Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_199.001 p3b_199.008 p3b_199.012 p3b_199.020 p3b_199.026 b. Lesbarkeit. p3b_199.030 p3b_199.043 p3b_199.001 p3b_199.008 p3b_199.012 p3b_199.020 p3b_199.026 b. Lesbarkeit. p3b_199.030 p3b_199.043 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0225" n="199"/><lb n="p3b_199.001"/> ein anderes, neues Maß notwendig zur Umformung, Umdichtung, Modernisierung <lb n="p3b_199.002"/> &c. hindrängt. Dies beweist schon das einzige Beispiel der Schillerschen <lb n="p3b_199.003"/> sog. Übersetzung der Äneide, bei welcher die Stanzen zur Ausfüllung <lb n="p3b_199.004"/> bald ein Hinzudichten, bald ein Weglassen verlangten, so daß die Stoffteile <lb n="p3b_199.005"/> anders sich gliedern mußten als im Original. (Der bei Schiller hinzugekommene <lb n="p3b_199.006"/> Reim ─ als schöne Eigentümlichkeit unserer Sprache ─ vollendet die Umdichtung <lb n="p3b_199.007"/> und spottet einer sklavischen Übertragung.)</p> <p><lb n="p3b_199.008"/> 5. Die Treue sucht sich ohne Verletzung der Muttersprache und ihrer <lb n="p3b_199.009"/> Formenlehre dem fremden Satzbau, der Wortstellung und der sprachlichen <lb n="p3b_199.010"/> Wendung anzuschließen. (Der Originaldichter darf sich Abweichungen gestatten, <lb n="p3b_199.011"/> nicht aber der Übersetzer.)</p> <p><lb n="p3b_199.012"/> 6. Sie nimmt Rücksicht auf Allitteration, auf die Paronomasie, sowie <lb n="p3b_199.013"/> auf das Epitheton. Dieses letztere ist freilich häufig nur <hi rendition="#aq">epitheton ornans</hi>, <lb n="p3b_199.014"/> und in diesem Fall ist es zweifellos gestattet, ein ähnliches Epitheton zu substituieren, <lb n="p3b_199.015"/> wenn dies aus irgend einem Grunde als wünschenswert erscheint. <lb n="p3b_199.016"/> So wird es sicher in vielen Fällen erlaubt sein, einen <hi rendition="#g">geographischen</hi> Beinamen <lb n="p3b_199.017"/> einer Gottheit durch einen andern zu ersetzen u. s. w. (Freilich ist <lb n="p3b_199.018"/> Vorsicht nötig. Vgl. z. B. Stellen wie <foreign xml:lang="grc">Ἴδηθεν μεδέων</foreign> == Herrscher auf <lb n="p3b_199.019"/> dem Jda.)</p> <p><lb n="p3b_199.020"/> 7. Um den feineren epischen und plastischen Stil und das Festgefügte im <lb n="p3b_199.021"/> dichterischen Kunstwerke treu zu erreichen, hat u. a. J. H. Voß den Partikeln <lb n="p3b_199.022"/> seine ganze Aufmerksamkeit zugewandt. Man sollte jedenfalls (selbst was die <lb n="p3b_199.023"/> griechischen Dichter betrifft) die Forderung treuer Wiedergabe der Partikel, deren <lb n="p3b_199.024"/> Behandlung ein feines, meist nur bei Philologen anzutreffendes Verständnis <lb n="p3b_199.025"/> verlangt, nicht allzuhoch spannen.</p> <p><lb n="p3b_199.026"/> Die Partikel treu wiedergeben, sollte nicht heißen, sie mit einem besonderen <lb n="p3b_199.027"/> Wort übersetzen, sondern ihre logische oder rhetorische Färbung, deren <lb n="p3b_199.028"/> Exponent sie ist &c., zum Ausdruck bringen.</p> <lb n="p3b_199.029"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">b</hi>. <hi rendition="#g">Lesbarkeit.</hi></hi> </p> <p><lb n="p3b_199.030"/> 1. Einer der größten Meister des Übersetzens in unsere Sprache, Luther, <lb n="p3b_199.031"/> hielt die <hi rendition="#g">buchstäblich treue</hi> Übersetzung für die ungeschickteste. Dies zeigt <lb n="p3b_199.032"/> sein <hi rendition="#g">Sendbrief vom Dolmetscher,</hi> in welchem er denen, die ihm vorwerfen, <lb n="p3b_199.033"/> er habe hier das Wörtlein <hi rendition="#g">allein</hi> eingerückt, dort die <hi rendition="#g">Maria voll <lb n="p3b_199.034"/> Gnaden,</hi> den <hi rendition="#g">Mann der Begierungen</hi> &c. nicht buchstäblich übersetzt, antwortet, <lb n="p3b_199.035"/> ja, in welchem er es mit dem Bock Emser aufnimmt. Er sagt: „Jch <lb n="p3b_199.036"/> habe <hi rendition="#g">deutsch,</hi> nicht lateinisch oder griechisch reden wollen ... Jch habe verdeutschet <lb n="p3b_199.037"/> auf mein bestes Vermögen ... Jch weiß wohl, was für Kunst, <lb n="p3b_199.038"/> Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Dolmetschen gehöret; es heißet, wer am <lb n="p3b_199.039"/> Wege bauet, hat viel Meister; aber die Welt will <hi rendition="#g">Meister Kluglich</hi> bleiben <lb n="p3b_199.040"/> und muß immer das Roß unter dem Schwanze zäumen, alles meistern und <lb n="p3b_199.041"/> selbst nichts können. Das ist ihre Art.“ ─ (Vgl. übrigens W. Hopfs gekrönte <lb n="p3b_199.042"/> Preisschrift über Luthers Bibelübersetzung.)</p> <p><lb n="p3b_199.043"/> 2. Herder sagt in der Nachschrift zu den Balde-Übersetzungen, daß er </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [199/0225]
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ein anderes, neues Maß notwendig zur Umformung, Umdichtung, Modernisierung p3b_199.002
&c. hindrängt. Dies beweist schon das einzige Beispiel der Schillerschen p3b_199.003
sog. Übersetzung der Äneide, bei welcher die Stanzen zur Ausfüllung p3b_199.004
bald ein Hinzudichten, bald ein Weglassen verlangten, so daß die Stoffteile p3b_199.005
anders sich gliedern mußten als im Original. (Der bei Schiller hinzugekommene p3b_199.006
Reim ─ als schöne Eigentümlichkeit unserer Sprache ─ vollendet die Umdichtung p3b_199.007
und spottet einer sklavischen Übertragung.)
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5. Die Treue sucht sich ohne Verletzung der Muttersprache und ihrer p3b_199.009
Formenlehre dem fremden Satzbau, der Wortstellung und der sprachlichen p3b_199.010
Wendung anzuschließen. (Der Originaldichter darf sich Abweichungen gestatten, p3b_199.011
nicht aber der Übersetzer.)
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6. Sie nimmt Rücksicht auf Allitteration, auf die Paronomasie, sowie p3b_199.013
auf das Epitheton. Dieses letztere ist freilich häufig nur epitheton ornans, p3b_199.014
und in diesem Fall ist es zweifellos gestattet, ein ähnliches Epitheton zu substituieren, p3b_199.015
wenn dies aus irgend einem Grunde als wünschenswert erscheint. p3b_199.016
So wird es sicher in vielen Fällen erlaubt sein, einen geographischen Beinamen p3b_199.017
einer Gottheit durch einen andern zu ersetzen u. s. w. (Freilich ist p3b_199.018
Vorsicht nötig. Vgl. z. B. Stellen wie Ἴδηθεν μεδέων == Herrscher auf p3b_199.019
dem Jda.)
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7. Um den feineren epischen und plastischen Stil und das Festgefügte im p3b_199.021
dichterischen Kunstwerke treu zu erreichen, hat u. a. J. H. Voß den Partikeln p3b_199.022
seine ganze Aufmerksamkeit zugewandt. Man sollte jedenfalls (selbst was die p3b_199.023
griechischen Dichter betrifft) die Forderung treuer Wiedergabe der Partikel, deren p3b_199.024
Behandlung ein feines, meist nur bei Philologen anzutreffendes Verständnis p3b_199.025
verlangt, nicht allzuhoch spannen.
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Die Partikel treu wiedergeben, sollte nicht heißen, sie mit einem besonderen p3b_199.027
Wort übersetzen, sondern ihre logische oder rhetorische Färbung, deren p3b_199.028
Exponent sie ist &c., zum Ausdruck bringen.
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b. Lesbarkeit.
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1. Einer der größten Meister des Übersetzens in unsere Sprache, Luther, p3b_199.031
hielt die buchstäblich treue Übersetzung für die ungeschickteste. Dies zeigt p3b_199.032
sein Sendbrief vom Dolmetscher, in welchem er denen, die ihm vorwerfen, p3b_199.033
er habe hier das Wörtlein allein eingerückt, dort die Maria voll p3b_199.034
Gnaden, den Mann der Begierungen &c. nicht buchstäblich übersetzt, antwortet, p3b_199.035
ja, in welchem er es mit dem Bock Emser aufnimmt. Er sagt: „Jch p3b_199.036
habe deutsch, nicht lateinisch oder griechisch reden wollen ... Jch habe verdeutschet p3b_199.037
auf mein bestes Vermögen ... Jch weiß wohl, was für Kunst, p3b_199.038
Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Dolmetschen gehöret; es heißet, wer am p3b_199.039
Wege bauet, hat viel Meister; aber die Welt will Meister Kluglich bleiben p3b_199.040
und muß immer das Roß unter dem Schwanze zäumen, alles meistern und p3b_199.041
selbst nichts können. Das ist ihre Art.“ ─ (Vgl. übrigens W. Hopfs gekrönte p3b_199.042
Preisschrift über Luthers Bibelübersetzung.)
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2. Herder sagt in der Nachschrift zu den Balde-Übersetzungen, daß er
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