Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_013.001 p3b_013.011 Furchtbar ist deine Rede, doch dein Blick ist sanft. p3b_013.017(Schiller, Jungfrau II, 7.) p3b_013.018 p3b_013.019 p3b_013.020 p3b_013.033 p3b_013.037 p3b_013.001 p3b_013.011 Fū́rchtbār ĭst dēine Rede, doch dein Blick ist sanft. p3b_013.017(Schiller, Jungfrau II, 7.) p3b_013.018 p3b_013.019 p3b_013.020 p3b_013.033 p3b_013.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0039" n="13"/> <p><lb n="p3b_013.001"/> 3. Die nach Dipodien messenden Alten konnten die einzelnen <lb n="p3b_013.002"/> Dipodien mit einem Spondeus (––) beginnen. Es kam nur darauf <lb n="p3b_013.003"/> an, daß die Dipodien mit einem Jambus schlossen. Wenn wir dies <lb n="p3b_013.004"/> im Deutschen nachahmen wollten, so müßten wir uns (da unser Senar <lb n="p3b_013.005"/> ein Accentvers ist) wenigstens steigender Spondeen (z. B. Glāubst dū́? <lb n="p3b_013.006"/> Tūrnī́er) bedienen und dieselben also nur im 1., 3. und 5. Takt anwenden. <lb n="p3b_013.007"/> Der Verscharakter würde nicht gestört werden, da der Jambus <lb n="p3b_013.008"/> (im 2., 4. und 6. Takt) doch immer das letzte Wort behalten könnte. <lb n="p3b_013.009"/> Die Einfügung von steigenden Spondeen beugt der Monotonie vor <lb n="p3b_013.010"/> und hemmt die allzurasche Bewegung.</p> <p><lb n="p3b_013.011"/> 4. Ein fallender Spondeus (z. B. Dḗnkmāl, Nṓrdwīnd) stört den <lb n="p3b_013.012"/> rhythmischen Fluß in auffallender Weise und ist nur dann zu gestatten, <lb n="p3b_013.013"/> wenn er die Jncision oder vielmehr den Beginn des neuen Verses <lb n="p3b_013.014"/> markiert, oder wenn er den Satzaccent unterstützt, in welchem Fall er <lb n="p3b_013.015"/> sogar als Schönheit empfunden werden kann, z. B.:</p> <lb n="p3b_013.016"/> <lg> <l>Fū́rchtbār ĭst dēine Rede, doch dein Blick ist sanft.</l> </lg> <lb n="p3b_013.017"/> <p> <hi rendition="#right">(Schiller, Jungfrau <hi rendition="#aq">II</hi>, 7.)</hi> </p> <p><lb n="p3b_013.018"/> (Vgl. auch Lenau <hi rendition="#aq">II</hi>, 32: Sā́atkȫrner seines Ruhms &c.)</p> <p><lb n="p3b_013.019"/> An Stelle des Spondeus kann auch ein Trochäus (–⏑) treten.</p> <p><lb n="p3b_013.020"/> 5. Unsere deutsche rhythmische Form bleibt anspruchsloser, als die <lb n="p3b_013.021"/> griechische. Es liegt dies in unserem ruhigeren Volkscharakter, der die <lb n="p3b_013.022"/> Beweglichkeit des südländischen nie geteilt hat. Alle deutschen Dichter, <lb n="p3b_013.023"/> welche sich einredeten, die Rhythmik der ältesten Völker auf unsere <lb n="p3b_013.024"/> Sprache übertragen zu sollen, sind gescheitert, sind unpopulär geworden <lb n="p3b_013.025"/> oder geblieben. Bei den Alten galten zwei Kürzen als eine Länge, <lb n="p3b_013.026"/> wodurch es sich erklärt, daß wir bei ihren Nachahmern Daktylen und <lb n="p3b_013.027"/> Anapäste im Trimeter finden. Bei uns ist die Auflösung der Arsislänge <lb n="p3b_013.028"/> in 2 Kürzen undenkbar. Es kann also höchstens ein Anapäst (⏑⏑–) <lb n="p3b_013.029"/> eingefügt werden. Ein Daktylus (–⏑⏑) könnte nur am Anfang an <lb n="p3b_013.030"/> Stelle des Trochäus (–⏑) eintreten. Viele Anapäste einzumischen ist <lb n="p3b_013.031"/> gefährlich, da diese anstürmenden, leicht beschwingten Takte sich dem <lb n="p3b_013.032"/> Ohre rasch empfehlen.</p> <p><lb n="p3b_013.033"/> 6. Die Cäsuren sind den Diäresen im Senarius vorzuziehen, da <lb n="p3b_013.034"/> letztere die Bedeutung der Cäsuren verdunkeln könnten. Die erste Vorschrift <lb n="p3b_013.035"/> ist, eine stehende Diärese inmitten des Verses zu vermeiden, weil <lb n="p3b_013.036"/> dieselbe den Senar zum Alexandriner gestalten würde.</p> <p><lb n="p3b_013.037"/> 7. Als Grundform des Senars könnte man es bezeichnen, wenn <lb n="p3b_013.038"/> die Cäsur im 3. Takt sich befindet. Jn diesem Falle kann man ein <lb n="p3b_013.039"/> umklammerndes Wort einfügen, um nicht in den trochäischen Rhythmus <lb n="p3b_013.040"/> zu geraten.</p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [13/0039]
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3. Die nach Dipodien messenden Alten konnten die einzelnen p3b_013.002
Dipodien mit einem Spondeus (––) beginnen. Es kam nur darauf p3b_013.003
an, daß die Dipodien mit einem Jambus schlossen. Wenn wir dies p3b_013.004
im Deutschen nachahmen wollten, so müßten wir uns (da unser Senar p3b_013.005
ein Accentvers ist) wenigstens steigender Spondeen (z. B. Glāubst dū́? p3b_013.006
Tūrnī́er) bedienen und dieselben also nur im 1., 3. und 5. Takt anwenden. p3b_013.007
Der Verscharakter würde nicht gestört werden, da der Jambus p3b_013.008
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Die Einfügung von steigenden Spondeen beugt der Monotonie vor p3b_013.010
und hemmt die allzurasche Bewegung.
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4. Ein fallender Spondeus (z. B. Dḗnkmāl, Nṓrdwīnd) stört den p3b_013.012
rhythmischen Fluß in auffallender Weise und ist nur dann zu gestatten, p3b_013.013
wenn er die Jncision oder vielmehr den Beginn des neuen Verses p3b_013.014
markiert, oder wenn er den Satzaccent unterstützt, in welchem Fall er p3b_013.015
sogar als Schönheit empfunden werden kann, z. B.:
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Fū́rchtbār ĭst dēine Rede, doch dein Blick ist sanft.
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(Schiller, Jungfrau II, 7.)
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(Vgl. auch Lenau II, 32: Sā́atkȫrner seines Ruhms &c.)
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An Stelle des Spondeus kann auch ein Trochäus (–⏑) treten.
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5. Unsere deutsche rhythmische Form bleibt anspruchsloser, als die p3b_013.021
griechische. Es liegt dies in unserem ruhigeren Volkscharakter, der die p3b_013.022
Beweglichkeit des südländischen nie geteilt hat. Alle deutschen Dichter, p3b_013.023
welche sich einredeten, die Rhythmik der ältesten Völker auf unsere p3b_013.024
Sprache übertragen zu sollen, sind gescheitert, sind unpopulär geworden p3b_013.025
oder geblieben. Bei den Alten galten zwei Kürzen als eine Länge, p3b_013.026
wodurch es sich erklärt, daß wir bei ihren Nachahmern Daktylen und p3b_013.027
Anapäste im Trimeter finden. Bei uns ist die Auflösung der Arsislänge p3b_013.028
in 2 Kürzen undenkbar. Es kann also höchstens ein Anapäst (⏑⏑–) p3b_013.029
eingefügt werden. Ein Daktylus (–⏑⏑) könnte nur am Anfang an p3b_013.030
Stelle des Trochäus (–⏑) eintreten. Viele Anapäste einzumischen ist p3b_013.031
gefährlich, da diese anstürmenden, leicht beschwingten Takte sich dem p3b_013.032
Ohre rasch empfehlen.
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letztere die Bedeutung der Cäsuren verdunkeln könnten. Die erste Vorschrift p3b_013.035
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dieselbe den Senar zum Alexandriner gestalten würde.
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7. Als Grundform des Senars könnte man es bezeichnen, wenn p3b_013.038
die Cäsur im 3. Takt sich befindet. Jn diesem Falle kann man ein p3b_013.039
umklammerndes Wort einfügen, um nicht in den trochäischen Rhythmus p3b_013.040
zu geraten.
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