Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel: Diplomat.
stießen. Orden zu tragen ist für mich, außer in Petersburg und
Paris, niemals ein Bedürfniß gewesen; an beiden Orten muß man
auf der Straße irgend ein Band am Rock zeigen, wenn man
polizeilich und bürgerlich mit der wünschenswerthen Höflichkeit be¬
handelt werden will. Sonst habe ich in jedem Falle nur die durch
die Gelegenheit gebotenen Decorationen angelegt; es ist mir immer
als eine Chinoiserie erschienen, wenn ich wahrnahm, wie krankhaft
der Sammlertrieb in Bezug auf Orden bei meinen Collegen und
Mitarbeitern in der Bürokratie entwickelt war, wie Geheime Räthe,
welche schon die ihnen aus der Brust quellende Ordenscascade nicht
mehr gut beherrschen konnten, den Abschluß irgend eines kleinen
Vertrages anbahnten, weil sie zur Vervollständigung ihrer Samm¬
lung noch des Ordens des mitcontrahirenden Staates bedurften.

Die Mitglieder der Kammern, welche 1849/50 die octroyirte
Verfassung zu revidiren hatten, entwickelten eine sehr anstrengende
Thätigkeit; es gab von 8 bis 10 Uhr Commissionssitzungen, von
10 bis 4 Plenarsitzungen, die zuweilen auch noch in später Abend¬
stunde wiederholt wurden und mit den langdauernden Fractions¬
sitzungen abwechselten. Ich konnte daher mein Bewegungsbedürf¬
niß nur des Nachts befriedigen und erinnere mich, manche Nacht
zwischen dem Opernhause und dem Brandenburger Thore in der
Mitte der Linden auf- und abgewandelt zu sein. Durch einen Zufall
wurde ich damals auf den gesundheitlichen Nutzen des Tanzens auf¬
merksam, das ich mit 27 Jahren aufgegeben hatte in dem Gefühle,
daß dieses Vergnügen nur "der Jugend" anstehe. Auf einem der
Hofbälle bat mich eine mir befreundete Dame, ihren abhanden
gekommnen Tänzer für den Cotillon zu suchen und, da ich ihn nicht
fand, zu ersetzen. Nachdem ich die erste Schwindelbesorgniß auf dem
glatten Parket des Weißen Saales überwunden hatte, tanzte ich mit
Vergnügen und fand nachher einen so gesunden Schlaf, wie ich ihn
lange nicht genossen hatte. In Frankfurt tanzte alle Welt, voran
der 65jährige französische Gesandte Monsieur Marquis de Tallenay,
nach Proclamirung des Kaiserthums in Frankreich: Monsieur le

Viertes Kapitel: Diplomat.
ſtießen. Orden zu tragen iſt für mich, außer in Petersburg und
Paris, niemals ein Bedürfniß geweſen; an beiden Orten muß man
auf der Straße irgend ein Band am Rock zeigen, wenn man
polizeilich und bürgerlich mit der wünſchenswerthen Höflichkeit be¬
handelt werden will. Sonſt habe ich in jedem Falle nur die durch
die Gelegenheit gebotenen Decorationen angelegt; es iſt mir immer
als eine Chinoiſerie erſchienen, wenn ich wahrnahm, wie krankhaft
der Sammlertrieb in Bezug auf Orden bei meinen Collegen und
Mitarbeitern in der Bürokratie entwickelt war, wie Geheime Räthe,
welche ſchon die ihnen aus der Bruſt quellende Ordenscascade nicht
mehr gut beherrſchen konnten, den Abſchluß irgend eines kleinen
Vertrages anbahnten, weil ſie zur Vervollſtändigung ihrer Samm¬
lung noch des Ordens des mitcontrahirenden Staates bedurften.

Die Mitglieder der Kammern, welche 1849/50 die octroyirte
Verfaſſung zu revidiren hatten, entwickelten eine ſehr anſtrengende
Thätigkeit; es gab von 8 bis 10 Uhr Commiſſionsſitzungen, von
10 bis 4 Plenarſitzungen, die zuweilen auch noch in ſpäter Abend¬
ſtunde wiederholt wurden und mit den langdauernden Fractions¬
ſitzungen abwechſelten. Ich konnte daher mein Bewegungsbedürf¬
niß nur des Nachts befriedigen und erinnere mich, manche Nacht
zwiſchen dem Opernhauſe und dem Brandenburger Thore in der
Mitte der Linden auf- und abgewandelt zu ſein. Durch einen Zufall
wurde ich damals auf den geſundheitlichen Nutzen des Tanzens auf¬
merkſam, das ich mit 27 Jahren aufgegeben hatte in dem Gefühle,
daß dieſes Vergnügen nur „der Jugend“ anſtehe. Auf einem der
Hofbälle bat mich eine mir befreundete Dame, ihren abhanden
gekommnen Tänzer für den Cotillon zu ſuchen und, da ich ihn nicht
fand, zu erſetzen. Nachdem ich die erſte Schwindelbeſorgniß auf dem
glatten Parket des Weißen Saales überwunden hatte, tanzte ich mit
Vergnügen und fand nachher einen ſo geſunden Schlaf, wie ich ihn
lange nicht genoſſen hatte. In Frankfurt tanzte alle Welt, voran
der 65jährige franzöſiſche Geſandte Monſieur Marquis de Tallenay,
nach Proclamirung des Kaiſerthums in Frankreich: Monſieur le

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0109" n="82"/><fw place="top" type="header">Viertes Kapitel: Diplomat.<lb/></fw> &#x017F;tießen. Orden zu tragen i&#x017F;t für mich, außer in Petersburg und<lb/>
Paris, niemals ein Bedürfniß gewe&#x017F;en; an beiden Orten muß man<lb/>
auf der Straße irgend ein Band am Rock zeigen, wenn man<lb/>
polizeilich und bürgerlich mit der wün&#x017F;chenswerthen Höflichkeit be¬<lb/>
handelt werden will. Son&#x017F;t habe ich in jedem Falle nur die durch<lb/>
die Gelegenheit gebotenen Decorationen angelegt; es i&#x017F;t mir immer<lb/>
als eine Chinoi&#x017F;erie er&#x017F;chienen, wenn ich wahrnahm, wie krankhaft<lb/>
der Sammlertrieb in Bezug auf Orden bei meinen Collegen und<lb/>
Mitarbeitern in der Bürokratie entwickelt war, wie Geheime Räthe,<lb/>
welche &#x017F;chon die ihnen aus der Bru&#x017F;t quellende Ordenscascade nicht<lb/>
mehr gut beherr&#x017F;chen konnten, den Ab&#x017F;chluß irgend eines kleinen<lb/>
Vertrages anbahnten, weil &#x017F;ie zur Vervoll&#x017F;tändigung ihrer Samm¬<lb/>
lung noch des Ordens des mitcontrahirenden Staates bedurften.<lb/></p>
        <p>Die Mitglieder der Kammern, welche 1849/50 die octroyirte<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung zu revidiren hatten, entwickelten eine &#x017F;ehr an&#x017F;trengende<lb/>
Thätigkeit; es gab von 8 bis 10 Uhr Commi&#x017F;&#x017F;ions&#x017F;itzungen, von<lb/>
10 bis 4 Plenar&#x017F;itzungen, die zuweilen auch noch in &#x017F;päter Abend¬<lb/>
&#x017F;tunde wiederholt wurden und mit den langdauernden Fractions¬<lb/>
&#x017F;itzungen abwech&#x017F;elten. Ich konnte daher mein Bewegungsbedürf¬<lb/>
niß nur des Nachts befriedigen und erinnere mich, manche Nacht<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Opernhau&#x017F;e und dem Brandenburger Thore in der<lb/>
Mitte der Linden auf- und abgewandelt zu &#x017F;ein. Durch einen Zufall<lb/>
wurde ich damals auf den ge&#x017F;undheitlichen Nutzen des Tanzens auf¬<lb/>
merk&#x017F;am, das ich mit 27 Jahren aufgegeben hatte in dem Gefühle,<lb/>
daß die&#x017F;es Vergnügen nur &#x201E;der Jugend&#x201C; an&#x017F;tehe. Auf einem der<lb/>
Hofbälle bat mich eine mir befreundete Dame, ihren abhanden<lb/>
gekommnen Tänzer für den Cotillon zu &#x017F;uchen und, da ich ihn nicht<lb/>
fand, zu er&#x017F;etzen. Nachdem ich die er&#x017F;te Schwindelbe&#x017F;orgniß auf dem<lb/>
glatten Parket des Weißen Saales überwunden hatte, tanzte ich mit<lb/>
Vergnügen und fand nachher einen &#x017F;o ge&#x017F;unden Schlaf, wie ich ihn<lb/>
lange nicht geno&#x017F;&#x017F;en hatte. In Frankfurt tanzte alle Welt, voran<lb/>
der 65jährige franzö&#x017F;i&#x017F;che Ge&#x017F;andte Mon&#x017F;ieur Marquis de Tallenay,<lb/>
nach Proclamirung des Kai&#x017F;erthums in Frankreich: Mon&#x017F;ieur le<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0109] Viertes Kapitel: Diplomat. ſtießen. Orden zu tragen iſt für mich, außer in Petersburg und Paris, niemals ein Bedürfniß geweſen; an beiden Orten muß man auf der Straße irgend ein Band am Rock zeigen, wenn man polizeilich und bürgerlich mit der wünſchenswerthen Höflichkeit be¬ handelt werden will. Sonſt habe ich in jedem Falle nur die durch die Gelegenheit gebotenen Decorationen angelegt; es iſt mir immer als eine Chinoiſerie erſchienen, wenn ich wahrnahm, wie krankhaft der Sammlertrieb in Bezug auf Orden bei meinen Collegen und Mitarbeitern in der Bürokratie entwickelt war, wie Geheime Räthe, welche ſchon die ihnen aus der Bruſt quellende Ordenscascade nicht mehr gut beherrſchen konnten, den Abſchluß irgend eines kleinen Vertrages anbahnten, weil ſie zur Vervollſtändigung ihrer Samm¬ lung noch des Ordens des mitcontrahirenden Staates bedurften. Die Mitglieder der Kammern, welche 1849/50 die octroyirte Verfaſſung zu revidiren hatten, entwickelten eine ſehr anſtrengende Thätigkeit; es gab von 8 bis 10 Uhr Commiſſionsſitzungen, von 10 bis 4 Plenarſitzungen, die zuweilen auch noch in ſpäter Abend¬ ſtunde wiederholt wurden und mit den langdauernden Fractions¬ ſitzungen abwechſelten. Ich konnte daher mein Bewegungsbedürf¬ niß nur des Nachts befriedigen und erinnere mich, manche Nacht zwiſchen dem Opernhauſe und dem Brandenburger Thore in der Mitte der Linden auf- und abgewandelt zu ſein. Durch einen Zufall wurde ich damals auf den geſundheitlichen Nutzen des Tanzens auf¬ merkſam, das ich mit 27 Jahren aufgegeben hatte in dem Gefühle, daß dieſes Vergnügen nur „der Jugend“ anſtehe. Auf einem der Hofbälle bat mich eine mir befreundete Dame, ihren abhanden gekommnen Tänzer für den Cotillon zu ſuchen und, da ich ihn nicht fand, zu erſetzen. Nachdem ich die erſte Schwindelbeſorgniß auf dem glatten Parket des Weißen Saales überwunden hatte, tanzte ich mit Vergnügen und fand nachher einen ſo geſunden Schlaf, wie ich ihn lange nicht genoſſen hatte. In Frankfurt tanzte alle Welt, voran der 65jährige franzöſiſche Geſandte Monſieur Marquis de Tallenay, nach Proclamirung des Kaiſerthums in Frankreich: Monſieur le

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/109
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/109>, abgerufen am 27.11.2024.