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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

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Dichtungsgattungen mit Bevorzugung des Gelegenheitsgedichtes.
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(Jm Sinne des § 66 der Poetik, Bd. II.)

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Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!"
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§ 51. Wie entsteht ein Gedicht?

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Geheimnisse, allgemeine Gesichtspunkte, Kunstgriffe, Fingerzeige &c.

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1. Wer ein Gedicht machen will, wird dazu durch einen Gedanken, durch p3b_133.011
eine Empfindung, durch eine bestimmte Gelegenheit veranlaßt.

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2. Um den jeweiligen Stoff zu gewinnen, muß er sich die Frage vorlegen: p3b_133.013
Was will ich besingen? An welchem Gedanken soll sich mein Gedicht p3b_133.014
aufranken? Welchem Gefühle soll es Ausdruck verleihen? Welche Lehre oder p3b_133.015
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dramatisch zur Darstellung gelangen? Was oder wieviel giebt das Gefühl, der p3b_133.017
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(wenigstens im Anfange seines Produzierens) zu Papier, disponiere dieselben, p3b_133.022
ordne sie (behufs strophischer Einteilung) in Gruppen, suche sie zu idealisieren p3b_133.023
und - zu versifizieren.

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5. Er muß geradeaus schauen, niemals seitwärts, und er darf nur bieten, p3b_133.025
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Und der Gelegenheit schaff' ein Gedicht!“
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§ 51. Wie entsteht ein Gedicht?

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Geheimnisse, allgemeine Gesichtspunkte, Kunstgriffe, Fingerzeige &c.

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1. Wer ein Gedicht machen will, wird dazu durch einen Gedanken, durch p3b_133.011
eine Empfindung, durch eine bestimmte Gelegenheit veranlaßt.

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was er beim Geradeausschauen erblickt, ─ sonst nichts!

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. E133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/159>, abgerufen am 19.05.2024.