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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Elftes Kapitel: Zwischenzustand.
ihren Cours habe, so lange man sie als Leitseil für uns oder die
Würzburger gebrauchte. Wenn eine französisch-östreichische Coa¬
lition nicht schon jetzt gegen uns bestände, so hätten wir das nicht
Oestreich, sondern Frankreich zu danken, und nicht einer etwaigen
Vorliebe Napoleons für uns, sondern seinem Mißtrauen, ob Oest¬
reich im Stande sein werde, mit dem zur Zeit mächtigen Winde
der Nationalität zu segeln. Aus alledem zog ich in dem Berichte,
den ich dem Könige erstattete, nicht die Consequenz, daß wir
irgend ein Bündniß mit Frankreich jetzt zu suchen hätten, wohl aber
die, daß wir auf treue Bundesgenossenschaft Oestreichs gegen Frank¬
reich nicht zählen dürften und nicht hoffen könnten, die freie Zu¬
stimmung Oestreichs zur Verbesserung unsrer Stellung in Deutsch¬
land zu erlangen.

In Ermanglung jeder Art politischer Aufträge und Geschäfte
ging ich auf kurze Zeit nach England und trat am 25. Juli eine
längere Reise durch das südliche Frankreich an. In diese Zeit fällt
die nachstehende Correspondenz.

"Paris, 15. July 62 1).
Lieber Roon

Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie
telegraphisch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. [v. M.]
erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas
Neues über den Hauptgegenstand nicht geben, sondern nur empfangen
konnte. Seitdem ist mir ein Courier zugegangen, der mir seit
14 Tagen telegraphisch angemeldet war und in dessen Erwartung
ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen
Brief von Bernstorff, in Antwort auf ein Urlaubsgesuch von mir.
Ich bin hier jetzt überflüssig, weil kein Kaiser, kein Minister, kein
Gesandter mehr hier ist. Ich bin nicht sehr gesund, und diese
provisorische Existenz mit Spannung auf ,ob und wie' ohne eigent¬

1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 347 ff., Roon's Denkwürdigkeiten II4

Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
ihren Cours habe, ſo lange man ſie als Leitſeil für uns oder die
Würzburger gebrauchte. Wenn eine franzöſiſch-öſtreichiſche Coa¬
lition nicht ſchon jetzt gegen uns beſtände, ſo hätten wir das nicht
Oeſtreich, ſondern Frankreich zu danken, und nicht einer etwaigen
Vorliebe Napoleons für uns, ſondern ſeinem Mißtrauen, ob Oeſt¬
reich im Stande ſein werde, mit dem zur Zeit mächtigen Winde
der Nationalität zu ſegeln. Aus alledem zog ich in dem Berichte,
den ich dem Könige erſtattete, nicht die Conſequenz, daß wir
irgend ein Bündniß mit Frankreich jetzt zu ſuchen hätten, wohl aber
die, daß wir auf treue Bundesgenoſſenſchaft Oeſtreichs gegen Frank¬
reich nicht zählen dürften und nicht hoffen könnten, die freie Zu¬
ſtimmung Oeſtreichs zur Verbeſſerung unſrer Stellung in Deutſch¬
land zu erlangen.

In Ermanglung jeder Art politiſcher Aufträge und Geſchäfte
ging ich auf kurze Zeit nach England und trat am 25. Juli eine
längere Reiſe durch das ſüdliche Frankreich an. In dieſe Zeit fällt
die nachſtehende Correſpondenz.

„Paris, 15. July 62 1).
Lieber Roon

Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie
telegraphiſch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. [v. M.]
erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas
Neues über den Hauptgegenſtand nicht geben, ſondern nur empfangen
konnte. Seitdem iſt mir ein Courier zugegangen, der mir ſeit
14 Tagen telegraphiſch angemeldet war und in deſſen Erwartung
ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen
Brief von Bernſtorff, in Antwort auf ein Urlaubsgeſuch von mir.
Ich bin hier jetzt überflüſſig, weil kein Kaiſer, kein Miniſter, kein
Geſandter mehr hier iſt. Ich bin nicht ſehr geſund, und dieſe
proviſoriſche Exiſtenz mit Spannung auf ‚ob und wie‘ ohne eigent¬

1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 347 ff., Roon's Denkwürdigkeiten II4
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[258/0285] Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. ihren Cours habe, ſo lange man ſie als Leitſeil für uns oder die Würzburger gebrauchte. Wenn eine franzöſiſch-öſtreichiſche Coa¬ lition nicht ſchon jetzt gegen uns beſtände, ſo hätten wir das nicht Oeſtreich, ſondern Frankreich zu danken, und nicht einer etwaigen Vorliebe Napoleons für uns, ſondern ſeinem Mißtrauen, ob Oeſt¬ reich im Stande ſein werde, mit dem zur Zeit mächtigen Winde der Nationalität zu ſegeln. Aus alledem zog ich in dem Berichte, den ich dem Könige erſtattete, nicht die Conſequenz, daß wir irgend ein Bündniß mit Frankreich jetzt zu ſuchen hätten, wohl aber die, daß wir auf treue Bundesgenoſſenſchaft Oeſtreichs gegen Frank¬ reich nicht zählen dürften und nicht hoffen könnten, die freie Zu¬ ſtimmung Oeſtreichs zur Verbeſſerung unſrer Stellung in Deutſch¬ land zu erlangen. In Ermanglung jeder Art politiſcher Aufträge und Geſchäfte ging ich auf kurze Zeit nach England und trat am 25. Juli eine längere Reiſe durch das ſüdliche Frankreich an. In dieſe Zeit fällt die nachſtehende Correſpondenz. „Paris, 15. July 62 1). Lieber Roon Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie telegraphiſch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. [v. M.] erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas Neues über den Hauptgegenſtand nicht geben, ſondern nur empfangen konnte. Seitdem iſt mir ein Courier zugegangen, der mir ſeit 14 Tagen telegraphiſch angemeldet war und in deſſen Erwartung ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen Brief von Bernſtorff, in Antwort auf ein Urlaubsgeſuch von mir. Ich bin hier jetzt überflüſſig, weil kein Kaiſer, kein Miniſter, kein Geſandter mehr hier iſt. Ich bin nicht ſehr geſund, und dieſe proviſoriſche Exiſtenz mit Spannung auf ‚ob und wie‘ ohne eigent¬ 1) Bismarckbriefe (7. Aufl.) S. 347 ff., Roon's Denkwürdigkeiten II4

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/285>, abgerufen am 22.11.2024.