Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.In Schweden und Kurland. Erkrankung des Königs. schen Kreisen war die Vorstellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zu¬stand ihn schon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 be¬ fallen habe. Die Aerzte beriethen, ob sie einen Aderlaß machen sollten oder nicht, wovon sie im ersten Falle Störungen im Gehirn, im zweiten Tod befürchteten, und entschieden sich erst nach mehren Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtsein brachte. Während dieser Tage, also mit der Möglichkeit eines sofortigen Als ich nach Sanssouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel In Schweden und Kurland. Erkrankung des Königs. ſchen Kreiſen war die Vorſtellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zu¬ſtand ihn ſchon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 be¬ fallen habe. Die Aerzte beriethen, ob ſie einen Aderlaß machen ſollten oder nicht, wovon ſie im erſten Falle Störungen im Gehirn, im zweiten Tod befürchteten, und entſchieden ſich erſt nach mehren Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtſein brachte. Während dieſer Tage, alſo mit der Möglichkeit eines ſofortigen Als ich nach Sansſouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="197"/><fw place="top" type="header">In Schweden und Kurland. Erkrankung des Königs.<lb/></fw>ſchen Kreiſen war die Vorſtellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zu¬<lb/> ſtand ihn ſchon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 be¬<lb/> fallen habe. Die Aerzte beriethen, ob ſie einen Aderlaß machen<lb/> ſollten oder nicht, wovon ſie im erſten Falle Störungen im Gehirn,<lb/> im zweiten Tod befürchteten, und entſchieden ſich erſt nach mehren<lb/> Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtſein<lb/> brachte.</p><lb/> <p>Während dieſer Tage, alſo mit der Möglichkeit eines ſofortigen<lb/> Regirungsantritts vor Augen — am 19. October —, machte der<lb/> Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die<lb/> neuen Anlagen und ſprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur<lb/> Regirung komme, die Verfaſſung unverändert annehmen oder zuvor<lb/> eine Reviſion derſelben fordern ſolle. Ich ſagte, die Ablehnung<lb/> der Verfaſſung würde ſich rechtfertigen laſſen, wenn das Lehnrecht<lb/> anwendbar wäre, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen<lb/> des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden ſei. Aus Gründen<lb/> der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht<lb/> die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundene Un¬<lb/> ſicherheit unſrer ſtaatlichen Zuſtände herbeizuführen. Man dürfe<lb/> nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Syſtemwechſels bei jedem<lb/> Thronwechſel hervorrufen. Preußens Anſehn in Deutſchland und<lb/> ſeine europäiſche Actionsfähigkeit würden durch einen Zwiſt zwiſchen<lb/> der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme<lb/><hi rendition="#g">gegen</hi> den beabſichtigten Schritt in dem liberalen Deutſchland<lb/> eine allgemeine ſein. Bei meiner Schilderung der zu befürchtenden<lb/> Folgen ging ich von demſelben Gedanken aus, den ich ihm 1866,<lb/> als es ſich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß<lb/> Verfaſſungsfragen den Bedürfniſſen des Landes und ſeiner politi¬<lb/> ſchen Lage in Deutſchland untergeordnet wären, ein zwingendes<lb/> Bedürfniß an der unſrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für<lb/> jetzt die Machtfrage und innere Geſchloſſenheit die Hauptſache ſei.</p><lb/> <p>Als ich nach Sansſouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel<lb/> beſorglich erregt über meine lange Unterhaltung mit dem Prinzen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0224]
In Schweden und Kurland. Erkrankung des Königs.
ſchen Kreiſen war die Vorſtellung verbreitet, daß ein ähnlicher Zu¬
ſtand ihn ſchon in der Nacht vom 18. zum 19. März 1848 be¬
fallen habe. Die Aerzte beriethen, ob ſie einen Aderlaß machen
ſollten oder nicht, wovon ſie im erſten Falle Störungen im Gehirn,
im zweiten Tod befürchteten, und entſchieden ſich erſt nach mehren
Tagen für den Aderlaß, der den König wieder zum Bewußtſein
brachte.
Während dieſer Tage, alſo mit der Möglichkeit eines ſofortigen
Regirungsantritts vor Augen — am 19. October —, machte der
Prinz von Preußen mit mir einen langen Spaziergang durch die
neuen Anlagen und ſprach mit mir darüber, ob er, wenn er zur
Regirung komme, die Verfaſſung unverändert annehmen oder zuvor
eine Reviſion derſelben fordern ſolle. Ich ſagte, die Ablehnung
der Verfaſſung würde ſich rechtfertigen laſſen, wenn das Lehnrecht
anwendbar wäre, nach welchem ein Erbe zwar an Verfügungen
des Vaters, aber nicht des Bruders gebunden ſei. Aus Gründen
der Politik aber riethe ich, nicht an der Sache zu rühren, nicht
die mit einer, wenn auch bedingten Ablehnung verbundene Un¬
ſicherheit unſrer ſtaatlichen Zuſtände herbeizuführen. Man dürfe
nicht die Befürchtung der Möglichkeit des Syſtemwechſels bei jedem
Thronwechſel hervorrufen. Preußens Anſehn in Deutſchland und
ſeine europäiſche Actionsfähigkeit würden durch einen Zwiſt zwiſchen
der Krone und dem Landtage gemindert werden, die Parteinahme
gegen den beabſichtigten Schritt in dem liberalen Deutſchland
eine allgemeine ſein. Bei meiner Schilderung der zu befürchtenden
Folgen ging ich von demſelben Gedanken aus, den ich ihm 1866,
als es ſich um die Indemnität handelte, zu entwickeln hatte: daß
Verfaſſungsfragen den Bedürfniſſen des Landes und ſeiner politi¬
ſchen Lage in Deutſchland untergeordnet wären, ein zwingendes
Bedürfniß an der unſrigen zu rühren, jetzt nicht vorliege; daß für
jetzt die Machtfrage und innere Geſchloſſenheit die Hauptſache ſei.
Als ich nach Sansſouci zurückkam, fand ich Edwin Manteuffel
beſorglich erregt über meine lange Unterhaltung mit dem Prinzen
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