Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Ohne Einfluß in Berlin. Das Briefgeheimniß in Rußland u. Oestreich. aus diesem Vorgange die Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß nurdieser eine unsrer Chiffres sich im russischen Besitze befand. Die Sicherstellung des Chiffres war in Petersburg besonders schwierig, weil jede Gesandschaft russische Diener und Subalterne nothwendig im Innern des Hauses verwenden mußte und die politische Polizei unter diesen sich leicht Agenten verschaffte. Zur Zeit des östreichisch-französischen Krieges klagte mir der Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen bestanden. Ohne Einfluß in Berlin. Das Briefgeheimniß in Rußland u. Oeſtreich. aus dieſem Vorgange die Wahrſcheinlichkeit zu entnehmen, daß nurdieſer eine unſrer Chiffres ſich im ruſſiſchen Beſitze befand. Die Sicherſtellung des Chiffres war in Petersburg beſonders ſchwierig, weil jede Geſandſchaft ruſſiſche Diener und Subalterne nothwendig im Innern des Hauſes verwenden mußte und die politiſche Polizei unter dieſen ſich leicht Agenten verſchaffte. Zur Zeit des öſtreichiſch-franzöſiſchen Krieges klagte mir der Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen beſtanden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0256" n="229"/><fw place="top" type="header">Ohne Einfluß in Berlin. Das Briefgeheimniß in Rußland u. Oeſtreich.<lb/></fw> aus dieſem Vorgange die Wahrſcheinlichkeit zu entnehmen, daß nur<lb/> dieſer eine unſrer Chiffres ſich im ruſſiſchen Beſitze befand. Die<lb/> Sicherſtellung des Chiffres war in Petersburg beſonders ſchwierig,<lb/> weil jede Geſandſchaft ruſſiſche Diener und Subalterne nothwendig<lb/> im Innern des Hauſes verwenden mußte und die politiſche Polizei<lb/> unter dieſen ſich leicht Agenten verſchaffte.</p><lb/> <p>Zur Zeit des öſtreichiſch-franzöſiſchen Krieges klagte mir der<lb/> Kaiſer Alexander in vertraulichem Geſpräche über den heftigen und<lb/> verletzenden Ton, in welchem die ruſſiſche Politik in Correſpondenzen<lb/> deutſcher Fürſten an kaiſerliche Familienglieder kritiſirt werde. Er<lb/> ſchloß die Beſchwerde über ſeine Verwandten mit den entrüſteten<lb/> Worten: „Das Beleidigende für mich in der Sache iſt, daß die<lb/> deutſchen Herrn Vettern ihre Grobheiten mit der Poſt ſchicken,<lb/> damit ſie ſicher zu meiner perſönlichen Kenntniß gelangen.“ Der<lb/> Kaiſer hatte kein Arg bei dieſem Eingeſtändniß und war unbefangen<lb/> der Meinung, daß es ſein monarchiſches Recht ſei, auch auf dieſem<lb/> Wege von der Correſpondenz Kenntniß zu erhalten, deren Trägerin<lb/> die ruſſiſche Poſt war.</p><lb/> <p>Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen beſtanden.<lb/> Vor Erbauung der Eiſenbahnen hat es Zeiten gegeben, in denen<lb/> nach Ueberſchreitung der Grenze ein öſtreichiſcher Beamter zu dem<lb/> preußiſchen Courier in den Wagen ſtieg, und unter Aſſiſtenz des<lb/> Letztern die Depeſchen mit gewerbsmäßigem Geſchicke geöffnet, ge¬<lb/> ſchloſſen und excerpirt wurden, bevor ſie an die Geſandſchaft in<lb/> Wien gelangten. Noch nach dem Aufhören dieſer Praxis galt es<lb/> für eine vorſichtige Form amtlicher Mittheilung von Cabinet zu<lb/> Cabinet nach Wien oder Petersburg, wenn dem dortigen preußiſchen<lb/> Geſandten mit einfachem Poſtbriefe geſchrieben wurde. Der Inhalt<lb/> wurde von beiden Seiten als inſinuirt angeſehn, und man bediente<lb/> ſich dieſer Form der Inſinuation gelegentlich dann, wenn die<lb/> Wirkung einer unangenehmen Mittheilung im Intereſſe der Tonart<lb/> des formalen Verkehrs abgeſchwächt werden ſollte. Wie es in der<lb/> Poſt von Thurn und Taxis mit dem Briefgeheimniß beſtellt war,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229/0256]
Ohne Einfluß in Berlin. Das Briefgeheimniß in Rußland u. Oeſtreich.
aus dieſem Vorgange die Wahrſcheinlichkeit zu entnehmen, daß nur
dieſer eine unſrer Chiffres ſich im ruſſiſchen Beſitze befand. Die
Sicherſtellung des Chiffres war in Petersburg beſonders ſchwierig,
weil jede Geſandſchaft ruſſiſche Diener und Subalterne nothwendig
im Innern des Hauſes verwenden mußte und die politiſche Polizei
unter dieſen ſich leicht Agenten verſchaffte.
Zur Zeit des öſtreichiſch-franzöſiſchen Krieges klagte mir der
Kaiſer Alexander in vertraulichem Geſpräche über den heftigen und
verletzenden Ton, in welchem die ruſſiſche Politik in Correſpondenzen
deutſcher Fürſten an kaiſerliche Familienglieder kritiſirt werde. Er
ſchloß die Beſchwerde über ſeine Verwandten mit den entrüſteten
Worten: „Das Beleidigende für mich in der Sache iſt, daß die
deutſchen Herrn Vettern ihre Grobheiten mit der Poſt ſchicken,
damit ſie ſicher zu meiner perſönlichen Kenntniß gelangen.“ Der
Kaiſer hatte kein Arg bei dieſem Eingeſtändniß und war unbefangen
der Meinung, daß es ſein monarchiſches Recht ſei, auch auf dieſem
Wege von der Correſpondenz Kenntniß zu erhalten, deren Trägerin
die ruſſiſche Poſt war.
Auch in Wien haben früher ähnliche Einrichtungen beſtanden.
Vor Erbauung der Eiſenbahnen hat es Zeiten gegeben, in denen
nach Ueberſchreitung der Grenze ein öſtreichiſcher Beamter zu dem
preußiſchen Courier in den Wagen ſtieg, und unter Aſſiſtenz des
Letztern die Depeſchen mit gewerbsmäßigem Geſchicke geöffnet, ge¬
ſchloſſen und excerpirt wurden, bevor ſie an die Geſandſchaft in
Wien gelangten. Noch nach dem Aufhören dieſer Praxis galt es
für eine vorſichtige Form amtlicher Mittheilung von Cabinet zu
Cabinet nach Wien oder Petersburg, wenn dem dortigen preußiſchen
Geſandten mit einfachem Poſtbriefe geſchrieben wurde. Der Inhalt
wurde von beiden Seiten als inſinuirt angeſehn, und man bediente
ſich dieſer Form der Inſinuation gelegentlich dann, wenn die
Wirkung einer unangenehmen Mittheilung im Intereſſe der Tonart
des formalen Verkehrs abgeſchwächt werden ſollte. Wie es in der
Poſt von Thurn und Taxis mit dem Briefgeheimniß beſtellt war,
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