Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Ruhigere Auffassung der deutschen Revolution in Petersburg. Budberg. in Petersburg beunruhigte und als eine militärische Gefahr imKriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erschien den Russen die Entwicklung der Revolution in Deutschland und Polen noch als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erste russische Diplomat, der in Petersburg durch seine Berichte eine andre An¬ sicht vertrat, war der damalige Geschäftsträger in Frankfurt am Main, spätre Gesandte in Berlin, Baron von Budberg. Seine Berichte über die Verhandlungen und die Bedeutung der Paulskirche waren von Hause aus satirisch gefärbt, und die Geringschätzung, mit welcher dieser junge Diplomat von den Reden der deutschen Professoren und von der Machtstellung der Nationalversammlung in seinen Berichten sprach, hatte den Kaiser Nicolaus dergestalt befriedigt, daß Budberg's Carriere dadurch gemacht und er sehr schnell zum Gesandten und Botschafter befördert wurde. Er hatte in ihnen vom antideutschen Standpunkte eine analoge politische Schätzung zum Ausdruck gebracht, wie sie in den altpreußischen Kreisen in Berlin, in denen er früher gelebt hatte, in landsmannschaftlicher und besorgter Weise herrschend war, und man kann sagen, daß die Auffassung, als deren erster Erfinder er in Petersburg Carriere machte, dem Berliner "Casino" entsprungen war. Seitdem hatte man in Rußland nicht nur die militärische Stellung an der Weichsel wesentlich verstärkt, sondern auch einen geringern Eindruck von der damaligen militärischen Leistungsfähigkeit der Revolution sowohl wie der deutschen Regirungen gewonnen, und die Sprache, welche ich im November 1850 bei dem mir befreundeten russischen Ge¬ sandten Baron Meyendorff und seinen Landsleuten hörte, war eine im russischen Sinne vollkommen zuversichtliche, von einer persönlich wohlwollenden, aber für mich verletzenden Theilnahme für die Zu¬ kunft des befreundeten Preußens durchsetzt. Sie machte mir den Eindruck, daß man Oestreich für den stärkern und zuverlässigern Theil und Rußland selbst für stark genug hielt, um die Ent¬ scheidung zwischen beiden in die Hand zu nehmen. Ruhigere Auffaſſung der deutſchen Revolution in Petersburg. Budberg. in Petersburg beunruhigte und als eine militäriſche Gefahr imKriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erſchien den Ruſſen die Entwicklung der Revolution in Deutſchland und Polen noch als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erſte ruſſiſche Diplomat, der in Petersburg durch ſeine Berichte eine andre An¬ ſicht vertrat, war der damalige Geſchäftsträger in Frankfurt am Main, ſpätre Geſandte in Berlin, Baron von Budberg. Seine Berichte über die Verhandlungen und die Bedeutung der Paulskirche waren von Hauſe aus ſatiriſch gefärbt, und die Geringſchätzung, mit welcher dieſer junge Diplomat von den Reden der deutſchen Profeſſoren und von der Machtſtellung der Nationalverſammlung in ſeinen Berichten ſprach, hatte den Kaiſer Nicolaus dergeſtalt befriedigt, daß Budberg's Carrière dadurch gemacht und er ſehr ſchnell zum Geſandten und Botſchafter befördert wurde. Er hatte in ihnen vom antideutſchen Standpunkte eine analoge politiſche Schätzung zum Ausdruck gebracht, wie ſie in den altpreußiſchen Kreiſen in Berlin, in denen er früher gelebt hatte, in landsmannſchaftlicher und beſorgter Weiſe herrſchend war, und man kann ſagen, daß die Auffaſſung, als deren erſter Erfinder er in Petersburg Carrière machte, dem Berliner „Caſino“ entſprungen war. Seitdem hatte man in Rußland nicht nur die militäriſche Stellung an der Weichſel weſentlich verſtärkt, ſondern auch einen geringern Eindruck von der damaligen militäriſchen Leiſtungsfähigkeit der Revolution ſowohl wie der deutſchen Regirungen gewonnen, und die Sprache, welche ich im November 1850 bei dem mir befreundeten ruſſiſchen Ge¬ ſandten Baron Meyendorff und ſeinen Landsleuten hörte, war eine im ruſſiſchen Sinne vollkommen zuverſichtliche, von einer perſönlich wohlwollenden, aber für mich verletzenden Theilnahme für die Zu¬ kunft des befreundeten Preußens durchſetzt. Sie machte mir den Eindruck, daß man Oeſtreich für den ſtärkern und zuverläſſigern Theil und Rußland ſelbſt für ſtark genug hielt, um die Ent¬ ſcheidung zwiſchen beiden in die Hand zu nehmen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0102" n="75"/><fw place="top" type="header">Ruhigere Auffaſſung der deutſchen Revolution in Petersburg. Budberg.<lb/></fw> in Petersburg beunruhigte und als eine militäriſche Gefahr im<lb/> Kriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erſchien den Ruſſen<lb/> die Entwicklung der Revolution in Deutſchland und Polen noch<lb/> als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erſte ruſſiſche<lb/> Diplomat, der in Petersburg durch ſeine Berichte eine andre An¬<lb/> ſicht vertrat, war der damalige Geſchäftsträger in Frankfurt am<lb/> Main, ſpätre Geſandte in Berlin, Baron von Budberg. 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Ruhigere Auffaſſung der deutſchen Revolution in Petersburg. Budberg.
in Petersburg beunruhigte und als eine militäriſche Gefahr im
Kriegsfalle aufgefaßt wurde. Im März 1848 erſchien den Ruſſen
die Entwicklung der Revolution in Deutſchland und Polen noch
als etwas Unberechenbares und Gefährliches. Der erſte ruſſiſche
Diplomat, der in Petersburg durch ſeine Berichte eine andre An¬
ſicht vertrat, war der damalige Geſchäftsträger in Frankfurt am
Main, ſpätre Geſandte in Berlin, Baron von Budberg. Seine
Berichte über die Verhandlungen und die Bedeutung der Paulskirche
waren von Hauſe aus ſatiriſch gefärbt, und die Geringſchätzung,
mit welcher dieſer junge Diplomat von den Reden der deutſchen
Profeſſoren und von der Machtſtellung der Nationalverſammlung
in ſeinen Berichten ſprach, hatte den Kaiſer Nicolaus dergeſtalt
befriedigt, daß Budberg's Carrière dadurch gemacht und er ſehr
ſchnell zum Geſandten und Botſchafter befördert wurde. Er hatte in
ihnen vom antideutſchen Standpunkte eine analoge politiſche Schätzung
zum Ausdruck gebracht, wie ſie in den altpreußiſchen Kreiſen in
Berlin, in denen er früher gelebt hatte, in landsmannſchaftlicher
und beſorgter Weiſe herrſchend war, und man kann ſagen, daß
die Auffaſſung, als deren erſter Erfinder er in Petersburg Carrière
machte, dem Berliner „Caſino“ entſprungen war. Seitdem hatte
man in Rußland nicht nur die militäriſche Stellung an der Weichſel
weſentlich verſtärkt, ſondern auch einen geringern Eindruck von
der damaligen militäriſchen Leiſtungsfähigkeit der Revolution ſowohl
wie der deutſchen Regirungen gewonnen, und die Sprache, welche
ich im November 1850 bei dem mir befreundeten ruſſiſchen Ge¬
ſandten Baron Meyendorff und ſeinen Landsleuten hörte, war eine
im ruſſiſchen Sinne vollkommen zuverſichtliche, von einer perſönlich
wohlwollenden, aber für mich verletzenden Theilnahme für die Zu¬
kunft des befreundeten Preußens durchſetzt. Sie machte mir den
Eindruck, daß man Oeſtreich für den ſtärkern und zuverläſſigern
Theil und Rußland ſelbſt für ſtark genug hielt, um die Ent¬
ſcheidung zwiſchen beiden in die Hand zu nehmen.
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