Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Briefwechsel mit Gerlach über Frankreich. in einer rechtmäßigen Republik und rechtfertigt sich durch den Noth¬stand; für einen Bonaparte ist aber, er mag wollen oder nicht, die Revolution, d. h. die Volkssouveränität, innerlicher, und bei jedem Conflict oder Bedürfniß auch äußerlicher Rechtstitel. Aus diesem Grunde kann mich Ihr Vergleich Bonapartes mit den Bour¬ bons, mit dem absolutistischen Oestreich ebensowenig als Na¬ poleons III. Individualität, die mir in vieler Hinsicht auch im¬ ponirt, beruhigen. Wenn er nicht erobert, so muß es sein Nachfolger thun, obschon der prince imperial nicht viel mehr Aussicht auf den Thron hat als viele andre, und gewiß weniger als Heinrich V. In diesem Sinne ist Napoleon III. ebenso unser natürlicher Feind, als es Napoleon I. war, und ich verlange nur, daß Sie das im Auge behalten, nicht aber, daß wir mit ihm schmollen, ihn taqui¬ niren, reizen, sein Werben um uns abweisen sollen, aber wir sind unsrer Ehre und dem Recht eine reservirte Stellung ihm gegen¬ über schuldig. Er muß wissen, daß wir nicht an seinem Sturz arbeiten, daß wir ihm nicht feindlich sind, es ehrlich mit ihm meinen, aber auch, daß wir seinen Ursprung für gefährlich halten (er thut es ja auch), und daß, wenn er denselben geltend machen will, wir uns ihm widersetzen werden. Das muß, ohne daß wir es zu sagen brauchen, er uns zutrauen und das übrige Europa auch, sonst legt er uns einen Kappzaum an und schleppt uns hin, wohin er will. Das ist eben das Wesen einer guten Politik, daß man ohne Streit anzufangen, denen, mit denen man wirklich einig ist, Vertrauen einflößt. Dazu gehört aber, daß man offen mit den Leuten spricht, und nicht wie F. D. sie durch Schweigen und Tückschen erbittert. Preußen hat die schwere Sünde auf sich, von den drei Mächten der heil. Allianz Louis Philippe zuerst anerkannt und die andern bewogen zu haben, dasselbe zu thun. L. Philippe regierte vielleicht noch, wenn man aufrichtig mit ihm gewesen wäre, ihm öfter die Zähne gewiesen und ihn dadurch an seine Usur¬ pation denken gemacht hätte. Man spricht von der isolirten preußischen Stellung; wie kann Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich. in einer rechtmäßigen Republik und rechtfertigt ſich durch den Noth¬ſtand; für einen Bonaparte iſt aber, er mag wollen oder nicht, die Revolution, d. h. die Volksſouveränität, innerlicher, und bei jedem Conflict oder Bedürfniß auch äußerlicher Rechtstitel. Aus dieſem Grunde kann mich Ihr Vergleich Bonapartes mit den Bour¬ bons, mit dem abſolutiſtiſchen Oeſtreich ebenſowenig als Na¬ poleons III. Individualität, die mir in vieler Hinſicht auch im¬ ponirt, beruhigen. Wenn er nicht erobert, ſo muß es ſein Nachfolger thun, obſchon der prince impérial nicht viel mehr Ausſicht auf den Thron hat als viele andre, und gewiß weniger als Heinrich V. In dieſem Sinne iſt Napoleon III. ebenſo unſer natürlicher Feind, als es Napoleon I. war, und ich verlange nur, daß Sie das im Auge behalten, nicht aber, daß wir mit ihm ſchmollen, ihn taqui¬ niren, reizen, ſein Werben um uns abweiſen ſollen, aber wir ſind unſrer Ehre und dem Recht eine reſervirte Stellung ihm gegen¬ über ſchuldig. Er muß wiſſen, daß wir nicht an ſeinem Sturz arbeiten, daß wir ihm nicht feindlich ſind, es ehrlich mit ihm meinen, aber auch, daß wir ſeinen Urſprung für gefährlich halten (er thut es ja auch), und daß, wenn er denſelben geltend machen will, wir uns ihm widerſetzen werden. Das muß, ohne daß wir es zu ſagen brauchen, er uns zutrauen und das übrige Europa auch, ſonſt legt er uns einen Kappzaum an und ſchleppt uns hin, wohin er will. Das iſt eben das Weſen einer guten Politik, daß man ohne Streit anzufangen, denen, mit denen man wirklich einig iſt, Vertrauen einflößt. Dazu gehört aber, daß man offen mit den Leuten ſpricht, und nicht wie F. D. ſie durch Schweigen und Tückſchen erbittert. Preußen hat die ſchwere Sünde auf ſich, von den drei Mächten der heil. Allianz Louis Philippe zuerſt anerkannt und die andern bewogen zu haben, daſſelbe zu thun. L. Philippe regierte vielleicht noch, wenn man aufrichtig mit ihm geweſen wäre, ihm öfter die Zähne gewieſen und ihn dadurch an ſeine Uſur¬ pation denken gemacht hätte. 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Briefwechſel mit Gerlach über Frankreich.
in einer rechtmäßigen Republik und rechtfertigt ſich durch den Noth¬
ſtand; für einen Bonaparte iſt aber, er mag wollen oder nicht,
die Revolution, d. h. die Volksſouveränität, innerlicher, und bei
jedem Conflict oder Bedürfniß auch äußerlicher Rechtstitel. Aus
dieſem Grunde kann mich Ihr Vergleich Bonapartes mit den Bour¬
bons, mit dem abſolutiſtiſchen Oeſtreich ebenſowenig als Na¬
poleons III. Individualität, die mir in vieler Hinſicht auch im¬
ponirt, beruhigen. Wenn er nicht erobert, ſo muß es ſein Nachfolger
thun, obſchon der prince impérial nicht viel mehr Ausſicht auf
den Thron hat als viele andre, und gewiß weniger als Heinrich V.
In dieſem Sinne iſt Napoleon III. ebenſo unſer natürlicher Feind,
als es Napoleon I. war, und ich verlange nur, daß Sie das im
Auge behalten, nicht aber, daß wir mit ihm ſchmollen, ihn taqui¬
niren, reizen, ſein Werben um uns abweiſen ſollen, aber wir ſind
unſrer Ehre und dem Recht eine reſervirte Stellung ihm gegen¬
über ſchuldig. Er muß wiſſen, daß wir nicht an ſeinem Sturz
arbeiten, daß wir ihm nicht feindlich ſind, es ehrlich mit ihm
meinen, aber auch, daß wir ſeinen Urſprung für gefährlich halten
(er thut es ja auch), und daß, wenn er denſelben geltend machen
will, wir uns ihm widerſetzen werden. Das muß, ohne daß wir
es zu ſagen brauchen, er uns zutrauen und das übrige Europa
auch, ſonſt legt er uns einen Kappzaum an und ſchleppt uns hin,
wohin er will. Das iſt eben das Weſen einer guten Politik, daß
man ohne Streit anzufangen, denen, mit denen man wirklich einig
iſt, Vertrauen einflößt. Dazu gehört aber, daß man offen mit den
Leuten ſpricht, und nicht wie F. D. ſie durch Schweigen und
Tückſchen erbittert. Preußen hat die ſchwere Sünde auf ſich, von
den drei Mächten der heil. Allianz Louis Philippe zuerſt anerkannt
und die andern bewogen zu haben, daſſelbe zu thun. L. Philippe
regierte vielleicht noch, wenn man aufrichtig mit ihm geweſen wäre,
ihm öfter die Zähne gewieſen und ihn dadurch an ſeine Uſur¬
pation denken gemacht hätte.
Man ſpricht von der iſolirten preußiſchen Stellung; wie kann
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