und selbst wenn es p3b_125.023
im Alt- und Mittelhochdeutschen nachzuweisen wäre, so darf es doch p3b_125.024
für uns nicht mehr existieren. Das in der neuhochdeutschen Metrik p3b_125.025
zu beachtende Gesetz darf nur das der Accentqualität sein!

p3b_125.026
Die Accentqualität richtet sich aber nach der Sprachweise, nach p3b_125.027
der Prosa und ist durch und durch musikalischer und zugleich logischer p3b_125.028
Natur. Jeder Vers sollte so gebaut sein, daß er ohne darüber geschriebenes p3b_125.029
Schema schon prima vista richtig gelesen, resp. betont werden p3b_125.030
muß, so zwar, daß diese richtige Betonung weder vom Studium

p3b_125.001
Fünftes Hauptstück. p3b_125.002
Antike Strophenformen. ──────
p3b_125.003
§ 47. Vorbemerkungen und Stellungnahme.

p3b_125.004
1. Nachdem wir in genügender Anzahl Übungen in jambischen, p3b_125.005
trochäischen, anapästischen und jambisch=anapästischen, daktylischen und p3b_125.006
künstlichen Reimstrophen geboten haben, lassen wir der Vollständigkeit p3b_125.007
halber und zum Abschluß der Strophenbildungen noch einige Übungen p3b_125.008
aller möglichen Rhythmen folgen, nämlich die gebräuchlichsten, beliebtesten, p3b_125.009
vierzeiligen antiken Strophen, welche durch Zusammensetzung p3b_125.010
vorgeschriebener Metren herzustellen sind. Große Odenmaße, die nur p3b_125.011
mit Zuhilfenahme des Bleistifts zu skandieren sind, lassen wir begreiflicherweise p3b_125.012
gerne bei Seite.

p3b_125.013
2. Unser ernstes Bemühen, den deutschen Accent in seine Rechte p3b_125.014
einzusetzen, möchte sich auch bei Bildung antiker Strophenformen bewähren.

p3b_125.015

p3b_125.016
Jndem wir ─ um nur eines zu betonen ─ von Spondeen p3b_125.017
u. dgl. sprechen, könnte es für den Kurzsichtigen, Halbgebildeten oder p3b_125.018
Eingebildeten den Anschein gewinnen, daß wir unserem Prinzip nicht p3b_125.019
so ganz treu bleiben, sondern dem sog. Quantitätsprinzip Konzessionen p3b_125.020
machen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Quantitätsprinzip ─ p3b_125.021
dies soll allen Anhängern desselben nachdrücklichst an dieser Stelle p3b_125.022
wiederholt sein ─ ist nicht mehr zu rehabilitieren, und selbst wenn es p3b_125.023
im Alt- und Mittelhochdeutschen nachzuweisen wäre, so darf es doch p3b_125.024
für uns nicht mehr existieren. Das in der neuhochdeutschen Metrik p3b_125.025
zu beachtende Gesetz darf nur das der Accentqualität sein!

p3b_125.026
Die Accentqualität richtet sich aber nach der Sprachweise, nach p3b_125.027
der Prosa und ist durch und durch musikalischer und zugleich logischer p3b_125.028
Natur. Jeder Vers sollte so gebaut sein, daß er ohne darüber geschriebenes p3b_125.029
Schema schon prima vista richtig gelesen, resp. betont werden p3b_125.030
muß, so zwar, daß diese richtige Betonung weder vom Studium

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0151" n="E125"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <lb n="p3b_125.001"/>
        <head> <hi rendition="#c">Fünftes Hauptstück. <lb n="p3b_125.002"/>
Antike Strophenformen. &#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;&#x2500;</hi> </head>
        <lb n="p3b_125.003"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#c">§ 47. Vorbemerkungen und Stellungnahme.</hi> </head>
          <p><lb n="p3b_125.004"/>
1. Nachdem wir in genügender Anzahl Übungen in jambischen, <lb n="p3b_125.005"/>
trochäischen, anapästischen und jambisch=anapästischen, daktylischen und <lb n="p3b_125.006"/>
künstlichen Reimstrophen geboten haben, lassen wir der Vollständigkeit <lb n="p3b_125.007"/>
halber und zum Abschluß der Strophenbildungen noch einige Übungen <lb n="p3b_125.008"/>
aller möglichen Rhythmen folgen, nämlich die gebräuchlichsten, beliebtesten, <lb n="p3b_125.009"/>
vierzeiligen antiken Strophen, welche durch Zusammensetzung <lb n="p3b_125.010"/>
vorgeschriebener Metren herzustellen sind. Große Odenmaße, die nur <lb n="p3b_125.011"/>
mit Zuhilfenahme des Bleistifts zu skandieren sind, lassen wir begreiflicherweise <lb n="p3b_125.012"/>
gerne bei Seite.</p>
          <p><lb n="p3b_125.013"/>
2. Unser ernstes Bemühen, den deutschen Accent in seine Rechte <lb n="p3b_125.014"/>
einzusetzen, möchte sich auch bei Bildung antiker Strophenformen bewähren.</p>
          <lb n="p3b_125.015"/>
          <p><lb n="p3b_125.016"/>
Jndem wir &#x2500; um nur eines zu betonen &#x2500; von Spondeen <lb n="p3b_125.017"/>
u. dgl. sprechen, könnte es für den Kurzsichtigen, Halbgebildeten oder <lb n="p3b_125.018"/>
Eingebildeten den Anschein gewinnen, daß wir unserem Prinzip nicht <lb n="p3b_125.019"/>
so ganz treu bleiben, sondern dem sog. Quantitätsprinzip Konzessionen <lb n="p3b_125.020"/>
machen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Quantitätsprinzip &#x2500; <lb n="p3b_125.021"/>
dies soll allen Anhängern desselben nachdrücklichst an dieser Stelle <lb n="p3b_125.022"/>
wiederholt sein &#x2500; ist nicht mehr zu rehabilitieren, und selbst wenn es <lb n="p3b_125.023"/>
im Alt- und Mittelhochdeutschen nachzuweisen wäre, so darf es doch <lb n="p3b_125.024"/>
für uns nicht mehr existieren. Das in der neuhochdeutschen Metrik <lb n="p3b_125.025"/>
zu beachtende Gesetz darf nur das der <hi rendition="#g">Accentqualität</hi> sein!</p>
          <p><lb n="p3b_125.026"/>
Die Accentqualität richtet sich aber nach der Sprachweise, nach <lb n="p3b_125.027"/>
der Prosa und ist durch und durch musikalischer und zugleich logischer <lb n="p3b_125.028"/>
Natur. Jeder Vers sollte so gebaut sein, daß er ohne darüber geschriebenes <lb n="p3b_125.029"/>
Schema schon <hi rendition="#aq">prima vista</hi> richtig gelesen, resp. betont werden <lb n="p3b_125.030"/>
muß, so zwar, daß diese richtige Betonung weder vom Studium
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[E125/0151] p3b_125.001 Fünftes Hauptstück. p3b_125.002 Antike Strophenformen. ────── p3b_125.003 § 47. Vorbemerkungen und Stellungnahme. p3b_125.004 1. Nachdem wir in genügender Anzahl Übungen in jambischen, p3b_125.005 trochäischen, anapästischen und jambisch=anapästischen, daktylischen und p3b_125.006 künstlichen Reimstrophen geboten haben, lassen wir der Vollständigkeit p3b_125.007 halber und zum Abschluß der Strophenbildungen noch einige Übungen p3b_125.008 aller möglichen Rhythmen folgen, nämlich die gebräuchlichsten, beliebtesten, p3b_125.009 vierzeiligen antiken Strophen, welche durch Zusammensetzung p3b_125.010 vorgeschriebener Metren herzustellen sind. Große Odenmaße, die nur p3b_125.011 mit Zuhilfenahme des Bleistifts zu skandieren sind, lassen wir begreiflicherweise p3b_125.012 gerne bei Seite. p3b_125.013 2. Unser ernstes Bemühen, den deutschen Accent in seine Rechte p3b_125.014 einzusetzen, möchte sich auch bei Bildung antiker Strophenformen bewähren. p3b_125.015 p3b_125.016 Jndem wir ─ um nur eines zu betonen ─ von Spondeen p3b_125.017 u. dgl. sprechen, könnte es für den Kurzsichtigen, Halbgebildeten oder p3b_125.018 Eingebildeten den Anschein gewinnen, daß wir unserem Prinzip nicht p3b_125.019 so ganz treu bleiben, sondern dem sog. Quantitätsprinzip Konzessionen p3b_125.020 machen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Quantitätsprinzip ─ p3b_125.021 dies soll allen Anhängern desselben nachdrücklichst an dieser Stelle p3b_125.022 wiederholt sein ─ ist nicht mehr zu rehabilitieren, und selbst wenn es p3b_125.023 im Alt- und Mittelhochdeutschen nachzuweisen wäre, so darf es doch p3b_125.024 für uns nicht mehr existieren. Das in der neuhochdeutschen Metrik p3b_125.025 zu beachtende Gesetz darf nur das der Accentqualität sein! p3b_125.026 Die Accentqualität richtet sich aber nach der Sprachweise, nach p3b_125.027 der Prosa und ist durch und durch musikalischer und zugleich logischer p3b_125.028 Natur. Jeder Vers sollte so gebaut sein, daß er ohne darüber geschriebenes p3b_125.029 Schema schon prima vista richtig gelesen, resp. betont werden p3b_125.030 muß, so zwar, daß diese richtige Betonung weder vom Studium

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/151
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. E125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/151>, abgerufen am 21.11.2024.