Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Binder, Sidonie: Zum Wiesbadener Ärztetag. In: Die Frau 12 (1898). S. 705–712.

Bild:
erste Seite
Zum Wiesbadener Ärztetag.

Nachdruck verboten.


Vom übel berichteten an den besser zu unterrichtenden Papst appellieren zu müssen,
bildet eine der am häufigsten wiederkehrenden Aufgaben der deutschen Frauen-
bewegung. Aber vor einem quantitativ so wenig und qualitativ so ungenau informierten
Papst, wie der in dem 26. deutschen Ärztetag verkörperte, hat sie doch noch selten
gestanden. "Man sollte fast annehmen, daß die Herren in Allongeperücken, Escarpins
und Kniehosen als Vertreter einer verflossenen Kulturperiode getagt haben", sagt ein
ärztlicher Kollege (Dr. med. R. K.) darüber in der "Krefelder Zeitung" vom
7. Juli d. J.

Jn der That will einen dünken, als ob an den erwählten Abgesandten der
deutschen Heilkünstler, die in der letzten Juniwoche d. J. zu Wiesbaden versammelt
waren, um neben sonstigen Standesangelegenheiten auch über das Medizinstudium
der Frauen
sich auszusprechen, maßgebende Teile der geistigen, vor allem aber der
sozialen Strömungen der letzten 25 Jahre spurlos vorübergegangen seien. Und doch
könnte billigerweise verlangt werden, daß eine Versammlung von Männern, die zu
einer so tief in unsrer historischen Gesamtentwicklung wurzelnden, so solidarisch mit
den Bedürfnissen der Zeit verbundenen, die Gemüter so energisch und nachhaltig
ergreifenden Sache, wie die Frauenbewegung unsrer Tage, auch nur in einem ihrer
Teile sich offiziell äußert, über das Wesen und Wollen dieser Bewegung einigermaßen
orientiert wäre. Aber davon zeigte sich zu Wiesbaden kaum eine Spur. Nicht einmal
die Elemente eines allenfallsigen Verständnisses hatten die Herren bei sich verarbeitet.
Die wenigen Ausnahmen seien natürlich auch hier freundlich begrüßt.


45
Zum Wiesbadener Ärztetag.

Nachdruck verboten.


Vom übel berichteten an den besser zu unterrichtenden Papst appellieren zu müssen,
bildet eine der am häufigsten wiederkehrenden Aufgaben der deutschen Frauen-
bewegung. Aber vor einem quantitativ so wenig und qualitativ so ungenau informierten
Papst, wie der in dem 26. deutschen Ärztetag verkörperte, hat sie doch noch selten
gestanden. „Man sollte fast annehmen, daß die Herren in Allongeperücken, Escarpins
und Kniehosen als Vertreter einer verflossenen Kulturperiode getagt haben“, sagt ein
ärztlicher Kollege (Dr. med. R. K.) darüber in der „Krefelder Zeitung“ vom
7. Juli d. J.

Jn der That will einen dünken, als ob an den erwählten Abgesandten der
deutschen Heilkünstler, die in der letzten Juniwoche d. J. zu Wiesbaden versammelt
waren, um neben sonstigen Standesangelegenheiten auch über das Medizinstudium
der Frauen
sich auszusprechen, maßgebende Teile der geistigen, vor allem aber der
sozialen Strömungen der letzten 25 Jahre spurlos vorübergegangen seien. Und doch
könnte billigerweise verlangt werden, daß eine Versammlung von Männern, die zu
einer so tief in unsrer historischen Gesamtentwicklung wurzelnden, so solidarisch mit
den Bedürfnissen der Zeit verbundenen, die Gemüter so energisch und nachhaltig
ergreifenden Sache, wie die Frauenbewegung unsrer Tage, auch nur in einem ihrer
Teile sich offiziell äußert, über das Wesen und Wollen dieser Bewegung einigermaßen
orientiert wäre. Aber davon zeigte sich zu Wiesbaden kaum eine Spur. Nicht einmal
die Elemente eines allenfallsigen Verständnisses hatten die Herren bei sich verarbeitet.
Die wenigen Ausnahmen seien natürlich auch hier freundlich begrüßt.


45
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0001" n="[705]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Zum Wiesbadener Ärztetag.</hi> </head><lb/>
        <byline>Von<lb/><hi rendition="#b"><persName>Sidonie Binder</persName>.</hi></byline><lb/>
        <div type="imprimatur">
          <p>Nachdruck verboten.</p><lb/>
        </div>
        <div>
          <p><hi rendition="#in">V</hi>om übel berichteten an den besser zu                         unterrichtenden Papst appellieren zu müssen,<lb/>
bildet eine der am                         häufigsten wiederkehrenden Aufgaben der deutschen Frauen-<lb/>
bewegung.                         Aber vor einem quantitativ so wenig und qualitativ so ungenau                         informierten<lb/>
Papst, wie der in dem 26. deutschen Ärztetag verkörperte,                         hat sie doch noch selten<lb/>
gestanden. &#x201E;Man sollte fast annehmen,                         daß die Herren in Allongeperücken, Escarpins<lb/>
und Kniehosen als                         Vertreter einer verflossenen Kulturperiode getagt haben&#x201C;, sagt                         ein<lb/>
ärztlicher Kollege (<hi rendition="#aq">Dr. med.</hi> R. K.)                         darüber in der &#x201E;Krefelder Zeitung&#x201C; vom<lb/>
7. Juli d. J.</p><lb/>
          <p>Jn der That will einen dünken, als ob an den erwählten Abgesandten der<lb/>
deutschen Heilkünstler, die in der letzten Juniwoche d. J. zu Wiesbaden                         versammelt<lb/>
waren, um neben sonstigen Standesangelegenheiten auch über                         das <hi rendition="#g">Medizinstudium<lb/>
der Frauen</hi> sich                         auszusprechen, maßgebende Teile der geistigen, vor allem aber der<lb/>
sozialen Strömungen der letzten 25 Jahre spurlos vorübergegangen seien. Und                         doch<lb/>
könnte billigerweise verlangt werden, daß eine Versammlung von                         Männern, die zu<lb/>
einer so tief in unsrer historischen Gesamtentwicklung                         wurzelnden, so solidarisch mit<lb/>
den Bedürfnissen der Zeit verbundenen,                         die Gemüter so energisch und nachhaltig<lb/>
ergreifenden Sache, wie die                         Frauenbewegung unsrer Tage, auch nur in einem ihrer<lb/>
Teile sich                         offiziell äußert, über das Wesen und Wollen dieser Bewegung                         einigermaßen<lb/>
orientiert wäre. Aber davon zeigte sich zu Wiesbaden kaum                         eine Spur. Nicht einmal<lb/>
die Elemente eines allenfallsigen                         Verständnisses hatten die Herren bei sich verarbeitet.<lb/>
Die wenigen                         Ausnahmen seien natürlich auch hier freundlich begrüßt.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">45</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[705]/0001] Zum Wiesbadener Ärztetag. Von Sidonie Binder. Nachdruck verboten. Vom übel berichteten an den besser zu unterrichtenden Papst appellieren zu müssen, bildet eine der am häufigsten wiederkehrenden Aufgaben der deutschen Frauen- bewegung. Aber vor einem quantitativ so wenig und qualitativ so ungenau informierten Papst, wie der in dem 26. deutschen Ärztetag verkörperte, hat sie doch noch selten gestanden. „Man sollte fast annehmen, daß die Herren in Allongeperücken, Escarpins und Kniehosen als Vertreter einer verflossenen Kulturperiode getagt haben“, sagt ein ärztlicher Kollege (Dr. med. R. K.) darüber in der „Krefelder Zeitung“ vom 7. Juli d. J. Jn der That will einen dünken, als ob an den erwählten Abgesandten der deutschen Heilkünstler, die in der letzten Juniwoche d. J. zu Wiesbaden versammelt waren, um neben sonstigen Standesangelegenheiten auch über das Medizinstudium der Frauen sich auszusprechen, maßgebende Teile der geistigen, vor allem aber der sozialen Strömungen der letzten 25 Jahre spurlos vorübergegangen seien. Und doch könnte billigerweise verlangt werden, daß eine Versammlung von Männern, die zu einer so tief in unsrer historischen Gesamtentwicklung wurzelnden, so solidarisch mit den Bedürfnissen der Zeit verbundenen, die Gemüter so energisch und nachhaltig ergreifenden Sache, wie die Frauenbewegung unsrer Tage, auch nur in einem ihrer Teile sich offiziell äußert, über das Wesen und Wollen dieser Bewegung einigermaßen orientiert wäre. Aber davon zeigte sich zu Wiesbaden kaum eine Spur. Nicht einmal die Elemente eines allenfallsigen Verständnisses hatten die Herren bei sich verarbeitet. Die wenigen Ausnahmen seien natürlich auch hier freundlich begrüßt. 45

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-12-09T11:34:18Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2021-12-09T11:34:18Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/binder_aerztetag_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/binder_aerztetag_1898/1
Zitationshilfe: Binder, Sidonie: Zum Wiesbadener Ärztetag. In: Die Frau 12 (1898). S. 705–712, S. [705]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/binder_aerztetag_1898/1>, abgerufen am 29.03.2024.