Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Napoleon schlägt ein französisch-preußisches Bündniß vor. et en profiter. Dieser Gedanke einer "diplomatischen Allianz",in welcher man die Gewohnheit gegenseitigen Vertrauens annähme und für schwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde von dem Kaiser weiter ausgesponnen. Dann plötzlich stehen blei¬ bend, sagte er: "Sie können Sich nicht vorstellen, quelles singulieres ouver¬ Ganz aus der Luft gegriffen konnten diese Auslassungen des 1) Man vergleiche damit den fast wörtlich übereinstimmenden Bericht vom 28. Juni 1862 an Bernstorff, der dem Fürsten Bismarck bei der Auf¬ zeichnung seiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch VI 152 ff. Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 17
Napoleon ſchlägt ein franzöſiſch-preußiſches Bündniß vor. et en profiter. Dieſer Gedanke einer „diplomatiſchen Allianz“,in welcher man die Gewohnheit gegenſeitigen Vertrauens annähme und für ſchwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde von dem Kaiſer weiter ausgeſponnen. Dann plötzlich ſtehen blei¬ bend, ſagte er: „Sie können Sich nicht vorſtellen, quelles singulières ouver¬ Ganz aus der Luft gegriffen konnten dieſe Auslaſſungen des 1) Man vergleiche damit den faſt wörtlich übereinſtimmenden Bericht vom 28. Juni 1862 an Bernſtorff, der dem Fürſten Bismarck bei der Auf¬ zeichnung ſeiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch VI 152 ff. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 17
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Napoleon ſchlägt ein franzöſiſch-preußiſches Bündniß vor.
et en profiter. Dieſer Gedanke einer „diplomatiſchen Allianz“,
in welcher man die Gewohnheit gegenſeitigen Vertrauens annähme
und für ſchwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde
von dem Kaiſer weiter ausgeſponnen. Dann plötzlich ſtehen blei¬
bend, ſagte er:
„Sie können Sich nicht vorſtellen, quelles singulières ouver¬
tures m'a fait faire l'Autriche, il y a peu de jours. Es ſcheint,
daß das Zuſammentreffen Ihrer Ernennung und der Ankunft des
Herrn von Budberg in Paris einen paniſchen Schrecken in Wien
erzeugt hat. Der Fürſt Metternich hat mir geſagt, er habe In¬
ſtructionen erhalten, die ſo weit gingen, daß er ſelbſt darüber er¬
ſchrocken ſei; er habe unbegrenzte Vollmachten, wie ſie je ein Sou¬
verain ſeinem Vertreter anvertraut, in Betreff aller und jeder Frage,
die ich anregen würde, ſich mit mir um jeden Preis zu verſtändigen.
Ich wurde durch dieſe Eröffnung in einige Verlegenheit geſetzt,
denn abgeſehn von der Unverträglichkeit der Intereſſen beider
Staaten habe ich eine faſt abergläubiſche Abneigung dagegen, mich
mit den Geſchicken Oeſtreichs zu verflechten“ 1).
Ganz aus der Luft gegriffen konnten dieſe Auslaſſungen des
Kaiſers nicht ſein, wenn er auch erwarten durfte, daß ich meine
geſellſchaftlichen Beziehungen zu Metternich nicht bis zum Bruch
des mir gewährten Vertrauens ausnutzen werde. Unvorſichtig war
dieſe Eröffnung an den Preußiſchen Geſandten jedenfalls, mochte
ſie wahr oder übertrieben ſein. Ich war ſchon in Frankfurt zu
der Ueberzeugung gelangt, daß die Wiener Politik unter Umſtänden
vor keiner Combination zurückſchrecke; daß ſie Venetien oder das
linke Rheinufer opfern würde, wenn damit auf dem rechten eine
Bundesverfaſſung mit geſichertem Uebergewicht Oeſtreichs über
Preußen zu erkaufen ſei, daß die deutſche Phraſe in der Hofburg
1)
Man vergleiche damit den faſt wörtlich übereinſtimmenden Bericht
vom 28. Juni 1862 an Bernſtorff, der dem Fürſten Bismarck bei der Auf¬
zeichnung ſeiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch
VI 152 ff.
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