Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Siebentes Kapitel: Unterwegs zwischen Frankfurt und Berlin. die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses angeeignet hätte, so wäreimmer, um ein Statsgesetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, die Zustimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich ge¬ wesen, um dem Etat Gesetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueber¬ zeugung würde König Wilhelm seine Zustimmung auch dann versagt haben, wenn das Herrenhaus in seinen Beschlüssen mit dem Abgeordnetenhause übereingestimmt hätte. Daß die "Erste Kammer" das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenschaftslosigkeit überlegnen Debatten schon viel früher auf das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und dessen Ausschreitungen zum Theil ver¬ hindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht dasselbe Schwer¬ gewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform des königlichen Willens zu sehn. Ich war schon damals solchen Erwägungen nicht unzugänglich, Siebentes Kapitel: Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin. die Beſchlüſſe des Abgeordnetenhauſes angeeignet hätte, ſo wäreimmer, um ein Statsgeſetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen, die Zuſtimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich ge¬ weſen, um dem Etat Geſetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueber¬ zeugung würde König Wilhelm ſeine Zuſtimmung auch dann verſagt haben, wenn das Herrenhaus in ſeinen Beſchlüſſen mit dem Abgeordnetenhauſe übereingeſtimmt hätte. Daß die „Erſte Kammer“ das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenſchaftsloſigkeit überlegnen Debatten ſchon viel früher auf das Abgeordnetenhaus mäßigend eingewirkt und deſſen Ausſchreitungen zum Theil ver¬ hindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht daſſelbe Schwer¬ gewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform des königlichen Willens zu ſehn. Ich war ſchon damals ſolchen Erwägungen nicht unzugänglich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0171" n="144"/><fw place="top" type="header">Siebentes Kapitel: Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin.<lb/></fw>die Beſchlüſſe des Abgeordnetenhauſes angeeignet hätte, ſo wäre<lb/> immer, um ein Statsgeſetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen,<lb/> die Zuſtimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich ge¬<lb/> weſen, um dem Etat Geſetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueber¬<lb/> zeugung würde König Wilhelm ſeine Zuſtimmung auch dann<lb/> verſagt haben, wenn das Herrenhaus in ſeinen Beſchlüſſen mit<lb/> dem Abgeordnetenhauſe übereingeſtimmt hätte. Daß die „Erſte<lb/> Kammer“ das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im<lb/> Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenſchaftsloſigkeit<lb/> überlegnen Debatten ſchon viel früher auf das Abgeordnetenhaus<lb/> mäßigend eingewirkt und deſſen Ausſchreitungen zum Theil ver¬<lb/> hindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht daſſelbe Schwer¬<lb/> gewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine<lb/> Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform<lb/> des königlichen Willens zu ſehn.</p><lb/> <p>Ich war ſchon damals ſolchen Erwägungen nicht unzugänglich,<lb/> hatte im Gegentheil dem Könige gegenüber, als er ſeinen Plan<lb/> wiederholt mit mir beſprach, lebhaft befürwortet, neben einer ge¬<lb/> wiſſen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbeſtand des Herren¬<lb/> hauſes aus Wahlcorporationen hervorgehn zu laſſen, deren Unter¬<lb/> lage die 12000 oder 13000 Rittergüter, vervollſtändigt durch<lb/> gleichwerthigen Grundbeſitz, durch die Magiſtrate bedeutender Städte<lb/> und die Höchſtbeſteuerten ohne Grundbeſitz nach einem hohen Cenſus<lb/> abgeben ſollten, und daß der nichterbliche Theil der Mitglieder<lb/> ebenſo wie die des Abgeordnetenhauſes der Wahlperiode und der<lb/><hi rendition="#g">Auflöſung</hi> unterliegen ſollte. Der König wies dieſe Anſichten ſo<lb/> weit und geringſchätzig von ſich, daß ich jede Hoffnung auf ein¬<lb/> gehende Erörterung derſelben aufgeben mußte. Auf dem mir neuen<lb/> Gebiete der Geſetzgebung hatte ich damals nicht die Sicherheit des<lb/> Glaubens an die Richtigkeit eigner Auffaſſungen, welche erforderlich<lb/> geweſen wäre, um mich in den mir gleichfalls neuen unmittel¬<lb/> baren Beziehungen zu dem Könige und in den Rückſichten auf meine<lb/> amtliche Stellung zum Feſthalten an abweichenden eignen Anſichten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [144/0171]
Siebentes Kapitel: Unterwegs zwiſchen Frankfurt und Berlin.
die Beſchlüſſe des Abgeordnetenhauſes angeeignet hätte, ſo wäre
immer, um ein Statsgeſetz nach Art. 99 zu Stande zu bringen,
die Zuſtimmung des dritten Factors, des Königs, unentbehrlich ge¬
weſen, um dem Etat Geſetzeskraft zu geben. Nach meiner Ueber¬
zeugung würde König Wilhelm ſeine Zuſtimmung auch dann
verſagt haben, wenn das Herrenhaus in ſeinen Beſchlüſſen mit
dem Abgeordnetenhauſe übereingeſtimmt hätte. Daß die „Erſte
Kammer“ das gethan haben würde, glaube ich nicht, vermuthe im
Gegentheil, daß ihre durch Sachlichkeit und Leidenſchaftsloſigkeit
überlegnen Debatten ſchon viel früher auf das Abgeordnetenhaus
mäßigend eingewirkt und deſſen Ausſchreitungen zum Theil ver¬
hindert haben würden. Das Herrenhaus hatte nicht daſſelbe Schwer¬
gewicht in der öffentlichen Meinung, man war geneigt, in ihm eine
Doublüre der Regirungsgewalt und eine parallele Ausdrucksform
des königlichen Willens zu ſehn.
Ich war ſchon damals ſolchen Erwägungen nicht unzugänglich,
hatte im Gegentheil dem Könige gegenüber, als er ſeinen Plan
wiederholt mit mir beſprach, lebhaft befürwortet, neben einer ge¬
wiſſen Anzahl erblicher Mitglieder den Hauptbeſtand des Herren¬
hauſes aus Wahlcorporationen hervorgehn zu laſſen, deren Unter¬
lage die 12000 oder 13000 Rittergüter, vervollſtändigt durch
gleichwerthigen Grundbeſitz, durch die Magiſtrate bedeutender Städte
und die Höchſtbeſteuerten ohne Grundbeſitz nach einem hohen Cenſus
abgeben ſollten, und daß der nichterbliche Theil der Mitglieder
ebenſo wie die des Abgeordnetenhauſes der Wahlperiode und der
Auflöſung unterliegen ſollte. Der König wies dieſe Anſichten ſo
weit und geringſchätzig von ſich, daß ich jede Hoffnung auf ein¬
gehende Erörterung derſelben aufgeben mußte. Auf dem mir neuen
Gebiete der Geſetzgebung hatte ich damals nicht die Sicherheit des
Glaubens an die Richtigkeit eigner Auffaſſungen, welche erforderlich
geweſen wäre, um mich in den mir gleichfalls neuen unmittel¬
baren Beziehungen zu dem Könige und in den Rückſichten auf meine
amtliche Stellung zum Feſthalten an abweichenden eignen Anſichten
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