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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

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[Beginn Spaltensatz]
Sprach: Wieder seh ich das bekannte p3b_248.002
Gefieder, das den Winter haßt. p3b_248.003
O Schwalben, die ihr Trieb gezogen p3b_248.004
Jn dieses heiße Klima fort, p3b_248.005
Aus Frankreich kommt ihr ja geflogen; p3b_248.006
Sagt ihr von meinem Lande mir kein p3b_248.007
Wort?
p3b_248.008
Ein Liebeszeichen mir zu geben, p3b_248.009
Beschwör' ich seit drei Jahren euch; p3b_248.010
Vom Thale, wo mein stilles Leben p3b_248.011
Sich einst gewieget hoffnungsreich. p3b_248.012
Wo eines Bächleins Wellen gehen p3b_248.013
Klar unter den Syringen fort, p3b_248.014
Habt unser Hüttchen ihr gesehen; p3b_248.015
Sagt ihr von jenem Thale mir kein Wort?
p3b_248.016
Vielleicht ist euer Ein's geboren p3b_248.017
An meinem elterlichen Dach; p3b_248.018
Und hörte mit gerührten Ohren p3b_248.019
Der armen Mutter Schmerzens-Ach. p3b_248.020
Hinsterbend, glaubt sie stündlich, meinen p3b_248.021
Gewohnten Tritt zu hören dort: p3b_248.022
Sie horcht, um bitter dann zu weinen. p3b_248.023
Sagt ihr von ihrer Liebe mir kein Wort?
p3b_248.024
Mein Schwesterchen, ist es beraten? p3b_248.025
Habt uns're Jungen ihr gesehn, p3b_248.026
Zur Hochzeit allesamt geladen, p3b_248.027
Jn ihren Liedern sie erhöhn? p3b_248.028
Und meine jungen Waffenbrüder, p3b_248.029
Die mir gefolgt in Tod und Mord, p3b_248.030
Sah'n alle sie das Dörflein wieder? p3b_248.031
Sagt ihr von so viel Freunden mir kein p3b_248.032
Wort?
p3b_248.033
Vielleicht der Fremdling nimmt die Schritte p3b_248.034
Durchs Thal, wohl über sie, zurück; p3b_248.035
Befiehlt als Herr in meiner Hütte, p3b_248.036
Stört meiner Schwester Eheglück. p3b_248.037
Für mich giebt's keiner Mutter Flehen, p3b_248.038
Nur Sklaverei noch hier und dort; p3b_248.039
O, Schwalben, aus der Heimat Höhen, p3b_248.040
Sagt ihr von diesem Jammer mir kein p3b_248.041
Wort?
[Spaltenumbruch] p3b_248.101
"Seid mir gegrüßt im fremden Lande, p3b_248.102
Jhr Vögel, die dem Frost entflohn, p3b_248.103
Jhr Schwalben, die ein hold Vertrauen p3b_248.104
Meerüber trieb ins Sonnenlicht! p3b_248.105
Gewiß, ihr kommt von Frankreichs Auen, p3b_248.106
Und sprecht ihr mir von meiner Heimat p3b_248.107
nicht?
p3b_248.108
O wollt mir endlich Kunde geben p3b_248.109
Vom Thal, wo unsre Hütte liegt, p3b_248.110
Wo sich zuerst mein dunkles Leben p3b_248.111
Jn goldnem Zukunftstraum gewiegt! p3b_248.112
Am klaren Bach, um dessen Blinken p3b_248.113
Sich blühender Hollunder flicht, p3b_248.114
Saht ihr das graue Strohdach winken, p3b_248.115
Und sprecht ihr mir von diesem Thale nicht?
p3b_248.116
Vielleicht fand Eine Nest und Futter p3b_248.117
Am Herd, wo ich zur Welt einst kam; p3b_248.118
Jhr saht die Sehnsucht meiner Mutter, p3b_248.119
Saht ihre Lieb' und ihren Gram; p3b_248.120
Oft wird sie mich zu hören meinen, p3b_248.121
Da strahlt vor Freuden ihr Gesicht; p3b_248.122
Sie horcht; dann fängt sie an zu weinen - p3b_248.123
Und sprecht ihr mir von ihrer Liebe nicht?
p3b_248.124
Ging meine Schwester zum Altare? p3b_248.125
Saht ihr den muntern Hochzeitreihn p3b_248.126
Sie führen mit der Myrt' im Haare? p3b_248.127
Und klang der Burschen Weise drein? p3b_248.128
Und die mit mir als Waffenbrüder p3b_248.129
Jns Feld gerufen Ehr' und Pflicht, p3b_248.130
Sah'n sie das Dörflein alle wieder? p3b_248.131
Und sprecht ihr mir von so viel Freunden p3b_248.132
nicht?
p3b_248.133
Vielleicht ist rot von ihrem Blute p3b_248.134
Der Feind gestürmt an unsern Herd; p3b_248.135
Er praßt als Herr von meinem Gute p3b_248.136
Und hat die Schwester mir entehrt. p3b_248.137
Die Mutter starb in Gram und Schande, p3b_248.138
Und Keiner, der die Fesseln bricht! p3b_248.139
Jhr Schwalben aus dem Vaterlande, p3b_248.140
Und sprecht ihr mir von solchem Jammer p3b_248.141
nicht?"
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Sprach: Wieder seh ich das bekannte p3b_248.002
Gefieder, das den Winter haßt. p3b_248.003
O Schwalben, die ihr Trieb gezogen p3b_248.004
Jn dieses heiße Klima fort, p3b_248.005
Aus Frankreich kommt ihr ja geflogen; p3b_248.006
Sagt ihr von meinem Lande mir kein p3b_248.007
Wort?
p3b_248.008
Ein Liebeszeichen mir zu geben, p3b_248.009
Beschwör' ich seit drei Jahren euch; p3b_248.010
Vom Thale, wo mein stilles Leben p3b_248.011
Sich einst gewieget hoffnungsreich. p3b_248.012
Wo eines Bächleins Wellen gehen p3b_248.013
Klar unter den Syringen fort, p3b_248.014
Habt unser Hüttchen ihr gesehen; p3b_248.015
Sagt ihr von jenem Thale mir kein Wort?
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Vielleicht ist euer Ein's geboren p3b_248.017
An meinem elterlichen Dach; p3b_248.018
Und hörte mit gerührten Ohren p3b_248.019
Der armen Mutter Schmerzens-Ach. p3b_248.020
Hinsterbend, glaubt sie stündlich, meinen p3b_248.021
Gewohnten Tritt zu hören dort: p3b_248.022
Sie horcht, um bitter dann zu weinen. p3b_248.023
Sagt ihr von ihrer Liebe mir kein Wort?
p3b_248.024
Mein Schwesterchen, ist es beraten? p3b_248.025
Habt uns're Jungen ihr gesehn, p3b_248.026
Zur Hochzeit allesamt geladen, p3b_248.027
Jn ihren Liedern sie erhöhn? p3b_248.028
Und meine jungen Waffenbrüder, p3b_248.029
Die mir gefolgt in Tod und Mord, p3b_248.030
Sah'n alle sie das Dörflein wieder? p3b_248.031
Sagt ihr von so viel Freunden mir kein p3b_248.032
Wort?
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Vielleicht der Fremdling nimmt die Schritte p3b_248.034
Durchs Thal, wohl über sie, zurück; p3b_248.035
Befiehlt als Herr in meiner Hütte, p3b_248.036
Stört meiner Schwester Eheglück. p3b_248.037
Für mich giebt's keiner Mutter Flehen, p3b_248.038
Nur Sklaverei noch hier und dort; p3b_248.039
O, Schwalben, aus der Heimat Höhen, p3b_248.040
Sagt ihr von diesem Jammer mir kein p3b_248.041
Wort?
[Spaltenumbruch] p3b_248.101
„Seid mir gegrüßt im fremden Lande, p3b_248.102
Jhr Vögel, die dem Frost entflohn, p3b_248.103
Jhr Schwalben, die ein hold Vertrauen p3b_248.104
Meerüber trieb ins Sonnenlicht! p3b_248.105
Gewiß, ihr kommt von Frankreichs Auen, p3b_248.106
Und sprecht ihr mir von meiner Heimat p3b_248.107
nicht?
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O wollt mir endlich Kunde geben p3b_248.109
Vom Thal, wo unsre Hütte liegt, p3b_248.110
Wo sich zuerst mein dunkles Leben p3b_248.111
Jn goldnem Zukunftstraum gewiegt! p3b_248.112
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Und sprecht ihr mir von diesem Thale nicht?
p3b_248.116
Vielleicht fand Eine Nest und Futter p3b_248.117
Am Herd, wo ich zur Welt einst kam; p3b_248.118
Jhr saht die Sehnsucht meiner Mutter, p3b_248.119
Saht ihre Lieb' und ihren Gram; p3b_248.120
Oft wird sie mich zu hören meinen, p3b_248.121
Da strahlt vor Freuden ihr Gesicht; p3b_248.122
Sie horcht; dann fängt sie an zu weinen ─ p3b_248.123
Und sprecht ihr mir von ihrer Liebe nicht?
p3b_248.124
Ging meine Schwester zum Altare? p3b_248.125
Saht ihr den muntern Hochzeitreihn p3b_248.126
Sie führen mit der Myrt' im Haare? p3b_248.127
Und klang der Burschen Weise drein? p3b_248.128
Und die mit mir als Waffenbrüder p3b_248.129
Jns Feld gerufen Ehr' und Pflicht, p3b_248.130
Sah'n sie das Dörflein alle wieder? p3b_248.131
Und sprecht ihr mir von so viel Freunden p3b_248.132
nicht?
p3b_248.133
Vielleicht ist rot von ihrem Blute p3b_248.134
Der Feind gestürmt an unsern Herd; p3b_248.135
Er praßt als Herr von meinem Gute p3b_248.136
Und hat die Schwester mir entehrt. p3b_248.137
Die Mutter starb in Gram und Schande, p3b_248.138
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Jhr Schwalben aus dem Vaterlande, p3b_248.140
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nicht?“
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[248/0274] p3b_248.001 Sprach: Wieder seh ich das bekannte p3b_248.002 Gefieder, das den Winter haßt. p3b_248.003 O Schwalben, die ihr Trieb gezogen p3b_248.004 Jn dieses heiße Klima fort, p3b_248.005 Aus Frankreich kommt ihr ja geflogen; p3b_248.006 Sagt ihr von meinem Lande mir kein p3b_248.007 Wort? p3b_248.008 Ein Liebeszeichen mir zu geben, p3b_248.009 Beschwör' ich seit drei Jahren euch; p3b_248.010 Vom Thale, wo mein stilles Leben p3b_248.011 Sich einst gewieget hoffnungsreich. p3b_248.012 Wo eines Bächleins Wellen gehen p3b_248.013 Klar unter den Syringen fort, p3b_248.014 Habt unser Hüttchen ihr gesehen; p3b_248.015 Sagt ihr von jenem Thale mir kein Wort? p3b_248.016 Vielleicht ist euer Ein's geboren p3b_248.017 An meinem elterlichen Dach; p3b_248.018 Und hörte mit gerührten Ohren p3b_248.019 Der armen Mutter Schmerzens-Ach. p3b_248.020 Hinsterbend, glaubt sie stündlich, meinen p3b_248.021 Gewohnten Tritt zu hören dort: p3b_248.022 Sie horcht, um bitter dann zu weinen. p3b_248.023 Sagt ihr von ihrer Liebe mir kein Wort? p3b_248.024 Mein Schwesterchen, ist es beraten? p3b_248.025 Habt uns're Jungen ihr gesehn, p3b_248.026 Zur Hochzeit allesamt geladen, p3b_248.027 Jn ihren Liedern sie erhöhn? p3b_248.028 Und meine jungen Waffenbrüder, p3b_248.029 Die mir gefolgt in Tod und Mord, p3b_248.030 Sah'n alle sie das Dörflein wieder? p3b_248.031 Sagt ihr von so viel Freunden mir kein p3b_248.032 Wort? p3b_248.033 Vielleicht der Fremdling nimmt die Schritte p3b_248.034 Durchs Thal, wohl über sie, zurück; p3b_248.035 Befiehlt als Herr in meiner Hütte, p3b_248.036 Stört meiner Schwester Eheglück. p3b_248.037 Für mich giebt's keiner Mutter Flehen, p3b_248.038 Nur Sklaverei noch hier und dort; p3b_248.039 O, Schwalben, aus der Heimat Höhen, p3b_248.040 Sagt ihr von diesem Jammer mir kein p3b_248.041 Wort? p3b_248.101 „Seid mir gegrüßt im fremden Lande, p3b_248.102 Jhr Vögel, die dem Frost entflohn, p3b_248.103 Jhr Schwalben, die ein hold Vertrauen p3b_248.104 Meerüber trieb ins Sonnenlicht! p3b_248.105 Gewiß, ihr kommt von Frankreichs Auen, p3b_248.106 Und sprecht ihr mir von meiner Heimat p3b_248.107 nicht? p3b_248.108 O wollt mir endlich Kunde geben p3b_248.109 Vom Thal, wo unsre Hütte liegt, p3b_248.110 Wo sich zuerst mein dunkles Leben p3b_248.111 Jn goldnem Zukunftstraum gewiegt! p3b_248.112 Am klaren Bach, um dessen Blinken p3b_248.113 Sich blühender Hollunder flicht, p3b_248.114 Saht ihr das graue Strohdach winken, p3b_248.115 Und sprecht ihr mir von diesem Thale nicht? p3b_248.116 Vielleicht fand Eine Nest und Futter p3b_248.117 Am Herd, wo ich zur Welt einst kam; p3b_248.118 Jhr saht die Sehnsucht meiner Mutter, p3b_248.119 Saht ihre Lieb' und ihren Gram; p3b_248.120 Oft wird sie mich zu hören meinen, p3b_248.121 Da strahlt vor Freuden ihr Gesicht; p3b_248.122 Sie horcht; dann fängt sie an zu weinen ─ p3b_248.123 Und sprecht ihr mir von ihrer Liebe nicht? p3b_248.124 Ging meine Schwester zum Altare? p3b_248.125 Saht ihr den muntern Hochzeitreihn p3b_248.126 Sie führen mit der Myrt' im Haare? p3b_248.127 Und klang der Burschen Weise drein? p3b_248.128 Und die mit mir als Waffenbrüder p3b_248.129 Jns Feld gerufen Ehr' und Pflicht, p3b_248.130 Sah'n sie das Dörflein alle wieder? p3b_248.131 Und sprecht ihr mir von so viel Freunden p3b_248.132 nicht? p3b_248.133 Vielleicht ist rot von ihrem Blute p3b_248.134 Der Feind gestürmt an unsern Herd; p3b_248.135 Er praßt als Herr von meinem Gute p3b_248.136 Und hat die Schwester mir entehrt. p3b_248.137 Die Mutter starb in Gram und Schande, p3b_248.138 Und Keiner, der die Fesseln bricht! p3b_248.139 Jhr Schwalben aus dem Vaterlande, p3b_248.140 Und sprecht ihr mir von solchem Jammer p3b_248.141 nicht?“

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/274>, abgerufen am 22.11.2024.