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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich.

Diesen aber zu beurtheilen, haben die Alten einen Vorzug
vor den Jungen. Die Alten auf der Bühne sind hier aber der
König und meine Wenigkeit, die Jungen Fra Diavolo (Manteuffel)
u. s. w., denn F. D. war 1806 bis 1814 im Rheinbund und Sie
noch nicht geboren. Wir haben aber den Bonapartismus 10 Jahre
practisch studirt, uns ist er eingebläut worden. Unsre ganze Diffe¬
renz liegt auch daher, da wir in der Wurzel einig sind, allein in
der verschiedenen Ansicht des Wesens dieser Erscheinung. Sie
sagen, Ludwig XIV. war auch Eroberer, das Oestreichische Viribus
unitis
sei auch revolutionär, die Bourbons haben mehr Schuld an
der Revolution als die Bonapartes u. s. w. Sie erklären quod
ab initio vitiosum, lapsu temporis convalescere nequit
für einen
nur doctrinär richtigen Satz (ich nicht einmal dafür, denn aus jedem
Unrecht kann Recht werden und wird es im Lauf der Zeiten;
aus dem wider Gottes Willen eingesetzten Königthum in Israel
ging der Heiland hervor, die so sehr anerkannte Erstgeburt wird
bei Ruben, Absalom u. s. w. durchbrochen, der mit der Ehe¬
brecherin Bathseba erzeugte Salomo ist der Gesegnete des Herrn
u. s. w. u. s. w.), aber es ist ein völliges Verkennen des Wesens
des Bonapartismus, wenn Sie denselben mit jenen Dingen in
einen Topf werfen. Bonaparte, sowohl Napoleon I. als Napo¬
leon III., haben nicht blos einen revolutionären unrechtmäßigen
Ursprung, wie Wilhelm III. vielleicht, wie der König Oscar u. s. w.,
sie sind selbst die incarnirte Revolution. Beide, No. I und No. III,
haben das als ein Uebel erkannt und empfunden, beide haben aber
nicht davon losgekonnt. Lesen Sie ein jetzt vergessenes Buch,
Relations et Correspondances de Nap. Bonaparte avec Jean
Fievee
, da finden Sie tiefe Blicke des alten Napoleon in das
Wesen der Staaten, wie denn auch der jetzige Bonaparte mir mit
solchen Gedanken imponirt, z. B. mit der Feststellung der Adels¬
titel, Restauration der Majorate, Erkenntniß der Gefahr der Cen¬
tralisation, Kampf gegen den Börsenschwindel, Wunsch, die alten
Provinzen zu restauriren u. s. w. Das ändert aber das Wesen

Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.

Dieſen aber zu beurtheilen, haben die Alten einen Vorzug
vor den Jungen. Die Alten auf der Bühne ſind hier aber der
König und meine Wenigkeit, die Jungen Fra Diavolo (Manteuffel)
u. ſ. w., denn F. D. war 1806 bis 1814 im Rheinbund und Sie
noch nicht geboren. Wir haben aber den Bonapartismus 10 Jahre
practiſch ſtudirt, uns iſt er eingebläut worden. Unſre ganze Diffe¬
renz liegt auch daher, da wir in der Wurzel einig ſind, allein in
der verſchiedenen Anſicht des Weſens dieſer Erſcheinung. Sie
ſagen, Ludwig XIV. war auch Eroberer, das Oeſtreichiſche Viribus
unitis
ſei auch revolutionär, die Bourbons haben mehr Schuld an
der Revolution als die Bonapartes u. ſ. w. Sie erklären quod
ab initio vitiosum, lapsu temporis convalescere nequit
für einen
nur doctrinär richtigen Satz (ich nicht einmal dafür, denn aus jedem
Unrecht kann Recht werden und wird es im Lauf der Zeiten;
aus dem wider Gottes Willen eingeſetzten Königthum in Iſrael
ging der Heiland hervor, die ſo ſehr anerkannte Erſtgeburt wird
bei Ruben, Abſalom u. ſ. w. durchbrochen, der mit der Ehe¬
brecherin Bathſeba erzeugte Salomo iſt der Geſegnete des Herrn
u. ſ. w. u. ſ. w.), aber es iſt ein völliges Verkennen des Weſens
des Bonapartismus, wenn Sie denſelben mit jenen Dingen in
einen Topf werfen. Bonaparte, ſowohl Napoleon I. als Napo¬
leon III., haben nicht blos einen revolutionären unrechtmäßigen
Urſprung, wie Wilhelm III. vielleicht, wie der König Oscar u. ſ. w.,
ſie ſind ſelbſt die incarnirte Revolution. Beide, No. I und No. III,
haben das als ein Uebel erkannt und empfunden, beide haben aber
nicht davon losgekonnt. Leſen Sie ein jetzt vergeſſenes Buch,
Relations et Correspondances de Nap. Bonaparte avec Jean
Fievée
, da finden Sie tiefe Blicke des alten Napoleon in das
Weſen der Staaten, wie denn auch der jetzige Bonaparte mir mit
ſolchen Gedanken imponirt, z. B. mit der Feſtſtellung der Adels¬
titel, Reſtauration der Majorate, Erkenntniß der Gefahr der Cen¬
traliſation, Kampf gegen den Börſenſchwindel, Wunſch, die alten
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[187/0214] Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. Dieſen aber zu beurtheilen, haben die Alten einen Vorzug vor den Jungen. Die Alten auf der Bühne ſind hier aber der König und meine Wenigkeit, die Jungen Fra Diavolo (Manteuffel) u. ſ. w., denn F. D. war 1806 bis 1814 im Rheinbund und Sie noch nicht geboren. Wir haben aber den Bonapartismus 10 Jahre practiſch ſtudirt, uns iſt er eingebläut worden. Unſre ganze Diffe¬ renz liegt auch daher, da wir in der Wurzel einig ſind, allein in der verſchiedenen Anſicht des Weſens dieſer Erſcheinung. Sie ſagen, Ludwig XIV. war auch Eroberer, das Oeſtreichiſche Viribus unitis ſei auch revolutionär, die Bourbons haben mehr Schuld an der Revolution als die Bonapartes u. ſ. w. Sie erklären quod ab initio vitiosum, lapsu temporis convalescere nequit für einen nur doctrinär richtigen Satz (ich nicht einmal dafür, denn aus jedem Unrecht kann Recht werden und wird es im Lauf der Zeiten; aus dem wider Gottes Willen eingeſetzten Königthum in Iſrael ging der Heiland hervor, die ſo ſehr anerkannte Erſtgeburt wird bei Ruben, Abſalom u. ſ. w. durchbrochen, der mit der Ehe¬ brecherin Bathſeba erzeugte Salomo iſt der Geſegnete des Herrn u. ſ. w. u. ſ. w.), aber es iſt ein völliges Verkennen des Weſens des Bonapartismus, wenn Sie denſelben mit jenen Dingen in einen Topf werfen. Bonaparte, ſowohl Napoleon I. als Napo¬ leon III., haben nicht blos einen revolutionären unrechtmäßigen Urſprung, wie Wilhelm III. vielleicht, wie der König Oscar u. ſ. w., ſie ſind ſelbſt die incarnirte Revolution. Beide, No. I und No. III, haben das als ein Uebel erkannt und empfunden, beide haben aber nicht davon losgekonnt. Leſen Sie ein jetzt vergeſſenes Buch, Relations et Correspondances de Nap. Bonaparte avec Jean Fievée, da finden Sie tiefe Blicke des alten Napoleon in das Weſen der Staaten, wie denn auch der jetzige Bonaparte mir mit ſolchen Gedanken imponirt, z. B. mit der Feſtſtellung der Adels¬ titel, Reſtauration der Majorate, Erkenntniß der Gefahr der Cen¬ traliſation, Kampf gegen den Börſenſchwindel, Wunſch, die alten Provinzen zu reſtauriren u. ſ. w. Das ändert aber das Weſen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/214>, abgerufen am 21.11.2024.