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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Viertes Buch, zweites Kapitel.
man durfte mit Recht und ohne Übertreibung
sagen, daß ein geordneter, ökonomisch disponierender
Litterat von diesem einen Bogen gut ein Jahr
seine geistigen Ausgabebedürfnisse hätte bestreiten
können.

Leidenschaften kannte der Peripathetiker nicht,
doch liebte er kleine Mädchen, so bis zum 10. Jahre
etwa, sehr. Für die Seele des Kindes war er
geradezu hellseherisch begabt, und man konnte
Kleinodien an Kinderscenen von ihm vernehmen.

Er konnte übrigens ohne Alkohol auskommen.

Nicht so der dritte der Eigentlichen: Kasimir,
der Fugenorgler. Es war ein gar wilder Pole
voll von Dämonie und allen Künsten der Blague.
Er hatte als Dichter nur ein Thema, Stilpe
nannte es die medizinisch-katholische Abgrundweis,
aber dieses beherrschte er mit der Meisterschaft
bornierter Genies. Sein Dichten war eine Art
verzückter Drehkrankheit, und man wußte nicht, ob
er sich drehte, um zu dichten, oder ob er dichtete,
um sich zu drehen. Doch konnte sich keiner der
Macht dieser grandios wirren Eintönigkeit ent¬
ziehen. Es war schöpferische Besessenheit, die in¬
dessen manchmal mehr Beängstigung als künstle¬
rischen Genuß hervorrief. Er wäre als Gesell¬

Viertes Buch, zweites Kapitel.
man durfte mit Recht und ohne Übertreibung
ſagen, daß ein geordneter, ökonomiſch diſponierender
Litterat von dieſem einen Bogen gut ein Jahr
ſeine geiſtigen Ausgabebedürfniſſe hätte beſtreiten
können.

Leidenſchaften kannte der Peripathetiker nicht,
doch liebte er kleine Mädchen, ſo bis zum 10. Jahre
etwa, ſehr. Für die Seele des Kindes war er
geradezu hellſeheriſch begabt, und man konnte
Kleinodien an Kinderſcenen von ihm vernehmen.

Er konnte übrigens ohne Alkohol auskommen.

Nicht ſo der dritte der Eigentlichen: Kaſimir,
der Fugenorgler. Es war ein gar wilder Pole
voll von Dämonie und allen Künſten der Blague.
Er hatte als Dichter nur ein Thema, Stilpe
nannte es die mediziniſch-katholiſche Abgrundweis,
aber dieſes beherrſchte er mit der Meiſterſchaft
bornierter Genies. Sein Dichten war eine Art
verzückter Drehkrankheit, und man wußte nicht, ob
er ſich drehte, um zu dichten, oder ob er dichtete,
um ſich zu drehen. Doch konnte ſich keiner der
Macht dieſer grandios wirren Eintönigkeit ent¬
ziehen. Es war ſchöpferiſche Beſeſſenheit, die in¬
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[333/0347] Viertes Buch, zweites Kapitel. man durfte mit Recht und ohne Übertreibung ſagen, daß ein geordneter, ökonomiſch diſponierender Litterat von dieſem einen Bogen gut ein Jahr ſeine geiſtigen Ausgabebedürfniſſe hätte beſtreiten können. Leidenſchaften kannte der Peripathetiker nicht, doch liebte er kleine Mädchen, ſo bis zum 10. Jahre etwa, ſehr. Für die Seele des Kindes war er geradezu hellſeheriſch begabt, und man konnte Kleinodien an Kinderſcenen von ihm vernehmen. Er konnte übrigens ohne Alkohol auskommen. Nicht ſo der dritte der Eigentlichen: Kaſimir, der Fugenorgler. Es war ein gar wilder Pole voll von Dämonie und allen Künſten der Blague. Er hatte als Dichter nur ein Thema, Stilpe nannte es die mediziniſch-katholiſche Abgrundweis, aber dieſes beherrſchte er mit der Meiſterſchaft bornierter Genies. Sein Dichten war eine Art verzückter Drehkrankheit, und man wußte nicht, ob er ſich drehte, um zu dichten, oder ob er dichtete, um ſich zu drehen. Doch konnte ſich keiner der Macht dieſer grandios wirren Eintönigkeit ent¬ ziehen. Es war ſchöpferiſche Beſeſſenheit, die in¬ deſſen manchmal mehr Beängſtigung als künſtle¬ riſchen Genuß hervorrief. Er wäre als Geſell¬

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/347>, abgerufen am 22.11.2024.