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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.
stand gegen die gefährliche Macht der Türken übrig, und Oesterreich
sowie später Rußland waren wahrlich nicht unpraktisch, als sie
diesem Principe gemäß die Türken bekämpften. Die Türkenkriege
begründeten die Macht dieser Reiche, und wäre man diesem Princip,
das türkische Reich zu bekämpfen, treu geblieben: Europa oder die
Christenheit wären nach menschlichen Begriffen dem Orient gegen¬
über in einer besseren Lage als jetzt, wo uns von dort die größten
Gefahren drohen. Vor der französischen Revolution, dem schroffen und
sehr praktischen Abfall von der Kirche Christi zunächst in der Politik,
war eine Politik ,der Interessen', des sogenannten Patriotismus,
und wohin diese führte, haben wir gesehen. Etwas Elenderes als
die Politik Preußens von 1778 bis zur französischen Revolution hat
es nie gegeben; ich erinnere an die Subsidien, die Friedrich II. an
Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen
England. Bei Holland hielt 1787 noch das alte Ansehen Friedrichs II.;
die Reichenbacher Convention war aber schon eine durch Abweichung
von dem Princip veranlaßte Blamage. Die Kriege des Großen
Kurfürsten waren im protestantischen Interesse, und die Kriege
Friedrich Wilhelms III. gegen Frankreich waren recht eigentlich
Kriege gegen die Revolution. Den protestantischen Charakter hatten
wesentlich auch die drei schlesischen Kriege 1740-1763, wenn auch
bei allem diesen die Interessen des Territorialismus und das
Gleichgewicht mitspielten.

Das Princip, was durch die Revolution, welche die Tour
durch Europa machte, der europäischen Politik gegeben wurde, ist
das nach meiner Meinung bis heute gültige. Es war wahrlich
nicht unpraktisch, dieser Auffassung treu zu bleiben. England, was
dem Kampfe gegen die Revolution bis 1815 treu blieb und sich
durch den alten Bonaparte nicht beirren ließ, stieg zur höchsten
Macht; Oesterreich kam nach vielen unglücklichen Kriegen dennoch
gut aus der Fechtschule; Preußen hat schwer an den Folgen des
Baseler Friedens gelitten und nur durch 1813-1815 sich rehabilitirt,
noch viel mehr Spanien, was daran zu Grunde gegangen; und

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
ſtand gegen die gefährliche Macht der Türken übrig, und Oeſterreich
ſowie ſpäter Rußland waren wahrlich nicht unpraktiſch, als ſie
dieſem Principe gemäß die Türken bekämpften. Die Türkenkriege
begründeten die Macht dieſer Reiche, und wäre man dieſem Princip,
das türkiſche Reich zu bekämpfen, treu geblieben: Europa oder die
Chriſtenheit wären nach menſchlichen Begriffen dem Orient gegen¬
über in einer beſſeren Lage als jetzt, wo uns von dort die größten
Gefahren drohen. Vor der franzöſiſchen Revolution, dem ſchroffen und
ſehr praktiſchen Abfall von der Kirche Chriſti zunächſt in der Politik,
war eine Politik ‚der Intereſſen‛, des ſogenannten Patriotismus,
und wohin dieſe führte, haben wir geſehen. Etwas Elenderes als
die Politik Preußens von 1778 bis zur franzöſiſchen Revolution hat
es nie gegeben; ich erinnere an die Subſidien, die Friedrich II. an
Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen
England. Bei Holland hielt 1787 noch das alte Anſehen Friedrichs II.;
die Reichenbacher Convention war aber ſchon eine durch Abweichung
von dem Princip veranlaßte Blamage. Die Kriege des Großen
Kurfürſten waren im proteſtantiſchen Intereſſe, und die Kriege
Friedrich Wilhelms III. gegen Frankreich waren recht eigentlich
Kriege gegen die Revolution. Den proteſtantiſchen Charakter hatten
weſentlich auch die drei ſchleſiſchen Kriege 1740-1763, wenn auch
bei allem dieſen die Intereſſen des Territorialismus und das
Gleichgewicht mitſpielten.

Das Princip, was durch die Revolution, welche die Tour
durch Europa machte, der europäiſchen Politik gegeben wurde, iſt
das nach meiner Meinung bis heute gültige. Es war wahrlich
nicht unpraktiſch, dieſer Auffaſſung treu zu bleiben. England, was
dem Kampfe gegen die Revolution bis 1815 treu blieb und ſich
durch den alten Bonaparte nicht beirren ließ, ſtieg zur höchſten
Macht; Oeſterreich kam nach vielen unglücklichen Kriegen dennoch
gut aus der Fechtſchule; Preußen hat ſchwer an den Folgen des
Baſeler Friedens gelitten und nur durch 1813-1815 ſich rehabilitirt,
noch viel mehr Spanien, was daran zu Grunde gegangen; und

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[167/0194] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. ſtand gegen die gefährliche Macht der Türken übrig, und Oeſterreich ſowie ſpäter Rußland waren wahrlich nicht unpraktiſch, als ſie dieſem Principe gemäß die Türken bekämpften. Die Türkenkriege begründeten die Macht dieſer Reiche, und wäre man dieſem Princip, das türkiſche Reich zu bekämpfen, treu geblieben: Europa oder die Chriſtenheit wären nach menſchlichen Begriffen dem Orient gegen¬ über in einer beſſeren Lage als jetzt, wo uns von dort die größten Gefahren drohen. Vor der franzöſiſchen Revolution, dem ſchroffen und ſehr praktiſchen Abfall von der Kirche Chriſti zunächſt in der Politik, war eine Politik ‚der Intereſſen‛, des ſogenannten Patriotismus, und wohin dieſe führte, haben wir geſehen. Etwas Elenderes als die Politik Preußens von 1778 bis zur franzöſiſchen Revolution hat es nie gegeben; ich erinnere an die Subſidien, die Friedrich II. an Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen England. Bei Holland hielt 1787 noch das alte Anſehen Friedrichs II.; die Reichenbacher Convention war aber ſchon eine durch Abweichung von dem Princip veranlaßte Blamage. Die Kriege des Großen Kurfürſten waren im proteſtantiſchen Intereſſe, und die Kriege Friedrich Wilhelms III. gegen Frankreich waren recht eigentlich Kriege gegen die Revolution. Den proteſtantiſchen Charakter hatten weſentlich auch die drei ſchleſiſchen Kriege 1740-1763, wenn auch bei allem dieſen die Intereſſen des Territorialismus und das Gleichgewicht mitſpielten. Das Princip, was durch die Revolution, welche die Tour durch Europa machte, der europäiſchen Politik gegeben wurde, iſt das nach meiner Meinung bis heute gültige. Es war wahrlich nicht unpraktiſch, dieſer Auffaſſung treu zu bleiben. England, was dem Kampfe gegen die Revolution bis 1815 treu blieb und ſich durch den alten Bonaparte nicht beirren ließ, ſtieg zur höchſten Macht; Oeſterreich kam nach vielen unglücklichen Kriegen dennoch gut aus der Fechtſchule; Preußen hat ſchwer an den Folgen des Baſeler Friedens gelitten und nur durch 1813-1815 ſich rehabilitirt, noch viel mehr Spanien, was daran zu Grunde gegangen; und

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/194>, abgerufen am 23.11.2024.