Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein positives Resultatgegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden können oder nicht vermeiden wollen. Wie in der Union die deutsche Einheit gesucht werden soll, Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der Zu jener Zeit, November 1850, war die russische Auffassung Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden. entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein poſitives Reſultatgegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden können oder nicht vermeiden wollen. Wie in der Union die deutſche Einheit geſucht werden ſoll, Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der Zu jener Zeit, November 1850, war die ruſſiſche Auffaſſung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0101" n="74"/><fw place="top" type="header">Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.<lb/></fw><hi rendition="#g">entwaffnen</hi>, als bis die freien Conferenzen ein poſitives Reſultat<lb/> gegeben haben; <hi rendition="#g">dann bleibt es noch immer Zeit</hi>, <hi rendition="#g">einen Krieg<lb/> zu führen</hi>, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden<lb/> können oder nicht vermeiden wollen.</p><lb/> <p>Wie in der Union die deutſche Einheit geſucht werden ſoll,<lb/> vermag ich nicht zu verſtehn; es iſt eine ſonderbare Einheit, die<lb/> von Hauſe aus verlangt, im Intereſſe dieſes Sonderbundes einſt¬<lb/> weilen unſre deutſchen Landsleute im Süden zu erſchießen und<lb/> zu erſtechen; die die deutſche Ehre darin findet, daß der Schwer¬<lb/> punkt aller deutſchen Fragen nothwendig nach Warſchau und Paris<lb/> fällt. Denken Sie ſich zwei Theile Deutſchlands einander in Waffen<lb/> gegenüber, deren Machtverſchiedenheit nicht in dem Grade bedeutend<lb/> iſt, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer<lb/> geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entſcheidendes<lb/> Gewicht in die Wagſchale legen könnte, und ich begreife nicht, mit<lb/> welchem Recht Jemand, der ein ſolches Verhältniß ſelbſt herbei¬<lb/> führen will, ſich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der<lb/> Entſcheidung unter ſolchen Umſtänden nach dem Auslande fällt.“<lb/></p> <p>Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der<lb/> Ueberzeugung des Kriegsminiſters für den Aufſchub des Krieges zu<lb/> wirken, bis wir gerüſtet ſein würden. In ſeiner Klarheit konnte<lb/> ich aber den Gedanken nicht öffentlich ausſprechen, ich konnte ihn<lb/> nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anſpruch an Geſchick¬<lb/> lichkeit unſrer Diplomatie geweſen, von ihr zu verlangen, daß ſie<lb/> den Krieg nach Bedürfniß verſchieben, verhüten oder zum Ausbruch<lb/> bringen ſolle.</p><lb/> <p>Zu jener Zeit, November 1850, war die ruſſiſche Auffaſſung<lb/> der revolutionären Bewegung in Deutſchland ſchon eine viel ruhigere<lb/> als bei dem erſten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet<lb/> mit dem ruſſiſchen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt<lb/> 1850 im vertrauten Geſpräche mit ihm den Eindruck, daß die<lb/> deutſche einſchließlich der polniſchen Bewegung im Petersburger<lb/> Cabinete nicht mehr in demſelben Maße wie bei ihrem Ausbruche<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [74/0101]
Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
entwaffnen, als bis die freien Conferenzen ein poſitives Reſultat
gegeben haben; dann bleibt es noch immer Zeit, einen Krieg
zu führen, wenn wir ihn wirklich mit Ehren nicht vermeiden
können oder nicht vermeiden wollen.
Wie in der Union die deutſche Einheit geſucht werden ſoll,
vermag ich nicht zu verſtehn; es iſt eine ſonderbare Einheit, die
von Hauſe aus verlangt, im Intereſſe dieſes Sonderbundes einſt¬
weilen unſre deutſchen Landsleute im Süden zu erſchießen und
zu erſtechen; die die deutſche Ehre darin findet, daß der Schwer¬
punkt aller deutſchen Fragen nothwendig nach Warſchau und Paris
fällt. Denken Sie ſich zwei Theile Deutſchlands einander in Waffen
gegenüber, deren Machtverſchiedenheit nicht in dem Grade bedeutend
iſt, daß nicht eine Parteinahme auf einer Seite, auch von einer
geringern Macht als Rußland und Frankreich, ein entſcheidendes
Gewicht in die Wagſchale legen könnte, und ich begreife nicht, mit
welchem Recht Jemand, der ein ſolches Verhältniß ſelbſt herbei¬
führen will, ſich darüber beklagen darf, daß der Schwerpunkt der
Entſcheidung unter ſolchen Umſtänden nach dem Auslande fällt.“
Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der
Ueberzeugung des Kriegsminiſters für den Aufſchub des Krieges zu
wirken, bis wir gerüſtet ſein würden. In ſeiner Klarheit konnte
ich aber den Gedanken nicht öffentlich ausſprechen, ich konnte ihn
nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anſpruch an Geſchick¬
lichkeit unſrer Diplomatie geweſen, von ihr zu verlangen, daß ſie
den Krieg nach Bedürfniß verſchieben, verhüten oder zum Ausbruch
bringen ſolle.
Zu jener Zeit, November 1850, war die ruſſiſche Auffaſſung
der revolutionären Bewegung in Deutſchland ſchon eine viel ruhigere
als bei dem erſten Ausbruche im März 1848. Ich war befreundet
mit dem ruſſiſchen Militär-Attaché Grafen Benckendorf und erhielt
1850 im vertrauten Geſpräche mit ihm den Eindruck, daß die
deutſche einſchließlich der polniſchen Bewegung im Petersburger
Cabinete nicht mehr in demſelben Maße wie bei ihrem Ausbruche
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