Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_208.001 p3b_208.003 p3b_208.004 p3b_208.014 p3b_208.030 p3b_208.031 p3b_208.035 p3b_208.001 p3b_208.003 p3b_208.004 p3b_208.014 p3b_208.030 p3b_208.031 p3b_208.035 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0234" n="208"/><lb n="p3b_208.001"/> Hingabe an den Dichter des Originals muß auch bei der Ausschmückung <lb n="p3b_208.002"/> leitendes Gesetz bleiben.</p> <p><lb n="p3b_208.003"/> 22. <hi rendition="#aq">f</hi>. <hi rendition="#g">Nachahmung der Manier.</hi></p> <p><lb n="p3b_208.004"/> Aus dem angegebenen Grunde ist es bedenklich, bei Übersetzungen eines <lb n="p3b_208.005"/> fremden Dichters die Manier eines deutschen Dichters nachahmen zu wollen, <lb n="p3b_208.006"/> und wenn es auch der höchste wäre. (Man vgl. als Beispiel <hi rendition="#g">von Leinburg</hi> <lb n="p3b_208.007"/> [== Lüttgendorff-Leinburg], der in seiner sonst wertvollen Übersetzung der <lb n="p3b_208.008"/> Frithjofsage die metaphorische Sprachweise Jean Pauls als Ziel sich vorsetzte.) <lb n="p3b_208.009"/> Nichts häßlicher als eine affektierte, auf Stelzen einherschreitende, manierierte <lb n="p3b_208.010"/> Übersetzungsweise! Hiermit ist natürlich nicht die Manier des Originaldichters <lb n="p3b_208.011"/> gemeint. Diese ist in der Übersetzung allerdings zu berücksichtigen. Nicht bloß <lb n="p3b_208.012"/> in den Worten, sondern in ihrer Behandlung liegt oft ein gewaltiger Unterschied <lb n="p3b_208.013"/> bei derselben Versart und bei derselben Dichtungsart &c.</p> <p><lb n="p3b_208.014"/> 23. Außer den obigen wesentlichen Forderungen kommen bei einzelnen <lb n="p3b_208.015"/> Übersetzungen noch verschiedene Momente und Fragen in Betracht, die der <lb n="p3b_208.016"/> Übersetzer je nach dem einzelnen Fall sich beantworten muß und wofür allgemeine <lb n="p3b_208.017"/> Vorschriften nur schwer zu abstrahieren sind. Solche Fragen sind beispielsweise: <lb n="p3b_208.018"/> Was ist mit obscönen Stellen zu beginnen? Jn dem einen Zeitalter <lb n="p3b_208.019"/> ist etwas anstößig, während ein anderes gewisse Dinge ohne Anstand <lb n="p3b_208.020"/> passieren läßt. Dürfen Auslassungen obscöner Stellen, die doch vom pädagogischen <lb n="p3b_208.021"/> wie vom ästhetischen Standpunkte dringend anzuraten sind, als <lb n="p3b_208.022"/> Fälschungen betrachtet werden, oder sind jene Übersetzungen vorzuziehen, die schon <lb n="p3b_208.023"/> auf dem Titel den Vermerk tragen: <hi rendition="#aq">Omissis omnibus iis locis, qui aures <lb n="p3b_208.024"/> castae iuventutis laedere possint</hi>? (Deutsch: Mit Weglassung aller jener <lb n="p3b_208.025"/> Stellen, welche die Ohren einer keuschen Jugend verletzen könnten?) Genügt es, <lb n="p3b_208.026"/> zu sagen, man müsse Anstößiges z. B. bei einem Shakespeare mit in den Kauf <lb n="p3b_208.027"/> nehmen? Jst es noch eine Übersetzung zu nennen, wenn man dergleichen Dinge <lb n="p3b_208.028"/> verschleiert, oder sind Auslassungen gestattet, wie sie sich z. B. Katsch in seiner <lb n="p3b_208.029"/> verdienstlichen Übersetzung der Ovidschen <hi rendition="#aq">ars amandi</hi> erlaubte?</p> <p><lb n="p3b_208.030"/> Wie ist es mit den Metaphern zu halten?</p> <p><lb n="p3b_208.031"/> Wenn das betreffende Bild des Originals in der Übersetzersprache fehlt, <lb n="p3b_208.032"/> dürfen wir zu dem prosaischen Auskunftsmittel greifen und den Sinn des <lb n="p3b_208.033"/> Bildes umschreiben, oder sollen wir ─ was offenbar das Bessere sein möchte <lb n="p3b_208.034"/> ─ zunächst zu einem verwandten Bilde greifen? u. s. w. u. s. w.</p> <p><lb n="p3b_208.035"/> 24. (<hi rendition="#aq">Exempla docent</hi>.) Man kann oft von Übersetzern sehr viel lernen, <lb n="p3b_208.036"/> sofern man Einblick in ihr Thun gewinnt. Man lese z. B. Laube's „<hi rendition="#g">Cato <lb n="p3b_208.037"/> von Eisen</hi>“, der nach der Jdee eines spanischen Stückes geschrieben ist. Um <lb n="p3b_208.038"/> zu beweisen, daß er nicht <hi rendition="#g">mehr</hi> als die Jdee benützte, ließ er von der Tochter <lb n="p3b_208.039"/> des bekannten Romanisten Wolf in Wien das ganze Stück übersetzen und schloß <lb n="p3b_208.040"/> es seiner Arbeit an. Auf Faust Pachlers Rat und mit Billigung Friedrich <lb n="p3b_208.041"/> Halms, der diese Übersetzerin in Vorschlag gebracht hatte, entschloß sich dieselbe: <lb n="p3b_208.042"/> 1. die poetische Stimmung durch Beibehaltung des Verses zu gewinnen; <lb n="p3b_208.043"/> 2. die nationale Stimmung durch Beibehaltung des nationalen Verses der <lb n="p3b_208.044"/> Spanier, des trochäischen Viertakters, wiederzugeben; 3. die Treue der Übersetzung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [208/0234]
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Hingabe an den Dichter des Originals muß auch bei der Ausschmückung p3b_208.002
leitendes Gesetz bleiben.
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22. f. Nachahmung der Manier.
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Aus dem angegebenen Grunde ist es bedenklich, bei Übersetzungen eines p3b_208.005
fremden Dichters die Manier eines deutschen Dichters nachahmen zu wollen, p3b_208.006
und wenn es auch der höchste wäre. (Man vgl. als Beispiel von Leinburg p3b_208.007
[== Lüttgendorff-Leinburg], der in seiner sonst wertvollen Übersetzung der p3b_208.008
Frithjofsage die metaphorische Sprachweise Jean Pauls als Ziel sich vorsetzte.) p3b_208.009
Nichts häßlicher als eine affektierte, auf Stelzen einherschreitende, manierierte p3b_208.010
Übersetzungsweise! Hiermit ist natürlich nicht die Manier des Originaldichters p3b_208.011
gemeint. Diese ist in der Übersetzung allerdings zu berücksichtigen. Nicht bloß p3b_208.012
in den Worten, sondern in ihrer Behandlung liegt oft ein gewaltiger Unterschied p3b_208.013
bei derselben Versart und bei derselben Dichtungsart &c.
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23. Außer den obigen wesentlichen Forderungen kommen bei einzelnen p3b_208.015
Übersetzungen noch verschiedene Momente und Fragen in Betracht, die der p3b_208.016
Übersetzer je nach dem einzelnen Fall sich beantworten muß und wofür allgemeine p3b_208.017
Vorschriften nur schwer zu abstrahieren sind. Solche Fragen sind beispielsweise: p3b_208.018
Was ist mit obscönen Stellen zu beginnen? Jn dem einen Zeitalter p3b_208.019
ist etwas anstößig, während ein anderes gewisse Dinge ohne Anstand p3b_208.020
passieren läßt. Dürfen Auslassungen obscöner Stellen, die doch vom pädagogischen p3b_208.021
wie vom ästhetischen Standpunkte dringend anzuraten sind, als p3b_208.022
Fälschungen betrachtet werden, oder sind jene Übersetzungen vorzuziehen, die schon p3b_208.023
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castae iuventutis laedere possint? (Deutsch: Mit Weglassung aller jener p3b_208.025
Stellen, welche die Ohren einer keuschen Jugend verletzen könnten?) Genügt es, p3b_208.026
zu sagen, man müsse Anstößiges z. B. bei einem Shakespeare mit in den Kauf p3b_208.027
nehmen? Jst es noch eine Übersetzung zu nennen, wenn man dergleichen Dinge p3b_208.028
verschleiert, oder sind Auslassungen gestattet, wie sie sich z. B. Katsch in seiner p3b_208.029
verdienstlichen Übersetzung der Ovidschen ars amandi erlaubte?
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Wie ist es mit den Metaphern zu halten?
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Wenn das betreffende Bild des Originals in der Übersetzersprache fehlt, p3b_208.032
dürfen wir zu dem prosaischen Auskunftsmittel greifen und den Sinn des p3b_208.033
Bildes umschreiben, oder sollen wir ─ was offenbar das Bessere sein möchte p3b_208.034
─ zunächst zu einem verwandten Bilde greifen? u. s. w. u. s. w.
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sofern man Einblick in ihr Thun gewinnt. Man lese z. B. Laube's „Cato p3b_208.037
von Eisen“, der nach der Jdee eines spanischen Stückes geschrieben ist. Um p3b_208.038
zu beweisen, daß er nicht mehr als die Jdee benützte, ließ er von der Tochter p3b_208.039
des bekannten Romanisten Wolf in Wien das ganze Stück übersetzen und schloß p3b_208.040
es seiner Arbeit an. Auf Faust Pachlers Rat und mit Billigung Friedrich p3b_208.041
Halms, der diese Übersetzerin in Vorschlag gebracht hatte, entschloß sich dieselbe: p3b_208.042
1. die poetische Stimmung durch Beibehaltung des Verses zu gewinnen; p3b_208.043
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Spanier, des trochäischen Viertakters, wiederzugeben; 3. die Treue der Übersetzung
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