Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Unterredung mit Napoleon III. über französische Zukunftspläne. sein, -- "un depot que l'Europe coalisee un jour viendraitreprendre"; eine solche an Napoleon I. erinnernde Prätension sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man würde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb würde Jeder¬ manns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes "une petite recti¬ fication des frontieres" verlangen, könne aber ohne solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerseits sei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer grade zu einem französischen See zu machen, "mais a peu pres". Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials, wie die griechischen Matrosen, ein zu ge¬ fährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Ein¬ druck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte eher leid that, und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Krieges zurecht machte, in den England unter seiner Mitwirkung nach dem Ausdruck seines Auswärtigen Ministers wie ein steuer¬ loses Schiff hineingetrieben war -- we are drifting into war. Als Ergebniß eines nächsten Krieges denke er sich ein Ver¬ Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 13
Unterredung mit Napoleon III. über franzöſiſche Zukunftspläne. ſein, — „un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendraitreprendre“; eine ſolche an Napoleon I. erinnernde Prätenſion ſei für die gegenwärtigen Verhältniſſe zu hoch; man würde ſagen, Frankreichs Hand ſei gegen Jedermann, und deshalb würde Jeder¬ manns Hand gegen Frankreich ſein. Vielleicht werde er unter Umſtänden zur Befriedigung des Nationalſtolzes „une petite recti¬ fication des frontières“ verlangen, könne aber ohne ſolche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen ſollte, würde er denſelben eher in der Richtung nach Italien ſuchen. Einerſeits habe dieſes Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerſeits ſei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzoſen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer grade zu einem franzöſiſchen See zu machen, „mais à peu près“. Der Franzoſe ſei kein Seemann von Natur, ſondern ein guter Landſoldat, und eben deshalb ſeien Erfolge zur See ihm viel ſchmeichelhafter. Dies allein ſei das Motiv, welches ihn hätte veranlaſſen können, zur Zerſtörung der ruſſiſchen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinſt im Beſitz eines ſo vortrefflichen Materials, wie die griechiſchen Matroſen, ein zu ge¬ fährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Ein¬ druck, daß der Kaiſer in dieſem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerſtörung der ruſſiſchen Flotte eher leid that, und daß er ſich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Krieges zurecht machte, in den England unter ſeiner Mitwirkung nach dem Ausdruck ſeines Auswärtigen Miniſters wie ein ſteuer¬ loſes Schiff hineingetrieben war — we are drifting into war. Als Ergebniß eines nächſten Krieges denke er ſich ein Ver¬ Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 13
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Unterredung mit Napoleon III. über franzöſiſche Zukunftspläne.
ſein, — „un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendrait
reprendre“; eine ſolche an Napoleon I. erinnernde Prätenſion ſei
für die gegenwärtigen Verhältniſſe zu hoch; man würde ſagen,
Frankreichs Hand ſei gegen Jedermann, und deshalb würde Jeder¬
manns Hand gegen Frankreich ſein. Vielleicht werde er unter
Umſtänden zur Befriedigung des Nationalſtolzes „une petite recti¬
fication des frontières“ verlangen, könne aber ohne ſolche leben.
Wenn er wieder eines Krieges bedürfen ſollte, würde er denſelben
eher in der Richtung nach Italien ſuchen. Einerſeits habe dieſes
Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerſeits
ſei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug.
Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzoſen in einer
Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das
Mittelmeer grade zu einem franzöſiſchen See zu machen, „mais
à peu près“. Der Franzoſe ſei kein Seemann von Natur, ſondern
ein guter Landſoldat, und eben deshalb ſeien Erfolge zur See ihm
viel ſchmeichelhafter. Dies allein ſei das Motiv, welches ihn hätte
veranlaſſen können, zur Zerſtörung der ruſſiſchen Flotte im Schwarzen
Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinſt im Beſitz eines ſo
vortrefflichen Materials, wie die griechiſchen Matroſen, ein zu ge¬
fährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Ein¬
druck, daß der Kaiſer in dieſem Punkte nicht ganz aufrichtig war,
daß ihm die Zerſtörung der ruſſiſchen Flotte eher leid that, und
daß er ſich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des
Krieges zurecht machte, in den England unter ſeiner Mitwirkung
nach dem Ausdruck ſeines Auswärtigen Miniſters wie ein ſteuer¬
loſes Schiff hineingetrieben war — we are drifting into war.
Als Ergebniß eines nächſten Krieges denke er ſich ein Ver¬
hältniß der Intimität und Abhängigkeit Italiens zu Frankreich,
vielleicht die Erwerbung einiger Küſtenpunkte. Zu dieſem Pro¬
gramm gehöre, daß Preußen ihm nicht entgegen ſei. Frankreich
und Preußen ſeien aufeinander angewieſen; er halte es für einen
Fehler, daß Preußen 1806 nicht wie andre deutſche Mächte zu
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