Binder, Sidonie: Zum Wiesbadener Ärztetag. In: Die Frau 12 (1898). S. 705–712.Zum Wiesbadener Ärztetag. eintritt der Frauen in die Medizin nicht "eine Minderung des ärztlichen Ansehens"bedeuten wird, wie eine der Wiesbadener Thesen wissen will, wohl aber den Beginn einer guten und fördernden Ära für den ärztlichen Beruf. Vielleicht allerdings, daß dann in kommenden Zeiten das Wort "Wissenschaft" nicht etwa an Wertschätzung verliert, aber einem innerhalb der ärztlichen Welt doch nicht mehr gar so stündlich um den Kopf fliegt, wie heutzutage, und daß wieder mehr, und mit frisch gewonnener Zuversicht, bei Ärzten und Patienten die Rede sein wird vom ärztlichen Können. Es ist schade, daß der Wiesbadener Referent über das Medizinstudium der Vermutlich hätte er dann zu gleicher Zeit entdeckt, daß die deutsche Frauen- Einer der Punkte z.B., wo die Befürworter des Frauenstudiums mit Sicherheit Zum Wiesbadener Ärztetag. eintritt der Frauen in die Medizin nicht „eine Minderung des ärztlichen Ansehens“bedeuten wird, wie eine der Wiesbadener Thesen wissen will, wohl aber den Beginn einer guten und fördernden Ära für den ärztlichen Beruf. Vielleicht allerdings, daß dann in kommenden Zeiten das Wort „Wissenschaft“ nicht etwa an Wertschätzung verliert, aber einem innerhalb der ärztlichen Welt doch nicht mehr gar so stündlich um den Kopf fliegt, wie heutzutage, und daß wieder mehr, und mit frisch gewonnener Zuversicht, bei Ärzten und Patienten die Rede sein wird vom ärztlichen Können. Es ist schade, daß der Wiesbadener Referent über das Medizinstudium der Vermutlich hätte er dann zu gleicher Zeit entdeckt, daß die deutsche Frauen- Einer der Punkte z.B., wo die Befürworter des Frauenstudiums mit Sicherheit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0006" n="710"/><fw place="top" type="header">Zum Wiesbadener Ärztetag.</fw><lb/> eintritt der Frauen in die Medizin nicht „eine Minderung des ärztlichen Ansehens“<lb/> bedeuten wird, wie eine der Wiesbadener Thesen wissen will, wohl aber den Beginn<lb/> einer guten und fördernden Ära für den ärztlichen Beruf. Vielleicht allerdings, daß<lb/> dann in kommenden Zeiten das Wort „Wissenschaft“ nicht etwa an Wertschätzung<lb/> verliert, aber einem innerhalb der ärztlichen Welt doch nicht mehr gar so stündlich um<lb/> den Kopf fliegt, wie heutzutage, und daß wieder mehr, und mit frisch gewonnener<lb/> Zuversicht, bei Ärzten und Patienten die Rede sein wird <hi rendition="#g">vom ärztlichen Können</hi>.</p><lb/> <p>Es ist schade, daß der Wiesbadener Referent über das Medizinstudium der<lb/> Frauen sich vorher nicht auch mit einer oder einigen der Hauptvertreterinnen der<lb/> deutschen Frauenbewegung ins Vernehmen gesetzt hat. Er wäre dann gewiß besser über<lb/> die vorzüglichsten Gründe unterrichtet gewesen, warum die deutschen Frauen Ärzte<lb/> werden, warum sie <hi rendition="#g">weibliche</hi> Ärzte haben wollen. Der 26. deutsche Ärztetag würde<lb/> in diesem Fall zu seiner wichtigsten Verhandlung sicher ein etwas neuzeitlicheres<lb/> Rößlein aufgezäumt haben und auch etwas weniger herausfordernd in unsre Vorposten<lb/> geritten sein, als es zu Wiesbaden geschah. Eine minder einseitige Beleuchtung<lb/> seines Gegenstandes hätte den Herrn Referenten jedenfalls erkennen lassen, daß an-<lb/> maßlicher Dünkel, krankhafte Sucht nach Höherem, ein ungerechtfertigtes Streben über<lb/> die Grenzen ihrer Zuständigkeit hinaus, wie er sie jetzt vorauszusetzen scheint, bei den<lb/> Frauen in dieser Sache nicht die treibenden Mächte sind; vielleicht aber würde er<lb/> ihre unbeirrbare, opferbereite Entschlossenheit wahrgenommen haben, in einen geschichtlich<lb/> bedingten, neu und machtvoll sich herandrängenden Pflichtenkreis willig einzutreten.</p><lb/> <p>Vermutlich hätte er dann zu gleicher Zeit entdeckt, daß die deutsche Frauen-<lb/> bewegung und der deutsche Ärztestand mehrfach die gleichen Dinge im Auge haben<lb/> und nach der gleichen Methode vorgehen. Wie das Wiesbadener Referat von den<lb/> deutschen Ärzten sagt, daß sie es als ihr Recht und sogar als ihre Pflicht betrachten,<lb/> in allen Fragen, die das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden, sowie<lb/> das Ansehen des ärztlichen Standes angehen, ihre Meinung zu äußern, so betrachten<lb/> auch die in der Bewegung zusammengeschlossenen deutschen Frauen es als ihr Recht<lb/> und ihre Pflicht, in allen Fragen, die das Wohl, den Schutz und die Würde ihres<lb/> Geschlechtes betreffen, ihre Meinung kund zu geben. Noch mehr. Sie halten sich<lb/> nicht nur, wie die Ärzte, für verpflichtet zu reden, auch wo es nicht verlangt wird,<lb/> und wo sie nicht sicher erwarten können, daß man ihren Rat befolgt, sondern manch-<lb/> mal selbst da, wo sie zum voraus wissen, daß nichts anderes ihnen antwortet, als<lb/> Hohn, verbissene Verständnislosigkeit und Brutalität.</p><lb/> <p>Einer der Punkte z.B., wo die Befürworter des Frauenstudiums mit Sicherheit<lb/> darauf rechnen, daß der Eintritt der Frauen in die Medizin dem ärztlichen Stand<lb/> zum Nutzen gereichen wird, ist der Kampf gegen das Kurpfuschertum. Vollständig<lb/> ausgefochten kann er ja niemals werden. Es sei denn, man schaffte vorher die<lb/> Borniertheit überhaupt aus der Welt. Auch die Verdrängung des männlichen<lb/> Kurpfuschers muß die Frau nach wie vor ihren männlichen Kollegen überlassen; aber<lb/> mit den weiblichen wird sie auf ihre Weise aufzuräumen versuchen. Der ihr<lb/> eigentümlichen Natur gemäß wird sie nach und nach ein anderes Jdeal der praktischen<lb/> Medizin für sich aufstellen, als zur Stunde der Mann. Jhr weiblicher Sinn, vielleicht<lb/> auch etwas aus ihrer hörigen Vergangenheit, wird es der Frau erleichtern, in dem<lb/> Kranken immer vor allem den zu sehen, dem sie mit ihrer Kunst nun dienen soll,<lb/> nicht einen, den seine Hilfsbedürftigkeit jetzt in ihr Machtbereich gestellt hat, oder einen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [710/0006]
Zum Wiesbadener Ärztetag.
eintritt der Frauen in die Medizin nicht „eine Minderung des ärztlichen Ansehens“
bedeuten wird, wie eine der Wiesbadener Thesen wissen will, wohl aber den Beginn
einer guten und fördernden Ära für den ärztlichen Beruf. Vielleicht allerdings, daß
dann in kommenden Zeiten das Wort „Wissenschaft“ nicht etwa an Wertschätzung
verliert, aber einem innerhalb der ärztlichen Welt doch nicht mehr gar so stündlich um
den Kopf fliegt, wie heutzutage, und daß wieder mehr, und mit frisch gewonnener
Zuversicht, bei Ärzten und Patienten die Rede sein wird vom ärztlichen Können.
Es ist schade, daß der Wiesbadener Referent über das Medizinstudium der
Frauen sich vorher nicht auch mit einer oder einigen der Hauptvertreterinnen der
deutschen Frauenbewegung ins Vernehmen gesetzt hat. Er wäre dann gewiß besser über
die vorzüglichsten Gründe unterrichtet gewesen, warum die deutschen Frauen Ärzte
werden, warum sie weibliche Ärzte haben wollen. Der 26. deutsche Ärztetag würde
in diesem Fall zu seiner wichtigsten Verhandlung sicher ein etwas neuzeitlicheres
Rößlein aufgezäumt haben und auch etwas weniger herausfordernd in unsre Vorposten
geritten sein, als es zu Wiesbaden geschah. Eine minder einseitige Beleuchtung
seines Gegenstandes hätte den Herrn Referenten jedenfalls erkennen lassen, daß an-
maßlicher Dünkel, krankhafte Sucht nach Höherem, ein ungerechtfertigtes Streben über
die Grenzen ihrer Zuständigkeit hinaus, wie er sie jetzt vorauszusetzen scheint, bei den
Frauen in dieser Sache nicht die treibenden Mächte sind; vielleicht aber würde er
ihre unbeirrbare, opferbereite Entschlossenheit wahrgenommen haben, in einen geschichtlich
bedingten, neu und machtvoll sich herandrängenden Pflichtenkreis willig einzutreten.
Vermutlich hätte er dann zu gleicher Zeit entdeckt, daß die deutsche Frauen-
bewegung und der deutsche Ärztestand mehrfach die gleichen Dinge im Auge haben
und nach der gleichen Methode vorgehen. Wie das Wiesbadener Referat von den
deutschen Ärzten sagt, daß sie es als ihr Recht und sogar als ihre Pflicht betrachten,
in allen Fragen, die das Wohl der Kranken und den Schutz der Gesunden, sowie
das Ansehen des ärztlichen Standes angehen, ihre Meinung zu äußern, so betrachten
auch die in der Bewegung zusammengeschlossenen deutschen Frauen es als ihr Recht
und ihre Pflicht, in allen Fragen, die das Wohl, den Schutz und die Würde ihres
Geschlechtes betreffen, ihre Meinung kund zu geben. Noch mehr. Sie halten sich
nicht nur, wie die Ärzte, für verpflichtet zu reden, auch wo es nicht verlangt wird,
und wo sie nicht sicher erwarten können, daß man ihren Rat befolgt, sondern manch-
mal selbst da, wo sie zum voraus wissen, daß nichts anderes ihnen antwortet, als
Hohn, verbissene Verständnislosigkeit und Brutalität.
Einer der Punkte z.B., wo die Befürworter des Frauenstudiums mit Sicherheit
darauf rechnen, daß der Eintritt der Frauen in die Medizin dem ärztlichen Stand
zum Nutzen gereichen wird, ist der Kampf gegen das Kurpfuschertum. Vollständig
ausgefochten kann er ja niemals werden. Es sei denn, man schaffte vorher die
Borniertheit überhaupt aus der Welt. Auch die Verdrängung des männlichen
Kurpfuschers muß die Frau nach wie vor ihren männlichen Kollegen überlassen; aber
mit den weiblichen wird sie auf ihre Weise aufzuräumen versuchen. Der ihr
eigentümlichen Natur gemäß wird sie nach und nach ein anderes Jdeal der praktischen
Medizin für sich aufstellen, als zur Stunde der Mann. Jhr weiblicher Sinn, vielleicht
auch etwas aus ihrer hörigen Vergangenheit, wird es der Frau erleichtern, in dem
Kranken immer vor allem den zu sehen, dem sie mit ihrer Kunst nun dienen soll,
nicht einen, den seine Hilfsbedürftigkeit jetzt in ihr Machtbereich gestellt hat, oder einen
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und JLU Gießen: Bereitstellung der
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(2021-12-09T11:34:18Z)
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