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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft.

Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille
Manteuffel's nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten,
wie: "Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts,
Sie müssen Minister werden," so behielt ich doch immer den Ein¬
druck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß
entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum "Gehorsam" zu
bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde
ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine
annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können1).

Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlich¬
tung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites
eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hof-
und Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß
der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand, als mit andern
Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge
gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine
für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oest¬
reichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er voraus¬
zusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern
Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es unge¬
recht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe.
Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern
würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze
sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben,
auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in
eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich
der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer
Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Ein¬
wohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht
würde von Europa unerträglich befunden werden, -- "devrait
engendrer la coalition
", würde schwerer zu behalten, als zu nehmen

1) S. o. S. 88. 138.
Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.

Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille
Manteuffel's nicht anbot, ſondern zu übernehmen befahl mit Worten,
wie: „Wenn Sie ſich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts,
Sie müſſen Miniſter werden,“ ſo behielt ich doch immer den Ein¬
druck im Hintergrunde, daß dieſe Kundgebungen dem Bedürfniß
entſprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum „Gehorſam“ zu
bringen. Auch wenn es dem Könige Ernſt geweſen wäre, ſo würde
ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine
annehmbare Miniſterſtellung nicht dauernd würde haben können1).

Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlich¬
tung des zwiſchen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites
eröffnet worden. Der Kaiſer, über die Vorgänge in Berliner Hof-
und Regirungskreiſen ſtets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß
der König mit mir auf vertrauterem Fuße ſtand, als mit andern
Geſandten und mich wiederholt als Miniſtercandidaten in's Auge
gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine
für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oeſt¬
reichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, ſchien er voraus¬
zuſetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern
Dingen zu rechnen habe; er ſetzte mir auseinander, daß es unge¬
recht ſei, ihn zu beſchuldigen, daß er nach der Rheingrenze ſtrebe.
Das linksrheiniſche deutſche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern
würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze
ſein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben,
auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in
eine ſichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinſichtlich
der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder ſpäter zu einer
Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Ein¬
wohner führen. Eine ſolche Verſtärkung der franzöſiſchen Macht
würde von Europa unerträglich befunden werden, — „devrait
engendrer la coalition
“, würde ſchwerer zu behalten, als zu nehmen

1) S. o. S. 88. 138.
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[192/0219] Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft. Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille Manteuffel's nicht anbot, ſondern zu übernehmen befahl mit Worten, wie: „Wenn Sie ſich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, Sie müſſen Miniſter werden,“ ſo behielt ich doch immer den Ein¬ druck im Hintergrunde, daß dieſe Kundgebungen dem Bedürfniß entſprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum „Gehorſam“ zu bringen. Auch wenn es dem Könige Ernſt geweſen wäre, ſo würde ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine annehmbare Miniſterſtellung nicht dauernd würde haben können 1). Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlich¬ tung des zwiſchen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites eröffnet worden. Der Kaiſer, über die Vorgänge in Berliner Hof- und Regirungskreiſen ſtets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterem Fuße ſtand, als mit andern Geſandten und mich wiederholt als Miniſtercandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oeſt¬ reichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, ſchien er voraus¬ zuſetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er ſetzte mir auseinander, daß es unge¬ recht ſei, ihn zu beſchuldigen, daß er nach der Rheingrenze ſtrebe. Das linksrheiniſche deutſche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze ſein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine ſichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinſichtlich der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder ſpäter zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Ein¬ wohner führen. Eine ſolche Verſtärkung der franzöſiſchen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, — „devrait engendrer la coalition“, würde ſchwerer zu behalten, als zu nehmen 1) S. o. S. 88. 138.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/219>, abgerufen am 24.11.2024.