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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Stilpe.

Barmann hatte noch viel vom alten und neuen
Sturm und Drang. Obwohl er am wenigsten von
der wirklichen Welt wußte (wie denn Alle, mit Aus¬
nahme Stilpes, ziemlich unwissend in diesem Punkte
waren), haßte er diese Welt doch mit einem sehr
grimmigen Hasse und wollte ihr "in machtvoll
wahren, meinethalben krassen Dramen einen Spiegel
vorhalten, daß sie sich vor Selbstekel übergeben
sollte."

Stilpe aber hatte so viel Pläne, daß niemand
recht wußte, was er eigentlich vorhatte.

Manchmal fühlten sie ihm höhnisch auf den
Zahn: Ob er vielleicht immer blos seine jeweiligen
Betthasen besingen wolle?

Er aber antwortete gelassen: Wohl möglich!
Jedenfalls wird immer mein Prinzip sein: Erst
leben und dann dichten! Ich heiße doch nicht Müller
von der Werra, sapristi! Ich bin doch nicht blos zum
Skandieren da! Das Dichten ist blos Wiederkäuen
des Genusses. Aber um wiederkäuen zu können,
muß man vorgekäut haben. Verlaßt euch drauf:
Ich werde enorm vorkäuen!

Die andern fühlten instinktiv, daß er der
Einzige unter ihnen war, der sein Programm sicher
durchführen würde, und sie hatten deshalb viel

Stilpe.

Barmann hatte noch viel vom alten und neuen
Sturm und Drang. Obwohl er am wenigſten von
der wirklichen Welt wußte (wie denn Alle, mit Aus¬
nahme Stilpes, ziemlich unwiſſend in dieſem Punkte
waren), haßte er dieſe Welt doch mit einem ſehr
grimmigen Haſſe und wollte ihr „in machtvoll
wahren, meinethalben kraſſen Dramen einen Spiegel
vorhalten, daß ſie ſich vor Selbſtekel übergeben
ſollte.“

Stilpe aber hatte ſo viel Pläne, daß niemand
recht wußte, was er eigentlich vorhatte.

Manchmal fühlten ſie ihm höhniſch auf den
Zahn: Ob er vielleicht immer blos ſeine jeweiligen
Betthaſen beſingen wolle?

Er aber antwortete gelaſſen: Wohl möglich!
Jedenfalls wird immer mein Prinzip ſein: Erſt
leben und dann dichten! Ich heiße doch nicht Müller
von der Werra, ſapriſti! Ich bin doch nicht blos zum
Skandieren da! Das Dichten iſt blos Wiederkäuen
des Genuſſes. Aber um wiederkäuen zu können,
muß man vorgekäut haben. Verlaßt euch drauf:
Ich werde enorm vorkäuen!

Die andern fühlten inſtinktiv, daß er der
Einzige unter ihnen war, der ſein Programm ſicher
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[188/0202] Stilpe. Barmann hatte noch viel vom alten und neuen Sturm und Drang. Obwohl er am wenigſten von der wirklichen Welt wußte (wie denn Alle, mit Aus¬ nahme Stilpes, ziemlich unwiſſend in dieſem Punkte waren), haßte er dieſe Welt doch mit einem ſehr grimmigen Haſſe und wollte ihr „in machtvoll wahren, meinethalben kraſſen Dramen einen Spiegel vorhalten, daß ſie ſich vor Selbſtekel übergeben ſollte.“ Stilpe aber hatte ſo viel Pläne, daß niemand recht wußte, was er eigentlich vorhatte. Manchmal fühlten ſie ihm höhniſch auf den Zahn: Ob er vielleicht immer blos ſeine jeweiligen Betthaſen beſingen wolle? Er aber antwortete gelaſſen: Wohl möglich! Jedenfalls wird immer mein Prinzip ſein: Erſt leben und dann dichten! Ich heiße doch nicht Müller von der Werra, ſapriſti! Ich bin doch nicht blos zum Skandieren da! Das Dichten iſt blos Wiederkäuen des Genuſſes. Aber um wiederkäuen zu können, muß man vorgekäut haben. Verlaßt euch drauf: Ich werde enorm vorkäuen! Die andern fühlten inſtinktiv, daß er der Einzige unter ihnen war, der ſein Programm ſicher durchführen würde, und ſie hatten deshalb viel

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/202>, abgerufen am 21.11.2024.