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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897.

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Viertes Buch, viertes Kapitel.
Und zwar so, daß er erst alle möglichen gewöhn¬
lichen Selbstmordgründe ablehnte, um schließlich als
einzig zwingenden und berechtigten Grund den
anzuführen: Es giebt kein Getränk mehr, das
mich umbringen könnte, drum muß ick mir selber
umbringen.

Nun zog er den Strick hervor und sang ihn als
"Schnaps der Schnäpse" an. Während der Schlu߬
strophe warf er den Strick um einen Laternen¬
haken, und während der Vorhang fiel, legt er sich
den Strick um den Hals.

Ich atmete auf, wie der Vorhang unten war.
Das Publikum aber klatschte wie besessen. Nach
einer Weile hob sich der Vorhang wieder, und ich
sah, daß die Originalität unseres verflossenen
Freundes auch als Tingeltangelsänger keine Grenzen
kennt: Der Dichter hing an der Laterne und sang,
ungeachtet des Einspruchs der Naturgesetze, in dieser
Situation, röchelnd und nach Luft schnappend, sein
Schwanenlied, eine schauerliche Mischung von
Grausen, grotesker Komik und Cynismus. Dann
ein letztes Schlenkern mit den Beinen, die Zunge
weit heraus, dem Publikum entgegengestreckt, --
der Vorhang fiel. So oft er sich wieder unter
dem Beifallgewieher des Publikums hob, sah man

Viertes Buch, viertes Kapitel.
Und zwar ſo, daß er erſt alle möglichen gewöhn¬
lichen Selbſtmordgründe ablehnte, um ſchließlich als
einzig zwingenden und berechtigten Grund den
anzuführen: Es giebt kein Getränk mehr, das
mich umbringen könnte, drum muß ick mir ſelber
umbringen.

Nun zog er den Strick hervor und ſang ihn als
„Schnaps der Schnäpſe“ an. Während der Schlu߬
ſtrophe warf er den Strick um einen Laternen¬
haken, und während der Vorhang fiel, legt er ſich
den Strick um den Hals.

Ich atmete auf, wie der Vorhang unten war.
Das Publikum aber klatſchte wie beſeſſen. Nach
einer Weile hob ſich der Vorhang wieder, und ich
ſah, daß die Originalität unſeres verfloſſenen
Freundes auch als Tingeltangelſänger keine Grenzen
kennt: Der Dichter hing an der Laterne und ſang,
ungeachtet des Einſpruchs der Naturgeſetze, in dieſer
Situation, röchelnd und nach Luft ſchnappend, ſein
Schwanenlied, eine ſchauerliche Miſchung von
Grauſen, grotesker Komik und Cynismus. Dann
ein letztes Schlenkern mit den Beinen, die Zunge
weit heraus, dem Publikum entgegengeſtreckt, —
der Vorhang fiel. So oft er ſich wieder unter
dem Beifallgewieher des Publikums hob, ſah man

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[397/0411] Viertes Buch, viertes Kapitel. Und zwar ſo, daß er erſt alle möglichen gewöhn¬ lichen Selbſtmordgründe ablehnte, um ſchließlich als einzig zwingenden und berechtigten Grund den anzuführen: Es giebt kein Getränk mehr, das mich umbringen könnte, drum muß ick mir ſelber umbringen. Nun zog er den Strick hervor und ſang ihn als „Schnaps der Schnäpſe“ an. Während der Schlu߬ ſtrophe warf er den Strick um einen Laternen¬ haken, und während der Vorhang fiel, legt er ſich den Strick um den Hals. Ich atmete auf, wie der Vorhang unten war. Das Publikum aber klatſchte wie beſeſſen. Nach einer Weile hob ſich der Vorhang wieder, und ich ſah, daß die Originalität unſeres verfloſſenen Freundes auch als Tingeltangelſänger keine Grenzen kennt: Der Dichter hing an der Laterne und ſang, ungeachtet des Einſpruchs der Naturgeſetze, in dieſer Situation, röchelnd und nach Luft ſchnappend, ſein Schwanenlied, eine ſchauerliche Miſchung von Grauſen, grotesker Komik und Cynismus. Dann ein letztes Schlenkern mit den Beinen, die Zunge weit heraus, dem Publikum entgegengeſtreckt, — der Vorhang fiel. So oft er ſich wieder unter dem Beifallgewieher des Publikums hob, ſah man

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Zitationshilfe: Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/411>, abgerufen am 21.11.2024.