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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Die Petersburger Gesellschaft. Der Monsieur decore in Petersburg.
sie geneigt, ihre Kenntniß dieser Sprache zu verleugnen, unfreund¬
lich oder garnicht zu antworten und Civilisten gegenüber unter
das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches sie in den Uniform
oder Orden tragenden Kreisen untereinander beobachteten. Es war
eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerschaft der
Vertreter auswärtiger Regirungen durch Tressen und das der
Diplomatie vorbehaltene Costüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet
war. Die Angehörigen des diplomatischen Corps würden sonst,
da sie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder
Orden zu tragen, sowohl von der Polizei als von Mitgliedern der
höhern Gesellschaft denselben zu Conflicten führenden Unannehm¬
lichkeiten ausgesetzt gewesen sein, welche ein ordensloser Civilist,
der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr
und auf Dampfschiffen leicht erleben konnte.

In dem Napoleonischen Paris habe ich dieselbe Beobachtung
gemacht 1). Wenn ich länger dort gewohnt hätte, so würde ich mich
haben daran gewöhnen müssen, nach französischer Sitte mich nicht ohne
Andeutung einer Decoration auf der Straße zu Fuß zu bewegen.
Ich habe auf den Boulevards erlebt, daß bei einer Festlichkeit
einige hundert Menschen sich weder vorwärts noch rückwärts be¬
wegen konnten, weil sie infolge mangelhafter Anordnung zwischen
zwei in verschiedner Richtung marschirende Truppentheile gerathen
waren, und daß die Polizei, welche das Hemmniß nicht wahr¬
genommen hatte, auf diese Masse gewaltthätig mit Faustschlägen
und den in Paris so üblichen coups de pied einstürmte, bis sie
auf einen "Monsieur decore" stieß. Das rothe Bändchen bewog
die Polizisten, die Protestationen des Trägers wenigstens anzu¬
hören und sich endlich überzeugen zu lassen, daß der anscheinend
widerspenstige Volkshaufe zwischen zwei Truppentheilen eingeklemmt
war und deshalb nicht ausweichen konnte. Der Führer der auf¬
geregten Polizisten zog sich durch den Scherz aus der Affaire, daß

1) S. o. S. 81.

Die Petersburger Geſellſchaft. Der Monsieur décoré in Petersburg.
ſie geneigt, ihre Kenntniß dieſer Sprache zu verleugnen, unfreund¬
lich oder garnicht zu antworten und Civiliſten gegenüber unter
das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches ſie in den Uniform
oder Orden tragenden Kreiſen untereinander beobachteten. Es war
eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerſchaft der
Vertreter auswärtiger Regirungen durch Treſſen und das der
Diplomatie vorbehaltene Coſtüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet
war. Die Angehörigen des diplomatiſchen Corps würden ſonſt,
da ſie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder
Orden zu tragen, ſowohl von der Polizei als von Mitgliedern der
höhern Geſellſchaft denſelben zu Conflicten führenden Unannehm¬
lichkeiten ausgeſetzt geweſen ſein, welche ein ordensloſer Civiliſt,
der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr
und auf Dampfſchiffen leicht erleben konnte.

In dem Napoleoniſchen Paris habe ich dieſelbe Beobachtung
gemacht 1). Wenn ich länger dort gewohnt hätte, ſo würde ich mich
haben daran gewöhnen müſſen, nach franzöſiſcher Sitte mich nicht ohne
Andeutung einer Decoration auf der Straße zu Fuß zu bewegen.
Ich habe auf den Boulevards erlebt, daß bei einer Feſtlichkeit
einige hundert Menſchen ſich weder vorwärts noch rückwärts be¬
wegen konnten, weil ſie infolge mangelhafter Anordnung zwiſchen
zwei in verſchiedner Richtung marſchirende Truppentheile gerathen
waren, und daß die Polizei, welche das Hemmniß nicht wahr¬
genommen hatte, auf dieſe Maſſe gewaltthätig mit Fauſtſchlägen
und den in Paris ſo üblichen coups de pied einſtürmte, bis ſie
auf einen „Monsieur décoré“ ſtieß. Das rothe Bändchen bewog
die Poliziſten, die Proteſtationen des Trägers wenigſtens anzu¬
hören und ſich endlich überzeugen zu laſſen, daß der anſcheinend
widerſpenſtige Volkshaufe zwiſchen zwei Truppentheilen eingeklemmt
war und deshalb nicht ausweichen konnte. Der Führer der auf¬
geregten Poliziſten zog ſich durch den Scherz aus der Affaire, daß

1) S. o. S. 81.
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[221/0248] Die Petersburger Geſellſchaft. Der Monsieur décoré in Petersburg. ſie geneigt, ihre Kenntniß dieſer Sprache zu verleugnen, unfreund¬ lich oder garnicht zu antworten und Civiliſten gegenüber unter das Maß von Höflichkeit herabzugehn, welches ſie in den Uniform oder Orden tragenden Kreiſen untereinander beobachteten. Es war eine zweckmäßige Einrichtung der Polizei, daß die Dienerſchaft der Vertreter auswärtiger Regirungen durch Treſſen und das der Diplomatie vorbehaltene Coſtüm eines Livree-Jägers gekennzeichnet war. Die Angehörigen des diplomatiſchen Corps würden ſonſt, da ſie nicht die Gewohnheit hatten, auf der Straße Uniform oder Orden zu tragen, ſowohl von der Polizei als von Mitgliedern der höhern Geſellſchaft denſelben zu Conflicten führenden Unannehm¬ lichkeiten ausgeſetzt geweſen ſein, welche ein ordensloſer Civiliſt, der nicht als vornehmer Mann bekannt war, im Straßenverkehr und auf Dampfſchiffen leicht erleben konnte. In dem Napoleoniſchen Paris habe ich dieſelbe Beobachtung gemacht 1). Wenn ich länger dort gewohnt hätte, ſo würde ich mich haben daran gewöhnen müſſen, nach franzöſiſcher Sitte mich nicht ohne Andeutung einer Decoration auf der Straße zu Fuß zu bewegen. Ich habe auf den Boulevards erlebt, daß bei einer Feſtlichkeit einige hundert Menſchen ſich weder vorwärts noch rückwärts be¬ wegen konnten, weil ſie infolge mangelhafter Anordnung zwiſchen zwei in verſchiedner Richtung marſchirende Truppentheile gerathen waren, und daß die Polizei, welche das Hemmniß nicht wahr¬ genommen hatte, auf dieſe Maſſe gewaltthätig mit Fauſtſchlägen und den in Paris ſo üblichen coups de pied einſtürmte, bis ſie auf einen „Monsieur décoré“ ſtieß. Das rothe Bändchen bewog die Poliziſten, die Proteſtationen des Trägers wenigſtens anzu¬ hören und ſich endlich überzeugen zu laſſen, daß der anſcheinend widerſpenſtige Volkshaufe zwiſchen zwei Truppentheilen eingeklemmt war und deshalb nicht ausweichen konnte. Der Führer der auf¬ geregten Poliziſten zog ſich durch den Scherz aus der Affaire, daß 1) S. o. S. 81.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/248>, abgerufen am 14.05.2024.