Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. prätendirten, unsern Vorfahren für durchaus koscher, und den Ver¬einigten Staaten von Nordamerika haben wir schon in dem Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Ursprung verziehn. Der jetzige König von Portugal hat uns in Berlin besucht, und mit dem Hause Bernadotte hätten wir uns verschwägert, wenn nicht zufällige Hindernisse eintraten. Wann und nach welchen Kenn¬ zeichen haben alle diese Mächte aufgehört, revolutionär zu sein? Es scheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, sobald wir keine Gefahr von ihnen besorgen, und daß man sich alsdann auch nicht prinzipiell daran stößt, wenn sie fortfahren, ohne Buße, ja mit Rühmen sich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich sehe nicht, daß vor der französischen Revolution ein Staatsmann, sei er auch der christlichste und gewissenhafteste, auf den Gedanken gekommen wäre, sein gesammtes politisches Streben, sein Verhalten zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes gegen die Revolution' unterzuordnen und die Beziehungen seines Landes zu andern lediglich an diesem Probirstein zu prüfen; und doch waren die Grundsätze der amerikanischen Revolution und der englischen Revolution, abgesehn von dem Maße des Blutvergießens und dem nach dem Nationalcharakter sich verschieden gestaltenden Unfug mit der Religion, ziemlich dieselben, wie diejenigen, welche in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbei¬ führten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige ebenso christliche und conservative Politiker, ebenso richtige Erkenner des Bösen gegeben hätte, wie wir sind, und daß die Wahrheit eines von uns als Grundlage aller Politik hinzustellenden Prin¬ zips ihnen entgangen sein sollte. Ich finde auch nicht, daß wir auf alle revolutionäre Erscheinungen nach 1789 das Prinzip ebenso rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszustände in Oestreich, das Prosperiren der Revolution in Portugal, Spanien, Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Däne¬ mark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären Grundideen von Seiten der englischen Regirung und das Be¬ Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 12
Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. prätendirten, unſern Vorfahren für durchaus koſcher, und den Ver¬einigten Staaten von Nordamerika haben wir ſchon in dem Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Urſprung verziehn. Der jetzige König von Portugal hat uns in Berlin beſucht, und mit dem Hauſe Bernadotte hätten wir uns verſchwägert, wenn nicht zufällige Hinderniſſe eintraten. Wann und nach welchen Kenn¬ zeichen haben alle dieſe Mächte aufgehört, revolutionär zu ſein? Es ſcheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, ſobald wir keine Gefahr von ihnen beſorgen, und daß man ſich alsdann auch nicht prinzipiell daran ſtößt, wenn ſie fortfahren, ohne Buße, ja mit Rühmen ſich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich ſehe nicht, daß vor der franzöſiſchen Revolution ein Staatsmann, ſei er auch der chriſtlichſte und gewiſſenhafteſte, auf den Gedanken gekommen wäre, ſein geſammtes politiſches Streben, ſein Verhalten zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes gegen die Revolution‘ unterzuordnen und die Beziehungen ſeines Landes zu andern lediglich an dieſem Probirſtein zu prüfen; und doch waren die Grundſätze der amerikaniſchen Revolution und der engliſchen Revolution, abgeſehn von dem Maße des Blutvergießens und dem nach dem Nationalcharakter ſich verſchieden geſtaltenden Unfug mit der Religion, ziemlich dieſelben, wie diejenigen, welche in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbei¬ führten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige ebenſo chriſtliche und conſervative Politiker, ebenſo richtige Erkenner des Böſen gegeben hätte, wie wir ſind, und daß die Wahrheit eines von uns als Grundlage aller Politik hinzuſtellenden Prin¬ zips ihnen entgangen ſein ſollte. Ich finde auch nicht, daß wir auf alle revolutionäre Erſcheinungen nach 1789 das Prinzip ebenſo rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszuſtände in Oeſtreich, das Proſperiren der Revolution in Portugal, Spanien, Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Däne¬ mark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären Grundideen von Seiten der engliſchen Regirung und das Be¬ Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 12
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Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
prätendirten, unſern Vorfahren für durchaus koſcher, und den Ver¬
einigten Staaten von Nordamerika haben wir ſchon in dem Haager
Vertrage von 1785 ihren revolutionären Urſprung verziehn. Der
jetzige König von Portugal hat uns in Berlin beſucht, und mit
dem Hauſe Bernadotte hätten wir uns verſchwägert, wenn nicht
zufällige Hinderniſſe eintraten. Wann und nach welchen Kenn¬
zeichen haben alle dieſe Mächte aufgehört, revolutionär zu ſein?
Es ſcheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, ſobald
wir keine Gefahr von ihnen beſorgen, und daß man ſich alsdann
auch nicht prinzipiell daran ſtößt, wenn ſie fortfahren, ohne Buße,
ja mit Rühmen ſich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich
ſehe nicht, daß vor der franzöſiſchen Revolution ein Staatsmann,
ſei er auch der chriſtlichſte und gewiſſenhafteſte, auf den Gedanken
gekommen wäre, ſein geſammtes politiſches Streben, ſein Verhalten
zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes
gegen die Revolution‘ unterzuordnen und die Beziehungen ſeines
Landes zu andern lediglich an dieſem Probirſtein zu prüfen; und
doch waren die Grundſätze der amerikaniſchen Revolution und der
engliſchen Revolution, abgeſehn von dem Maße des Blutvergießens
und dem nach dem Nationalcharakter ſich verſchieden geſtaltenden
Unfug mit der Religion, ziemlich dieſelben, wie diejenigen, welche
in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbei¬
führten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige
ebenſo chriſtliche und conſervative Politiker, ebenſo richtige Erkenner
des Böſen gegeben hätte, wie wir ſind, und daß die Wahrheit
eines von uns als Grundlage aller Politik hinzuſtellenden Prin¬
zips ihnen entgangen ſein ſollte. Ich finde auch nicht, daß wir
auf alle revolutionäre Erſcheinungen nach 1789 das Prinzip ebenſo
rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszuſtände
in Oeſtreich, das Proſperiren der Revolution in Portugal, Spanien,
Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Däne¬
mark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären
Grundideen von Seiten der engliſchen Regirung und das Be¬
Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 12
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