Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Streit über Bildung der Ersten Kammer. den Absichten des Königs zuwiderlief, und der von Sr. Majestät unter¬nommne Feldzug schien damit verloren zu sein. Als ich mich am 27. bei dem General von Gerlach in dem Flügel des Charlottenburger Schlosses neben der Wache meldete, vernahm ich, daß der König un¬ gehalten über mich sei, weil ich nicht sofort abgereist sei; wenn ich gleich erschienen wäre, so würde ich den Beschluß haben verhindern können 1). Gerlach ging, um mich zu melden, zum Könige und kam nach ziem¬ lich langer Zeit zurück mit der Antwort: Se. Majestät wolle mich nicht sehn, ich solle aber warten. Dieser in sich widersprechende Bescheid ist charakteristisch für den König; er zürnte mir und wollte das durch Versagung der Audienz zu erkennen geben, aber doch auch zugleich die Wiederannahme zu Gnaden in kurzer Frist sicher stellen. Es war das eine Art von Erziehungsmethode, wie man in der Schule gelegentlich aus der Klasse gewiesen, aber wieder hinein¬ gelassen wurde. Ich war gewissermaßen im Charlottenburger Schlosse internirt, ein Zustand, der mir durch ein gutes und elegant servirtes Frühstück erleichtert wurde. Die Einrichtung des Königlichen Haus¬ halts außerhalb Berlins, vorzugsweise in Potsdam und Charlotten¬ burg, war die eines Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde bei jeder Anwesenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt, und wenn man zwischen diesen Zeiten einen Wunsch hatte, auch dann. Die Wirthschaftsführung war allerdings nicht auf russischem Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach unsern Be¬ griffen, ohne in Verschwendung auszuarten. Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom 1) Vgl. Gerlach's Denkwürdigkeiten I 754. 756.
Streit über Bildung der Erſten Kammer. den Abſichten des Königs zuwiderlief, und der von Sr. Majeſtät unter¬nommne Feldzug ſchien damit verloren zu ſein. Als ich mich am 27. bei dem General von Gerlach in dem Flügel des Charlottenburger Schloſſes neben der Wache meldete, vernahm ich, daß der König un¬ gehalten über mich ſei, weil ich nicht ſofort abgereiſt ſei; wenn ich gleich erſchienen wäre, ſo würde ich den Beſchluß haben verhindern können 1). Gerlach ging, um mich zu melden, zum Könige und kam nach ziem¬ lich langer Zeit zurück mit der Antwort: Se. Majeſtät wolle mich nicht ſehn, ich ſolle aber warten. Dieſer in ſich widerſprechende Beſcheid iſt charakteriſtiſch für den König; er zürnte mir und wollte das durch Verſagung der Audienz zu erkennen geben, aber doch auch zugleich die Wiederannahme zu Gnaden in kurzer Friſt ſicher ſtellen. Es war das eine Art von Erziehungsmethode, wie man in der Schule gelegentlich aus der Klaſſe gewieſen, aber wieder hinein¬ gelaſſen wurde. Ich war gewiſſermaßen im Charlottenburger Schloſſe internirt, ein Zuſtand, der mir durch ein gutes und elegant ſervirtes Frühſtück erleichtert wurde. Die Einrichtung des Königlichen Haus¬ halts außerhalb Berlins, vorzugsweiſe in Potsdam und Charlotten¬ burg, war die eines Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde bei jeder Anweſenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt, und wenn man zwiſchen dieſen Zeiten einen Wunſch hatte, auch dann. Die Wirthſchaftsführung war allerdings nicht auf ruſſiſchem Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach unſern Be¬ griffen, ohne in Verſchwendung auszuarten. Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom 1) Vgl. Gerlach's Denkwürdigkeiten I 754. 756.
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Streit über Bildung der Erſten Kammer.
den Abſichten des Königs zuwiderlief, und der von Sr. Majeſtät unter¬
nommne Feldzug ſchien damit verloren zu ſein. Als ich mich am 27.
bei dem General von Gerlach in dem Flügel des Charlottenburger
Schloſſes neben der Wache meldete, vernahm ich, daß der König un¬
gehalten über mich ſei, weil ich nicht ſofort abgereiſt ſei; wenn ich gleich
erſchienen wäre, ſo würde ich den Beſchluß haben verhindern können 1).
Gerlach ging, um mich zu melden, zum Könige und kam nach ziem¬
lich langer Zeit zurück mit der Antwort: Se. Majeſtät wolle mich nicht
ſehn, ich ſolle aber warten. Dieſer in ſich widerſprechende Beſcheid
iſt charakteriſtiſch für den König; er zürnte mir und wollte das
durch Verſagung der Audienz zu erkennen geben, aber doch auch
zugleich die Wiederannahme zu Gnaden in kurzer Friſt ſicher ſtellen.
Es war das eine Art von Erziehungsmethode, wie man in der
Schule gelegentlich aus der Klaſſe gewieſen, aber wieder hinein¬
gelaſſen wurde. Ich war gewiſſermaßen im Charlottenburger Schloſſe
internirt, ein Zuſtand, der mir durch ein gutes und elegant ſervirtes
Frühſtück erleichtert wurde. Die Einrichtung des Königlichen Haus¬
halts außerhalb Berlins, vorzugsweiſe in Potsdam und Charlotten¬
burg, war die eines Grand Seigneur auf dem Lande. Man wurde
bei jeder Anweſenheit zu den üblichen Zeiten nach Bedarf verpflegt,
und wenn man zwiſchen dieſen Zeiten einen Wunſch hatte, auch
dann. Die Wirthſchaftsführung war allerdings nicht auf ruſſiſchem
Fuße, aber doch durchaus vornehm und reichlich nach unſern Be¬
griffen, ohne in Verſchwendung auszuarten.
Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom
Dienſt zum Könige berufen und etwas kühler als ſonſt, aber doch
nicht ſo ungnädig empfangen, wie ich befürchtet hatte. Se. Majeſtät
hatte erwartet, daß ich auf die erſte Anregung erſcheinen würde, und
darauf gerechnet, daß ich im Stande ſein würde, in den 24 Stunden
bis zur Abſtimmung die conſervative Fraction wie auf militäriſches
Commando Kehrt machen und in des Königs Richtung einſchwenken
1)
Vgl. Gerlach's Denkwürdigkeiten I 754. 756.
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