Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.Stilpe. Es kam vor, daß er im Tiergarten übernachtete.Sonst wohnte er bei Freunden herum. Dabei war er von sehr edlem Anstande und fühlte die Würde seines Geistes. Traf es sich, daß er in "bürgerlicher Gesellschaft" war, so trug er sofort, doch ohne Pose, ganz aus einem inneren Über¬ legenheitsgefühl, den Propheten zur Schau, der die Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt. Er hätte einen guten, feinen Mönch abgegeben, wenn er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte. Sein ganzes Leben war ein unausgesetztes Denken und Dichten. Wo auch immer er war: Er schrieb, und stets trug er Manuskripte mit sich herum, reich genug, fünf Nummern der Times zu füllen. Nur konnten sie nicht abgedruckt werden, da sie niemand außer ihm lesen konnte. In schwierigen Fällen war er selber nicht dazu imstande. Stilpe besaß ein Manuskript von ihm, einen Concept¬ bogen in Quart, der außer den ersten Scenen zu einem Drama zwei Kapitel aus verschiedenen Ro¬ manen, sechs Gedichte in Prosa, drei in Versen und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und verschiedene Essay-Brouillons enthielt, alles durch¬ einander geschrieben, erst wagerecht, dann in senk¬ rechten, dann in diagonalen Zeilen dazu. Und Stilpe. Es kam vor, daß er im Tiergarten übernachtete.Sonſt wohnte er bei Freunden herum. Dabei war er von ſehr edlem Anſtande und fühlte die Würde ſeines Geiſtes. Traf es ſich, daß er in „bürgerlicher Geſellſchaft“ war, ſo trug er ſofort, doch ohne Poſe, ganz aus einem inneren Über¬ legenheitsgefühl, den Propheten zur Schau, der die Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt. Er hätte einen guten, feinen Mönch abgegeben, wenn er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte. Sein ganzes Leben war ein unausgeſetztes Denken und Dichten. Wo auch immer er war: Er ſchrieb, und ſtets trug er Manuſkripte mit ſich herum, reich genug, fünf Nummern der Times zu füllen. Nur konnten ſie nicht abgedruckt werden, da ſie niemand außer ihm leſen konnte. In ſchwierigen Fällen war er ſelber nicht dazu imſtande. Stilpe beſaß ein Manuſkript von ihm, einen Concept¬ bogen in Quart, der außer den erſten Scenen zu einem Drama zwei Kapitel aus verſchiedenen Ro¬ manen, ſechs Gedichte in Proſa, drei in Verſen und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und verſchiedene Eſſay-Brouillons enthielt, alles durch¬ einander geſchrieben, erſt wagerecht, dann in ſenk¬ rechten, dann in diagonalen Zeilen dazu. Und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0346" n="332"/><fw place="top" type="header">Stilpe.<lb/></fw>Es kam vor, daß er im Tiergarten übernachtete.<lb/> Sonſt wohnte er bei Freunden herum. Dabei<lb/> war er von ſehr edlem Anſtande und fühlte die<lb/> Würde ſeines Geiſtes. Traf es ſich, daß er in<lb/> „bürgerlicher Geſellſchaft“ war, ſo trug er ſofort,<lb/> doch ohne Poſe, ganz aus einem inneren Über¬<lb/> legenheitsgefühl, den Propheten zur Schau, der die<lb/> Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt. Er<lb/> hätte einen guten, feinen Mönch abgegeben, wenn<lb/> er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte. Sein<lb/> ganzes Leben war ein unausgeſetztes Denken und<lb/> Dichten. Wo auch immer er war: Er ſchrieb,<lb/> und ſtets trug er Manuſkripte mit ſich herum,<lb/> reich genug, fünf Nummern der Times zu füllen.<lb/> Nur konnten ſie nicht abgedruckt werden, da ſie<lb/> niemand außer ihm leſen konnte. In ſchwierigen<lb/> Fällen war er ſelber nicht dazu imſtande. Stilpe<lb/> beſaß ein Manuſkript von ihm, einen Concept¬<lb/> bogen in Quart, der außer den erſten Scenen zu<lb/> einem Drama zwei Kapitel aus verſchiedenen Ro¬<lb/> manen, ſechs Gedichte in Proſa, drei in Verſen<lb/> und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und<lb/> verſchiedene Eſſay-Brouillons enthielt, alles durch¬<lb/> einander geſchrieben, erſt wagerecht, dann in ſenk¬<lb/> rechten, dann in diagonalen Zeilen dazu. Und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [332/0346]
Stilpe.
Es kam vor, daß er im Tiergarten übernachtete.
Sonſt wohnte er bei Freunden herum. Dabei
war er von ſehr edlem Anſtande und fühlte die
Würde ſeines Geiſtes. Traf es ſich, daß er in
„bürgerlicher Geſellſchaft“ war, ſo trug er ſofort,
doch ohne Poſe, ganz aus einem inneren Über¬
legenheitsgefühl, den Propheten zur Schau, der die
Gewöhnlichen milde zum Handkuß zuläßt. Er
hätte einen guten, feinen Mönch abgegeben, wenn
er nicht etwas Vagantenhaftes gehabt hätte. Sein
ganzes Leben war ein unausgeſetztes Denken und
Dichten. Wo auch immer er war: Er ſchrieb,
und ſtets trug er Manuſkripte mit ſich herum,
reich genug, fünf Nummern der Times zu füllen.
Nur konnten ſie nicht abgedruckt werden, da ſie
niemand außer ihm leſen konnte. In ſchwierigen
Fällen war er ſelber nicht dazu imſtande. Stilpe
beſaß ein Manuſkript von ihm, einen Concept¬
bogen in Quart, der außer den erſten Scenen zu
einem Drama zwei Kapitel aus verſchiedenen Ro¬
manen, ſechs Gedichte in Proſa, drei in Verſen
und außerdem etwa fünf Dutzend Aphorismen und
verſchiedene Eſſay-Brouillons enthielt, alles durch¬
einander geſchrieben, erſt wagerecht, dann in ſenk¬
rechten, dann in diagonalen Zeilen dazu. Und
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