Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_144.001 Die Liebe wünsch' ich für dein reines Herz, p3b_144.002 p3b_144.011Sie wahre dich vor Leiden und vor Schmerz; p3b_144.003 Die Hoffnung wünsch' ich, die in Lieb' erglüht, p3b_144.004 Daß sie dein Blumenleben reich umblüht; p3b_144.005 Den Glauben auch ans Gute, Schöne, Wahre, p3b_144.006 Als Führer durch die Reihen deiner Jahre: p3b_144.007 Ja, Glaube, Liebe, Hoffnung sei'n vereint, p3b_144.008 Dann ist's des Glückes Sonne, die dir scheint, p3b_144.009 Und ihre Strahlen leuchten hell und klar p3b_144.010 Dir freundlich bis zum letzten Lebensjahr. b. Bildung eines Trinkspruchs. p3b_144.012 p3b_144.017 p3b_144.022 Stoff. Wenn auch Goethe im Grabe ruht, so lebt er doch. Andere p3b_144.025 p3b_144.029 p3b_144.032 Lösung. (Oktavenform.) Von A. v. Chamisso. p3b_144.035Jch sag' euch, Goethe lebt, ob in der Gruft, p3b_144.036
Und viele Tote scheinen nur zu leben. p3b_144.037 Sie regen sich und atmen Gottes Luft p3b_144.038 Und scheinen vielen Sorgen hingegeben. p3b_144.039 Jhn trennt von allen Sorgen eine Kluft, p3b_144.040 Er lebt und wirkt und schafft, da andre streben, p3b_144.041 Da wir, wie er zu leben, streben, ringen; p3b_144.042 Ein Glas darauf: es mög' uns auch gelingen! p3b_144.001 Die Liebe wünsch' ich für dein reines Herz, p3b_144.002 p3b_144.011Sie wahre dich vor Leiden und vor Schmerz; p3b_144.003 Die Hoffnung wünsch' ich, die in Lieb' erglüht, p3b_144.004 Daß sie dein Blumenleben reich umblüht; p3b_144.005 Den Glauben auch ans Gute, Schöne, Wahre, p3b_144.006 Als Führer durch die Reihen deiner Jahre: p3b_144.007 Ja, Glaube, Liebe, Hoffnung sei'n vereint, p3b_144.008 Dann ist's des Glückes Sonne, die dir scheint, p3b_144.009 Und ihre Strahlen leuchten hell und klar p3b_144.010 Dir freundlich bis zum letzten Lebensjahr. b. Bildung eines Trinkspruchs. p3b_144.012 p3b_144.017 p3b_144.022 Stoff. Wenn auch Goethe im Grabe ruht, so lebt er doch. Andere p3b_144.025 p3b_144.029 p3b_144.032 Lösung. (Oktavenform.) Von A. v. Chamisso. p3b_144.035Jch sag' euch, Goethe lebt, ob in der Gruft, p3b_144.036
Und viele Tote scheinen nur zu leben. p3b_144.037 Sie regen sich und atmen Gottes Luft p3b_144.038 Und scheinen vielen Sorgen hingegeben. p3b_144.039 Jhn trennt von allen Sorgen eine Kluft, p3b_144.040 Er lebt und wirkt und schafft, da andre streben, p3b_144.041 Da wir, wie er zu leben, streben, ringen; p3b_144.042 Ein Glas darauf: es mög' uns auch gelingen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0170" n="144"/> <lb n="p3b_144.001"/> <lg> <l>Die <hi rendition="#g">Liebe</hi> wünsch' ich für dein reines Herz,</l> <lb n="p3b_144.002"/> <l>Sie wahre dich vor Leiden und vor Schmerz;</l> <lb n="p3b_144.003"/> <l>Die <hi rendition="#g">Hoffnung</hi> wünsch' ich, die in Lieb' erglüht,</l> <lb n="p3b_144.004"/> <l>Daß sie dein Blumenleben reich umblüht;</l> <lb n="p3b_144.005"/> <l>Den <hi rendition="#g">Glauben</hi> auch ans Gute, Schöne, Wahre,</l> <lb n="p3b_144.006"/> <l>Als Führer durch die Reihen deiner Jahre:</l> <lb n="p3b_144.007"/> <l>Ja, Glaube, Liebe, Hoffnung sei'n vereint,</l> <lb n="p3b_144.008"/> <l>Dann ist's des Glückes Sonne, die dir scheint,</l> <lb n="p3b_144.009"/> <l>Und ihre Strahlen leuchten hell und klar</l> <lb n="p3b_144.010"/> <l>Dir freundlich bis zum letzten Lebensjahr.</l> </lg> <lb n="p3b_144.011"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Bildung eines Trinkspruchs.</hi></hi> </p> <p><lb n="p3b_144.012"/> 1. Der poetische Trinkspruch beschränkt sich in der Regel auf eine <lb n="p3b_144.013"/> Person, auf eine die Stimmung charakterisierende Personifikation, oder <lb n="p3b_144.014"/> auf einen naheliegenden, humoristisch zu behandelnden Gegenstand; er <lb n="p3b_144.015"/> beleuchtet seinen Stoff von allen Seiten, um ─ ähnlich wie die <lb n="p3b_144.016"/> Priamelform ─ Vordersätze als Prämissen für die Pointe zu gewinnen.</p> <p><lb n="p3b_144.017"/> Zuweilen erweitert sich der Trinkspruch zu einem mehrstrophigen <lb n="p3b_144.018"/> Gedicht, indem der Dichter von irgend einer Thätigkeit oder einem <lb n="p3b_144.019"/> Vorzuge ausgeht, um im weiteren Verlauf durch geschicktes Heranziehen <lb n="p3b_144.020"/> verwandter oder steigerungsfähiger Momente eine Person auszuzeichnen <lb n="p3b_144.021"/> oder zu besingen. Jmmerhin bleibt er eine Art Epigramm.</p> <p><lb n="p3b_144.022"/> 2. Wir veranlassen im nachstehenden einen Trinkspruch auf <lb n="p3b_144.023"/> Goethe's Geburtstag. Der Stoff mag sich folgendermaßen aufreihen:</p> <lb n="p3b_144.024"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Stoff.</hi> Wenn auch Goethe im Grabe ruht, so lebt er doch. Andere <lb n="p3b_144.025"/> aber, welche tot sind, scheinen zu leben; sie bewegen sich und <lb n="p3b_144.026"/> scheinen mit Sorgen zu kämpfen. Goethe ist durch eine Kluft von <lb n="p3b_144.027"/> allen Sorgen geschieden. Er lebt und wirkt, da wir streben ihm nachzuringen. <lb n="p3b_144.028"/> Wir trinken darauf, daß unser Streben gelingen möge.</hi> </p> <p><lb n="p3b_144.029"/> 3. Selbstredend ist bei einem, die Unterhaltung belebenden Trinkspruch <lb n="p3b_144.030"/> nur der jambische, oder ─ bei größerer Lebhaftigkeit ─ der <lb n="p3b_144.031"/> jambisch=anapästische Rhythmus angezeigt.</p> <p><lb n="p3b_144.032"/> 4. Die längere Reihe und der feierliche Charakter des Stoffs <lb n="p3b_144.033"/> weisen auf den Quinar und auf die Oktavenform hin.</p> <lb n="p3b_144.034"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung.</hi> (Oktavenform.) <hi rendition="#g">Von</hi> A. v. <hi rendition="#g">Chamisso.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_144.035"/> <lg> <l>Jch sag' euch, Goethe lebt, ob in der Gruft,</l> <lb n="p3b_144.036"/> <l>Und viele Tote scheinen nur zu leben.</l> <lb n="p3b_144.037"/> <l>Sie regen sich und atmen Gottes Luft</l> <lb n="p3b_144.038"/> <l>Und scheinen vielen Sorgen hingegeben.</l> <lb n="p3b_144.039"/> <l>Jhn trennt von allen Sorgen eine Kluft,</l> <lb n="p3b_144.040"/> <l>Er lebt und wirkt und schafft, da andre streben,</l> <lb n="p3b_144.041"/> <l>Da wir, wie er zu leben, streben, ringen;</l> <lb n="p3b_144.042"/> <l>Ein Glas darauf: es mög' uns auch gelingen!</l> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0170]
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Die Liebe wünsch' ich für dein reines Herz, p3b_144.002
Sie wahre dich vor Leiden und vor Schmerz; p3b_144.003
Die Hoffnung wünsch' ich, die in Lieb' erglüht, p3b_144.004
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Den Glauben auch ans Gute, Schöne, Wahre, p3b_144.006
Als Führer durch die Reihen deiner Jahre: p3b_144.007
Ja, Glaube, Liebe, Hoffnung sei'n vereint, p3b_144.008
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Dir freundlich bis zum letzten Lebensjahr.
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b. Bildung eines Trinkspruchs.
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1. Der poetische Trinkspruch beschränkt sich in der Regel auf eine p3b_144.013
Person, auf eine die Stimmung charakterisierende Personifikation, oder p3b_144.014
auf einen naheliegenden, humoristisch zu behandelnden Gegenstand; er p3b_144.015
beleuchtet seinen Stoff von allen Seiten, um ─ ähnlich wie die p3b_144.016
Priamelform ─ Vordersätze als Prämissen für die Pointe zu gewinnen.
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Zuweilen erweitert sich der Trinkspruch zu einem mehrstrophigen p3b_144.018
Gedicht, indem der Dichter von irgend einer Thätigkeit oder einem p3b_144.019
Vorzuge ausgeht, um im weiteren Verlauf durch geschicktes Heranziehen p3b_144.020
verwandter oder steigerungsfähiger Momente eine Person auszuzeichnen p3b_144.021
oder zu besingen. Jmmerhin bleibt er eine Art Epigramm.
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2. Wir veranlassen im nachstehenden einen Trinkspruch auf p3b_144.023
Goethe's Geburtstag. Der Stoff mag sich folgendermaßen aufreihen:
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Stoff. Wenn auch Goethe im Grabe ruht, so lebt er doch. Andere p3b_144.025
aber, welche tot sind, scheinen zu leben; sie bewegen sich und p3b_144.026
scheinen mit Sorgen zu kämpfen. Goethe ist durch eine Kluft von p3b_144.027
allen Sorgen geschieden. Er lebt und wirkt, da wir streben ihm nachzuringen. p3b_144.028
Wir trinken darauf, daß unser Streben gelingen möge.
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3. Selbstredend ist bei einem, die Unterhaltung belebenden Trinkspruch p3b_144.030
nur der jambische, oder ─ bei größerer Lebhaftigkeit ─ der p3b_144.031
jambisch=anapästische Rhythmus angezeigt.
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4. Die längere Reihe und der feierliche Charakter des Stoffs p3b_144.033
weisen auf den Quinar und auf die Oktavenform hin.
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Lösung. (Oktavenform.) Von A. v. Chamisso.
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Jch sag' euch, Goethe lebt, ob in der Gruft, p3b_144.036
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/170>, abgerufen am 16.07.2024. |