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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Napoleon schlägt ein französisch-preußisches Bündniß vor.
et en profiter. Dieser Gedanke einer "diplomatischen Allianz",
in welcher man die Gewohnheit gegenseitigen Vertrauens annähme
und für schwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde
von dem Kaiser weiter ausgesponnen. Dann plötzlich stehen blei¬
bend, sagte er:

"Sie können Sich nicht vorstellen, quelles singulieres ouver¬
tures m'a fait faire l'Autriche, il y a peu de jours. Es scheint,
daß das Zusammentreffen Ihrer Ernennung und der Ankunft des
Herrn von Budberg in Paris einen panischen Schrecken in Wien
erzeugt hat. Der Fürst Metternich hat mir gesagt, er habe In¬
structionen erhalten, die so weit gingen, daß er selbst darüber er¬
schrocken sei; er habe unbegrenzte Vollmachten, wie sie je ein Sou¬
verain seinem Vertreter anvertraut, in Betreff aller und jeder Frage,
die ich anregen würde, sich mit mir um jeden Preis zu verständigen.
Ich wurde durch diese Eröffnung in einige Verlegenheit gesetzt,
denn abgesehn von der Unverträglichkeit der Interessen beider
Staaten habe ich eine fast abergläubische Abneigung dagegen, mich
mit den Geschicken Oestreichs zu verflechten"1).

Ganz aus der Luft gegriffen konnten diese Auslassungen des
Kaisers nicht sein, wenn er auch erwarten durfte, daß ich meine
gesellschaftlichen Beziehungen zu Metternich nicht bis zum Bruch
des mir gewährten Vertrauens ausnutzen werde. Unvorsichtig war
diese Eröffnung an den Preußischen Gesandten jedenfalls, mochte
sie wahr oder übertrieben sein. Ich war schon in Frankfurt zu
der Ueberzeugung gelangt, daß die Wiener Politik unter Umständen
vor keiner Combination zurückschrecke; daß sie Venetien oder das
linke Rheinufer opfern würde, wenn damit auf dem rechten eine
Bundesverfassung mit gesichertem Uebergewicht Oestreichs über
Preußen zu erkaufen sei, daß die deutsche Phrase in der Hofburg

1) Man vergleiche damit den fast wörtlich übereinstimmenden Bericht
vom 28. Juni 1862 an Bernstorff, der dem Fürsten Bismarck bei der Auf¬
zeichnung seiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch
VI 152 ff.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 17

Napoleon ſchlägt ein franzöſiſch-preußiſches Bündniß vor.
et en profiter. Dieſer Gedanke einer „diplomatiſchen Allianz“,
in welcher man die Gewohnheit gegenſeitigen Vertrauens annähme
und für ſchwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde
von dem Kaiſer weiter ausgeſponnen. Dann plötzlich ſtehen blei¬
bend, ſagte er:

„Sie können Sich nicht vorſtellen, quelles singulières ouver¬
tures m'a fait faire l'Autriche, il y a peu de jours. Es ſcheint,
daß das Zuſammentreffen Ihrer Ernennung und der Ankunft des
Herrn von Budberg in Paris einen paniſchen Schrecken in Wien
erzeugt hat. Der Fürſt Metternich hat mir geſagt, er habe In¬
ſtructionen erhalten, die ſo weit gingen, daß er ſelbſt darüber er¬
ſchrocken ſei; er habe unbegrenzte Vollmachten, wie ſie je ein Sou¬
verain ſeinem Vertreter anvertraut, in Betreff aller und jeder Frage,
die ich anregen würde, ſich mit mir um jeden Preis zu verſtändigen.
Ich wurde durch dieſe Eröffnung in einige Verlegenheit geſetzt,
denn abgeſehn von der Unverträglichkeit der Intereſſen beider
Staaten habe ich eine faſt abergläubiſche Abneigung dagegen, mich
mit den Geſchicken Oeſtreichs zu verflechten“1).

Ganz aus der Luft gegriffen konnten dieſe Auslaſſungen des
Kaiſers nicht ſein, wenn er auch erwarten durfte, daß ich meine
geſellſchaftlichen Beziehungen zu Metternich nicht bis zum Bruch
des mir gewährten Vertrauens ausnutzen werde. Unvorſichtig war
dieſe Eröffnung an den Preußiſchen Geſandten jedenfalls, mochte
ſie wahr oder übertrieben ſein. Ich war ſchon in Frankfurt zu
der Ueberzeugung gelangt, daß die Wiener Politik unter Umſtänden
vor keiner Combination zurückſchrecke; daß ſie Venetien oder das
linke Rheinufer opfern würde, wenn damit auf dem rechten eine
Bundesverfaſſung mit geſichertem Uebergewicht Oeſtreichs über
Preußen zu erkaufen ſei, daß die deutſche Phraſe in der Hofburg

1) Man vergleiche damit den faſt wörtlich übereinſtimmenden Bericht
vom 28. Juni 1862 an Bernſtorff, der dem Fürſten Bismarck bei der Auf¬
zeichnung ſeiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch
VI 152 ff.
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[257/0284] Napoleon ſchlägt ein franzöſiſch-preußiſches Bündniß vor. et en profiter. Dieſer Gedanke einer „diplomatiſchen Allianz“, in welcher man die Gewohnheit gegenſeitigen Vertrauens annähme und für ſchwierige Lagen auf einander zu rechnen lernte, wurde von dem Kaiſer weiter ausgeſponnen. Dann plötzlich ſtehen blei¬ bend, ſagte er: „Sie können Sich nicht vorſtellen, quelles singulières ouver¬ tures m'a fait faire l'Autriche, il y a peu de jours. Es ſcheint, daß das Zuſammentreffen Ihrer Ernennung und der Ankunft des Herrn von Budberg in Paris einen paniſchen Schrecken in Wien erzeugt hat. Der Fürſt Metternich hat mir geſagt, er habe In¬ ſtructionen erhalten, die ſo weit gingen, daß er ſelbſt darüber er¬ ſchrocken ſei; er habe unbegrenzte Vollmachten, wie ſie je ein Sou¬ verain ſeinem Vertreter anvertraut, in Betreff aller und jeder Frage, die ich anregen würde, ſich mit mir um jeden Preis zu verſtändigen. Ich wurde durch dieſe Eröffnung in einige Verlegenheit geſetzt, denn abgeſehn von der Unverträglichkeit der Intereſſen beider Staaten habe ich eine faſt abergläubiſche Abneigung dagegen, mich mit den Geſchicken Oeſtreichs zu verflechten“ 1). Ganz aus der Luft gegriffen konnten dieſe Auslaſſungen des Kaiſers nicht ſein, wenn er auch erwarten durfte, daß ich meine geſellſchaftlichen Beziehungen zu Metternich nicht bis zum Bruch des mir gewährten Vertrauens ausnutzen werde. Unvorſichtig war dieſe Eröffnung an den Preußiſchen Geſandten jedenfalls, mochte ſie wahr oder übertrieben ſein. Ich war ſchon in Frankfurt zu der Ueberzeugung gelangt, daß die Wiener Politik unter Umſtänden vor keiner Combination zurückſchrecke; daß ſie Venetien oder das linke Rheinufer opfern würde, wenn damit auf dem rechten eine Bundesverfaſſung mit geſichertem Uebergewicht Oeſtreichs über Preußen zu erkaufen ſei, daß die deutſche Phraſe in der Hofburg 1) Man vergleiche damit den faſt wörtlich übereinſtimmenden Bericht vom 28. Juni 1862 an Bernſtorff, der dem Fürſten Bismarck bei der Auf¬ zeichnung ſeiner Erinnerungen nicht vorgelegen hat. Bismarck-Jahrbuch VI 152 ff. Otto Fürſt von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 17

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/284>, abgerufen am 22.11.2024.