Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft.
Felskante und erlitt eine ernste Verletzung des Schienbeins, die ich
leider vernachlässigte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehn.
Auf der Rückreise von Kopenhagen traf ich am 26. August in
Berlin ein, machte am 3. September eine große Revue mit, auf
der ich zum ersten Male die eben eingeführte weiße Uniform des
damaligen "schweren Reiter"-Regiments trug, und reiste dann nach
Kurland*).

Am 8. Juli hatte der König dem Kaiser von Oestreich von
Marienbad aus einen Besuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem
Rückwege war er am 13. Juli zum Besuch des Königs von
Sachsen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demselben Tage von
"einem Unwohlsein" befallen wurde, das in den Bulletins der
Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reise erklärt wurde
und die Abreise um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König
am 17. nach Sanssouci zurückgekehrt war, bemerkte seine Umgebung
Symptome einer geistigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel,
der ängstlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern
zu hindern oder zu unterbrechen. Die politischen Eindrücke, die der
König bei seinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren,
hatten auf sein Gemüth deprimirend, die Discussionen angreifend
eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend,
hatte ich im Gespräch den Eindruck des Versiegens der Gedanken
und Anlaß, in die Lenkung seines Pferdes im Schritt einzu¬
greifen.

Der Zustand wurde dadurch verschlimmert, daß der König am
6. October den Kaiser von Rußland, einen starken Raucher, nach
dem Niederschlesisch-Märkischen Bahnhofe in dem kaiserlichen ge¬
schlossenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm
ebenso unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks1).

Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militäri¬

*) Daß auch seine eigenhändigen Schreiben nicht in seiner Gegenwart
gesiegelt wurden, hatte seine sehr bedenkliche Seite.
1) Vgl. Brief aus Königsberg vom 12. Sept. 1857, Bismarckbriefe S. 226.

Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft.
Felskante und erlitt eine ernſte Verletzung des Schienbeins, die ich
leider vernachläſſigte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehn.
Auf der Rückreiſe von Kopenhagen traf ich am 26. Auguſt in
Berlin ein, machte am 3. September eine große Revue mit, auf
der ich zum erſten Male die eben eingeführte weiße Uniform des
damaligen „ſchweren Reiter“-Regiments trug, und reiſte dann nach
Kurland*).

Am 8. Juli hatte der König dem Kaiſer von Oeſtreich von
Marienbad aus einen Beſuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem
Rückwege war er am 13. Juli zum Beſuch des Königs von
Sachſen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demſelben Tage von
„einem Unwohlſein“ befallen wurde, das in den Bulletins der
Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reiſe erklärt wurde
und die Abreiſe um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König
am 17. nach Sansſouci zurückgekehrt war, bemerkte ſeine Umgebung
Symptome einer geiſtigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel,
der ängſtlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern
zu hindern oder zu unterbrechen. Die politiſchen Eindrücke, die der
König bei ſeinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren,
hatten auf ſein Gemüth deprimirend, die Diſcuſſionen angreifend
eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend,
hatte ich im Geſpräch den Eindruck des Verſiegens der Gedanken
und Anlaß, in die Lenkung ſeines Pferdes im Schritt einzu¬
greifen.

Der Zuſtand wurde dadurch verſchlimmert, daß der König am
6. October den Kaiſer von Rußland, einen ſtarken Raucher, nach
dem Niederſchleſiſch-Märkiſchen Bahnhofe in dem kaiſerlichen ge¬
ſchloſſenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm
ebenſo unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks1).

Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militäri¬

*) Daß auch ſeine eigenhändigen Schreiben nicht in ſeiner Gegenwart
geſiegelt wurden, hatte ſeine ſehr bedenkliche Seite.
1) Vgl. Brief aus Königsberg vom 12. Sept. 1857, Bismarckbriefe S. 226.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="196"/><fw place="top" type="header">Neuntes Kapitel: Rei&#x017F;en. Regent&#x017F;chaft.<lb/></fw> Felskante und erlitt eine ern&#x017F;te Verletzung des Schienbeins, die ich<lb/>
leider vernachlä&#x017F;&#x017F;igte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehn.<lb/>
Auf der Rückrei&#x017F;e von Kopenhagen traf ich am 26. Augu&#x017F;t in<lb/>
Berlin ein, machte am 3. September eine große Revue mit, auf<lb/>
der ich zum er&#x017F;ten Male die eben eingeführte weiße Uniform des<lb/>
damaligen &#x201E;&#x017F;chweren Reiter&#x201C;-Regiments trug, und rei&#x017F;te dann nach<lb/>
Kurland<note place="foot" n="*)"><lb/>
Daß auch &#x017F;eine eigenhändigen Schreiben nicht in &#x017F;einer Gegenwart<lb/>
ge&#x017F;iegelt wurden, hatte &#x017F;eine &#x017F;ehr bedenkliche Seite.</note>.</p><lb/>
          <p>Am 8. Juli hatte der König dem Kai&#x017F;er von Oe&#x017F;treich von<lb/>
Marienbad aus einen Be&#x017F;uch in Schönbrunn gemacht. Auf dem<lb/>
Rückwege war er am 13. Juli zum Be&#x017F;uch des Königs von<lb/>
Sach&#x017F;en in Pillnitz eingetroffen, wo er an dem&#x017F;elben Tage von<lb/>
&#x201E;einem Unwohl&#x017F;ein&#x201C; befallen wurde, das in den Bulletins der<lb/>
Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Rei&#x017F;e erklärt wurde<lb/>
und die Abrei&#x017F;e um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König<lb/>
am 17. nach Sans&#x017F;ouci zurückgekehrt war, bemerkte &#x017F;eine Umgebung<lb/>
Symptome einer gei&#x017F;tigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel,<lb/>
der äng&#x017F;tlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern<lb/>
zu hindern oder zu unterbrechen. Die politi&#x017F;chen Eindrücke, die der<lb/>
König bei &#x017F;einen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren,<lb/>
hatten auf &#x017F;ein Gemüth deprimirend, die Di&#x017F;cu&#x017F;&#x017F;ionen angreifend<lb/>
eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend,<lb/>
hatte ich im Ge&#x017F;präch den Eindruck des Ver&#x017F;iegens der Gedanken<lb/>
und Anlaß, in die Lenkung &#x017F;eines Pferdes im Schritt einzu¬<lb/>
greifen.</p><lb/>
          <p>Der Zu&#x017F;tand wurde dadurch ver&#x017F;chlimmert, daß der König am<lb/>
6. October den Kai&#x017F;er von Rußland, einen &#x017F;tarken Raucher, nach<lb/>
dem Nieder&#x017F;chle&#x017F;i&#x017F;ch-Märki&#x017F;chen Bahnhofe in dem kai&#x017F;erlichen ge¬<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm<lb/>
eben&#x017F;o unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks<note place="foot" n="1)"><lb/>
Vgl. Brief aus Königsberg vom 12. Sept. 1857, Bismarckbriefe S. 226.</note>.</p><lb/>
          <p>Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militäri¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0223] Neuntes Kapitel: Reiſen. Regentſchaft. Felskante und erlitt eine ernſte Verletzung des Schienbeins, die ich leider vernachläſſigte, um nach Kurland auf die Elchjagd zu gehn. Auf der Rückreiſe von Kopenhagen traf ich am 26. Auguſt in Berlin ein, machte am 3. September eine große Revue mit, auf der ich zum erſten Male die eben eingeführte weiße Uniform des damaligen „ſchweren Reiter“-Regiments trug, und reiſte dann nach Kurland *). Am 8. Juli hatte der König dem Kaiſer von Oeſtreich von Marienbad aus einen Beſuch in Schönbrunn gemacht. Auf dem Rückwege war er am 13. Juli zum Beſuch des Königs von Sachſen in Pillnitz eingetroffen, wo er an demſelben Tage von „einem Unwohlſein“ befallen wurde, das in den Bulletins der Leibärzte aus der bei großer Hitze zurückgelegten Reiſe erklärt wurde und die Abreiſe um mehre Tage verzögerte. Nachdem der König am 17. nach Sansſouci zurückgekehrt war, bemerkte ſeine Umgebung Symptome einer geiſtigen Ermüdung, namentlich Edwin Manteuffel, der ängſtlich bemüht war, jede Unterhaltung des Königs mit Andern zu hindern oder zu unterbrechen. Die politiſchen Eindrücke, die der König bei ſeinen Verwandten in Schönbrunn und Pillnitz erfahren, hatten auf ſein Gemüth deprimirend, die Diſcuſſionen angreifend eingewirkt. Bei dem Exerciren am 27. Juli neben ihm reitend, hatte ich im Geſpräch den Eindruck des Verſiegens der Gedanken und Anlaß, in die Lenkung ſeines Pferdes im Schritt einzu¬ greifen. Der Zuſtand wurde dadurch verſchlimmert, daß der König am 6. October den Kaiſer von Rußland, einen ſtarken Raucher, nach dem Niederſchleſiſch-Märkiſchen Bahnhofe in dem kaiſerlichen ge¬ ſchloſſenen Salonwagen begleitet hatte, in Tabaksdampf, der ihm ebenſo unerträglich war wie der Geruch des Siegellacks 1). Es folgte, wie bekannt, ein Schlaganfall. In hohen militäri¬ *) Daß auch ſeine eigenhändigen Schreiben nicht in ſeiner Gegenwart geſiegelt wurden, hatte ſeine ſehr bedenkliche Seite. 1) Vgl. Brief aus Königsberg vom 12. Sept. 1857, Bismarckbriefe S. 226.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/223
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/223>, abgerufen am 21.11.2024.