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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

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Kennst du den obersten Priester? für uns stets hat er gebetet p3b_042.002
Ernst in dem Kreis der Natur, den er zum Tempel gemacht. p3b_042.003
Da er von uns abschied, wer soll statt seiner erscheinen, p3b_042.004
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Ach! wohl gilt es zu trauern um ihn, den nun wir verloren, p3b_042.006
Und um die andern, die nicht ihn verlieren gekonnt. p3b_042.007
Denn nicht allen hat er gelebt; doch in künftiger Zeit noch p3b_042.008
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Bis einst dies Jahrhundert sich schließt, steht selbst er geduldig

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V. Übungen im gemischten Rhythmus.
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§ 16. Bildung logaödischer (gemischter) Verse.

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1. Die Mischungen von verschiedenen Metren sind ziemlich vielfältig, p3b_042.014
was auch unsere Übungen des 5. Hauptstücks darthun werden.

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2. Die neueren Dichter beschränken sich meistenteils - sofern p3b_042.016
sie nicht freie Accentverse vorziehen - auf Einmischung von Anapästen p3b_042.017
(BreveBreve-) in den jambischen Rhythmus, sowie von Daktylen (-BreveBreve) in den p3b_042.018
trochäischen.

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3. Da wir dem jambisch=anapästischen Rhythmus mehrfache p3b_042.020
Übungen im 3. Hauptstücke widmen konnten und im 5. Hauptstück die p3b_042.021
gemischten antiken Maße berücksichtigen werden, so können wir uns p3b_042.022
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in den trochäischen Rhythmus des deutschen Verses zu üben.

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4. Um dem immer neu ins Stocken geratenden trochäischen p3b_042.025
Verse größere Beweglichkeit zu verleihen, empfiehlt sich diese Einmischung p3b_042.026
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5. Der Anfänger hat sein Augenmerk auf Wiederkehr und Anordnung p3b_042.028
des Daktylus zu richten.

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6. Überhaupt verlangt die Symmetrie, daß dem Daktylus kein p3b_042.030
Übergewicht eingeräumt werde.

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Aufgabe. Viertaktige trochäisch=daktylische Verse. p3b_042.032
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Stoff. Grauenvoll, schwindelnd sind die Felswände, die von Adlern p3b_042.034
umschwebten Riesenberge, welche das Felsenantlitz widerspiegeln in dem stillen, p3b_042.035
tannenbekränzten schwarzen Bergsee: Grauenvoll ist das heimliche Atmen, p3b_042.036
Wogen, Weben, Todeslächeln, zu vergleichen Hertha's heiliger Waldsee auf p3b_042.037
der vom Nordlicht umflammten Jnsel, wo den Wagen der Göttin weiße Kühe

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Kennst du den obersten Priester? für uns stets hat er gebetet p3b_042.002
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V. Übungen im gemischten Rhythmus.
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§ 16. Bildung logaödischer (gemischter) Verse.

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1. Die Mischungen von verschiedenen Metren sind ziemlich vielfältig, p3b_042.014
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Verse größere Beweglichkeit zu verleihen, empfiehlt sich diese Einmischung p3b_042.026
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/68>, abgerufen am 20.05.2024.