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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Streit über Bildung der Ersten Kammer. Als Vertrauensmann des Königs.
Auffassung des Königs, als für das Zusammenhalten mit ihm hatte.
Die Fractionsleitung blieb bei der Abstimmung isolirt; fast die
gesammte Fraction war bereit, dem Könige auf seinem Wege zu
folgen.

Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es
mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conserva¬
tive Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht
hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche
einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das
heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines An¬
sehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das
letztre hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der
Conflictszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furcht¬
lose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem defensiven
Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt.
Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie
dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber für Ver¬
hütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in
denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird,
wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es ver¬
räth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der
Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungs¬
politik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen
Verfassung hat der König mit seiner Regirung an und für sich
einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung, wie jedes der
beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze
vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetz¬
gebung factisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der
Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke
bewußt ist und den Muth hat, sie anzuwenden, mächtig genug
für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen
Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herren¬
haus in der Conflictszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze

Streit über Bildung der Erſten Kammer. Als Vertrauensmann des Königs.
Auffaſſung des Königs, als für das Zuſammenhalten mit ihm hatte.
Die Fractionsleitung blieb bei der Abſtimmung iſolirt; faſt die
geſammte Fraction war bereit, dem Könige auf ſeinem Wege zu
folgen.

Wenn ich heut auf dieſe Vorgänge zurückblicke, ſo ſcheint es
mir, daß die drei oder ſechs Führer, gegen welche ich die conſerva¬
tive Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht
hatten. Die Erſte Kammer war zur Löſung der Aufgaben, welche
einer ſolchen im conſtitutionellen Leben zufallen, befähigter als das
heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines An¬
ſehns, welches das Herrenhaus ſich bisher nicht erworben hat. Das
letztre hat zu einer hervorragenden politiſchen Leiſtung nur in der
Conflictszeit Gelegenheit gehabt und ſich damals durch die furcht¬
loſe Treue, mit der es zur Monarchie ſtand, auf dem defenſiven
Gebiete der Aufgabe eines Oberhauſes völlig gewachſen gezeigt.
Es iſt wahrſcheinlich, daß es in kritiſchen Lagen der Monarchie
dieſelbe tapfere Feſtigkeit beweiſen wird. Ob es aber für Ver¬
hütung ſolcher Kriſen in den ſcheinbar friedlichen Zeiten, in
denen ſie ſich vorbereiten können, denſelben Einfluß ausüben wird,
wie jene Erſte Kammer gethan hat, iſt mir zweifelhaft. Es ver¬
räth einen Fehler in der Conſtitution, wenn ein Oberhaus in der
Einſchätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungs¬
politik oder ſelbſt der königlichen Politik wird. Nach der preußiſchen
Verfaſſung hat der König mit ſeiner Regirung an und für ſich
einen gleichwerthigen Antheil an der Geſetzgebung, wie jedes der
beiden Häuſer; er hat nicht nur ſein volles Veto, ſondern die ganze
vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Geſetz¬
gebung factiſch und die Ausführung der Geſetze auch rechtlich der
Krone zufällt. Das Königthum iſt, wenn es ſich ſeiner Stärke
bewußt iſt und den Muth hat, ſie anzuwenden, mächtig genug
für eine verfaſſungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorſamen
Herrenhauſes als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herren¬
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[143/0170] Streit über Bildung der Erſten Kammer. Als Vertrauensmann des Königs. Auffaſſung des Königs, als für das Zuſammenhalten mit ihm hatte. Die Fractionsleitung blieb bei der Abſtimmung iſolirt; faſt die geſammte Fraction war bereit, dem Könige auf ſeinem Wege zu folgen. Wenn ich heut auf dieſe Vorgänge zurückblicke, ſo ſcheint es mir, daß die drei oder ſechs Führer, gegen welche ich die conſerva¬ tive Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. Die Erſte Kammer war zur Löſung der Aufgaben, welche einer ſolchen im conſtitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines An¬ ſehns, welches das Herrenhaus ſich bisher nicht erworben hat. Das letztre hat zu einer hervorragenden politiſchen Leiſtung nur in der Conflictszeit Gelegenheit gehabt und ſich damals durch die furcht¬ loſe Treue, mit der es zur Monarchie ſtand, auf dem defenſiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauſes völlig gewachſen gezeigt. Es iſt wahrſcheinlich, daß es in kritiſchen Lagen der Monarchie dieſelbe tapfere Feſtigkeit beweiſen wird. Ob es aber für Ver¬ hütung ſolcher Kriſen in den ſcheinbar friedlichen Zeiten, in denen ſie ſich vorbereiten können, denſelben Einfluß ausüben wird, wie jene Erſte Kammer gethan hat, iſt mir zweifelhaft. Es ver¬ räth einen Fehler in der Conſtitution, wenn ein Oberhaus in der Einſchätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungs¬ politik oder ſelbſt der königlichen Politik wird. Nach der preußiſchen Verfaſſung hat der König mit ſeiner Regirung an und für ſich einen gleichwerthigen Antheil an der Geſetzgebung, wie jedes der beiden Häuſer; er hat nicht nur ſein volles Veto, ſondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Geſetz¬ gebung factiſch und die Ausführung der Geſetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königthum iſt, wenn es ſich ſeiner Stärke bewußt iſt und den Muth hat, ſie anzuwenden, mächtig genug für eine verfaſſungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorſamen Herrenhauſes als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herren¬ haus in der Conflictszeit ſich für die ihm zugehenden Etatsgeſetze

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/170>, abgerufen am 25.11.2024.