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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zehntes Kapitel: Petersburg.
Ich beglückwünschte den alten Soldaten, daß er nach 46 Jahren
noch so rüstig sei, und erhielt die Antwort, er würde noch jetzt,
wenn der Kaiser es erlaubte, den Krieg mitmachen. Ich fragte,
mit wem er dann gehn würde, mit Italien oder mit Oestreich,
worauf er stramm stehend mit Enthusiasmus erklärte: "Immer
gegen Oestreich." Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß Oest¬
reich doch bei Kulm unser und Rußlands Freund und Italien
unser Gegner gewesen sei, worauf er, immer in militärisch strammer
Haltung und mit der lauten und weit hörbaren Stimme, die der
russische Soldat im Gespräch mit Offizieren hat, antwortete: "Ein
ehrlicher Feind ist besser als ein falscher Freund." Diese unver¬
frorene Antwort begeisterte den Fürsten Dolgoruki dergestalt, daß
im nächsten Moment General und Unteroffizier in der Umarmung
lagen und die herzlichsten Küsse auf beide Wangen austauschten.
So war damals bei General und Unteroffizier die russische Stim¬
mung gegen Oestreich.

Eine Erinnerung an den Ausflug nach Moskau ist der nach¬
stehende Briefwechsel mit dem Fürsten Obolenski.

Moscou, le "2" Juin 1859.

En visitant dernierement les antiquites de Moscou, Votre
Excellence a porte une grande attention aux monuments de
notre ancienne vie politique et morale. Les vieils edifices du
Kremlin, les objets de la vie domestique des Tzars, les precieux
manuscrits grecs de la bibliotheque des Patriarches de Russie,
-- tout enfin a excite Sa curiosite eclairee. Les remarques
scientifiques de V. E. au sujet de ces monuments ont prouve
qu'outre Ses grandes connaissances diplomatiques, Elle en
reunissent d'aussi profondes en archeologie. Une pareille at¬
tention de la part d'un etranger pour nos antiquites m'est
doublement chere, comme a un Russe et comme a un homme
qui consacre ses loisirs aux recherches archeologiques. Per¬
mettez-moi d'offrir a V. E. en souvenir de Son court sejour

Zehntes Kapitel: Petersburg.
Ich beglückwünſchte den alten Soldaten, daß er nach 46 Jahren
noch ſo rüſtig ſei, und erhielt die Antwort, er würde noch jetzt,
wenn der Kaiſer es erlaubte, den Krieg mitmachen. Ich fragte,
mit wem er dann gehn würde, mit Italien oder mit Oeſtreich,
worauf er ſtramm ſtehend mit Enthuſiasmus erklärte: „Immer
gegen Oeſtreich.“ Ich machte ihn darauf aufmerkſam, daß Oeſt¬
reich doch bei Kulm unſer und Rußlands Freund und Italien
unſer Gegner geweſen ſei, worauf er, immer in militäriſch ſtrammer
Haltung und mit der lauten und weit hörbaren Stimme, die der
ruſſiſche Soldat im Geſpräch mit Offizieren hat, antwortete: „Ein
ehrlicher Feind iſt beſſer als ein falſcher Freund.“ Dieſe unver¬
frorene Antwort begeiſterte den Fürſten Dolgoruki dergeſtalt, daß
im nächſten Moment General und Unteroffizier in der Umarmung
lagen und die herzlichſten Küſſe auf beide Wangen austauſchten.
So war damals bei General und Unteroffizier die ruſſiſche Stim¬
mung gegen Oeſtreich.

Eine Erinnerung an den Ausflug nach Moskau iſt der nach¬
ſtehende Briefwechſel mit dem Fürſten Obolenſki.

Moscou, le „2“ Juin 1859.

En visitant dernièrement les antiquités de Moscou, Votre
Excellence a porté une grande attention aux monuments de
notre ancienne vie politique et morale. Les vieils édifices du
Kremlin, les objets de la vie domestique des Tzars, les précieux
manuscrits grecs de la bibliothèque des Patriarches de Russie,
— tout enfin a excité Sa curiosité éclairée. Les remarques
scientifiques de V. E. au sujet de ces monuments ont prouvé
qu'outre Ses grandes connaissances diplomatiques, Elle en
réunissent d'aussi profondes en archéologie. Une pareille at¬
tention de la part d'un étranger pour nos antiquités m'est
doublement chère, comme à un Russe et comme à un homme
qui consacre ses loisirs aux recherches archéologiques. Per¬
mettez-moi d'offrir à V. E. en souvenir de Son court séjour

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[232/0259] Zehntes Kapitel: Petersburg. Ich beglückwünſchte den alten Soldaten, daß er nach 46 Jahren noch ſo rüſtig ſei, und erhielt die Antwort, er würde noch jetzt, wenn der Kaiſer es erlaubte, den Krieg mitmachen. Ich fragte, mit wem er dann gehn würde, mit Italien oder mit Oeſtreich, worauf er ſtramm ſtehend mit Enthuſiasmus erklärte: „Immer gegen Oeſtreich.“ Ich machte ihn darauf aufmerkſam, daß Oeſt¬ reich doch bei Kulm unſer und Rußlands Freund und Italien unſer Gegner geweſen ſei, worauf er, immer in militäriſch ſtrammer Haltung und mit der lauten und weit hörbaren Stimme, die der ruſſiſche Soldat im Geſpräch mit Offizieren hat, antwortete: „Ein ehrlicher Feind iſt beſſer als ein falſcher Freund.“ Dieſe unver¬ frorene Antwort begeiſterte den Fürſten Dolgoruki dergeſtalt, daß im nächſten Moment General und Unteroffizier in der Umarmung lagen und die herzlichſten Küſſe auf beide Wangen austauſchten. So war damals bei General und Unteroffizier die ruſſiſche Stim¬ mung gegen Oeſtreich. Eine Erinnerung an den Ausflug nach Moskau iſt der nach¬ ſtehende Briefwechſel mit dem Fürſten Obolenſki. Moscou, le „2“ Juin 1859. En visitant dernièrement les antiquités de Moscou, Votre Excellence a porté une grande attention aux monuments de notre ancienne vie politique et morale. Les vieils édifices du Kremlin, les objets de la vie domestique des Tzars, les précieux manuscrits grecs de la bibliothèque des Patriarches de Russie, — tout enfin a excité Sa curiosité éclairée. Les remarques scientifiques de V. E. au sujet de ces monuments ont prouvé qu'outre Ses grandes connaissances diplomatiques, Elle en réunissent d'aussi profondes en archéologie. Une pareille at¬ tention de la part d'un étranger pour nos antiquités m'est doublement chère, comme à un Russe et comme à un homme qui consacre ses loisirs aux recherches archéologiques. Per¬ mettez-moi d'offrir à V. E. en souvenir de Son court séjour

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/259>, abgerufen am 22.11.2024.