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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
kann und will, so drücke ich mich mit Zurückhaltung aus, wenn
ich sage: Ich habe dafür kein Verständniß als Diplomat und finde
mit der Annahme eines solchen Systems in auswärtigen Be¬
ziehungen das ganze Gewerbe der Diplomatie bis auf das Con¬
sularwesen hinunter überflüssig und thatsächlich cassirt. Sie sagen
mir, ,der Mann ist unser natürlicher Feind, und daß er es ist und
bleiben muß, wird sich bald zeigen'; ich könnte das bestreiten oder
mit demselben Rechte sagen: ,Oestreich, England sind unsre Feinde,
und daß sie es sind, zeigt sich schon längst, bei Oestreich natür¬
licher, bei England unnatürlicher Weise.' Aber ich will das auf
sich beruhn lassen und annehmen, Ihr Satz wäre richtig, so kann
ich es auch dann noch nicht für politisch halten, unsre Befürch¬
tungen schon im Frieden von andern und von Frankreich selbst
erkennen zu lassen, sondern finde es, bis der von Ihnen vorher¬
gesehne Bruch wirklich eintritt, immer noch nützlich, die Leute
glauben zu lassen, daß ein Krieg gegen Frankreich uns nicht noth¬
wendig über kurz oder lang bevorsteht, daß er wenigstens nichts
von Preußens Lage Unzertrennliches, daß die Spannung gegen
Frankreich nicht ein organischer Fehler, eine angeborne schwache
Seite unsrer Natur ist, auf die jeder Andre mit Sicherheit
speculiren kann. Sobald man uns für kühl mit Frankreich hält,
wird auch der Bundescollege hier kühl für mich. ...
v. B."

Gerlach antwortete wie folgt:

"Berlin, 6. Mai 1857.

Ihr Brief vom 2. hat auf der einen Seite mir eine große
Freude gemacht, da ich daraus sehe, daß es Ihnen am Herzen
liegt, mit mir in Einigkeit zu bleiben oder zu kommen, woraus
sich die meisten Menschen wenig machen, auf der andern Seite
aber auch zum Widerspruch und zur eignen Rechtfertigung auf¬
gefordert.

Zunächst bilde ich mir ein, doch immer noch im innersten
Grunde mit Ihnen einig zu sein. Wäre das nicht der Fall, so

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
kann und will, ſo drücke ich mich mit Zurückhaltung aus, wenn
ich ſage: Ich habe dafür kein Verſtändniß als Diplomat und finde
mit der Annahme eines ſolchen Syſtems in auswärtigen Be¬
ziehungen das ganze Gewerbe der Diplomatie bis auf das Con¬
ſularweſen hinunter überflüſſig und thatſächlich caſſirt. Sie ſagen
mir, ‚der Mann iſt unſer natürlicher Feind, und daß er es iſt und
bleiben muß, wird ſich bald zeigen‘; ich könnte das beſtreiten oder
mit demſelben Rechte ſagen: ‚Oeſtreich, England ſind unſre Feinde,
und daß ſie es ſind, zeigt ſich ſchon längſt, bei Oeſtreich natür¬
licher, bei England unnatürlicher Weiſe.‘ Aber ich will das auf
ſich beruhn laſſen und annehmen, Ihr Satz wäre richtig, ſo kann
ich es auch dann noch nicht für politiſch halten, unſre Befürch¬
tungen ſchon im Frieden von andern und von Frankreich ſelbſt
erkennen zu laſſen, ſondern finde es, bis der von Ihnen vorher¬
geſehne Bruch wirklich eintritt, immer noch nützlich, die Leute
glauben zu laſſen, daß ein Krieg gegen Frankreich uns nicht noth¬
wendig über kurz oder lang bevorſteht, daß er wenigſtens nichts
von Preußens Lage Unzertrennliches, daß die Spannung gegen
Frankreich nicht ein organiſcher Fehler, eine angeborne ſchwache
Seite unſrer Natur iſt, auf die jeder Andre mit Sicherheit
ſpeculiren kann. Sobald man uns für kühl mit Frankreich hält,
wird auch der Bundescollege hier kühl für mich. ...
v. B.“

Gerlach antwortete wie folgt:

„Berlin, 6. Mai 1857.

Ihr Brief vom 2. hat auf der einen Seite mir eine große
Freude gemacht, da ich daraus ſehe, daß es Ihnen am Herzen
liegt, mit mir in Einigkeit zu bleiben oder zu kommen, woraus
ſich die meiſten Menſchen wenig machen, auf der andern Seite
aber auch zum Widerſpruch und zur eignen Rechtfertigung auf¬
gefordert.

Zunächſt bilde ich mir ein, doch immer noch im innerſten
Grunde mit Ihnen einig zu ſein. Wäre das nicht der Fall, ſo

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[165/0192] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. kann und will, ſo drücke ich mich mit Zurückhaltung aus, wenn ich ſage: Ich habe dafür kein Verſtändniß als Diplomat und finde mit der Annahme eines ſolchen Syſtems in auswärtigen Be¬ ziehungen das ganze Gewerbe der Diplomatie bis auf das Con¬ ſularweſen hinunter überflüſſig und thatſächlich caſſirt. Sie ſagen mir, ‚der Mann iſt unſer natürlicher Feind, und daß er es iſt und bleiben muß, wird ſich bald zeigen‘; ich könnte das beſtreiten oder mit demſelben Rechte ſagen: ‚Oeſtreich, England ſind unſre Feinde, und daß ſie es ſind, zeigt ſich ſchon längſt, bei Oeſtreich natür¬ licher, bei England unnatürlicher Weiſe.‘ Aber ich will das auf ſich beruhn laſſen und annehmen, Ihr Satz wäre richtig, ſo kann ich es auch dann noch nicht für politiſch halten, unſre Befürch¬ tungen ſchon im Frieden von andern und von Frankreich ſelbſt erkennen zu laſſen, ſondern finde es, bis der von Ihnen vorher¬ geſehne Bruch wirklich eintritt, immer noch nützlich, die Leute glauben zu laſſen, daß ein Krieg gegen Frankreich uns nicht noth¬ wendig über kurz oder lang bevorſteht, daß er wenigſtens nichts von Preußens Lage Unzertrennliches, daß die Spannung gegen Frankreich nicht ein organiſcher Fehler, eine angeborne ſchwache Seite unſrer Natur iſt, auf die jeder Andre mit Sicherheit ſpeculiren kann. Sobald man uns für kühl mit Frankreich hält, wird auch der Bundescollege hier kühl für mich. ... v. B.“ Gerlach antwortete wie folgt: „Berlin, 6. Mai 1857. Ihr Brief vom 2. hat auf der einen Seite mir eine große Freude gemacht, da ich daraus ſehe, daß es Ihnen am Herzen liegt, mit mir in Einigkeit zu bleiben oder zu kommen, woraus ſich die meiſten Menſchen wenig machen, auf der andern Seite aber auch zum Widerſpruch und zur eignen Rechtfertigung auf¬ gefordert. Zunächſt bilde ich mir ein, doch immer noch im innerſten Grunde mit Ihnen einig zu ſein. Wäre das nicht der Fall, ſo

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/192>, abgerufen am 23.11.2024.