Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Berufung nach Berlin. In Babelsberg. Herbst noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde.Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht so vertraut, daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck, den die Thatsache meiner Audienz gemacht hatte, ersah ich zunächst aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich zu ihm gesagt habe: "Mit dem ist es auch nichts, er ist ja schon bei meinem Sohne gewesen." Die Tragweite dieser Aeußerung wurde mir nicht sofort verständlich, weil ich nicht wußte, daß der König sich mit dem Gedanken der Abdication trug und voraussetzte, daß ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb mit seinem Nachfolger zu stellen gesucht habe. In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs Ich erwiderte, es sei Sr. Majestät schon seit dem Mai be¬ Berufung nach Berlin. In Babelsberg. Herbſt noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde.Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht ſo vertraut, daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck, den die Thatſache meiner Audienz gemacht hatte, erſah ich zunächſt aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich zu ihm geſagt habe: „Mit dem iſt es auch nichts, er iſt ja ſchon bei meinem Sohne geweſen.“ Die Tragweite dieſer Aeußerung wurde mir nicht ſofort verſtändlich, weil ich nicht wußte, daß der König ſich mit dem Gedanken der Abdication trug und vorausſetzte, daß ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb mit ſeinem Nachfolger zu ſtellen geſucht habe. In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs Ich erwiderte, es ſei Sr. Majeſtät ſchon ſeit dem Mai be¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0294" n="267"/><fw place="top" type="header">Berufung nach Berlin. In Babelsberg.<lb/></fw> Herbſt noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde.<lb/> Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht ſo vertraut,<lb/> daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben<lb/> können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich<lb/> gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck,<lb/> den die Thatſache meiner Audienz gemacht hatte, erſah ich zunächſt<lb/> aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich<lb/> zu ihm geſagt habe: „Mit dem iſt es auch nichts, er iſt ja ſchon<lb/> bei meinem Sohne geweſen.“ Die Tragweite dieſer Aeußerung wurde<lb/> mir nicht ſofort verſtändlich, weil ich nicht wußte, daß der König<lb/> ſich mit dem Gedanken der Abdication trug und vorausſetzte, daß<lb/> ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb<lb/> mit ſeinem Nachfolger zu ſtellen geſucht habe.</p><lb/> <p>In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs<lb/> fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde,<lb/> und die Situation wurde mir erſt klar, als Se. Majeſtät ſie un¬<lb/> gefähr mit den Worten präciſirte: „Ich will nicht regiren, wenn<lb/> ich es nicht ſo vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewiſſen<lb/> und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber<lb/> nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Land¬<lb/> tags regiren ſoll, und ich finde keine Miniſter mehr, die bereit<lb/> wären, meine Regirung zu führen, ohne ſich und mich der parla¬<lb/> mentariſchen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb<lb/> entſchloſſen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdications¬<lb/> urkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen.“<lb/> Der König zeigte mir das auf dem Tiſche liegende Actenſtück in<lb/> ſeiner Handſchrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht.<lb/> Se. Majeſtät ſchloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Miniſter<lb/> könne er nicht regiren.</p><lb/> <p>Ich erwiderte, es ſei Sr. Majeſtät ſchon ſeit dem Mai be¬<lb/> kannt, daß ich bereit ſei, in das Miniſterium einzutreten, ich ſei<lb/> gewiß, daß Roon mit mir bei ihm bleiben werde, und ich zweifelte<lb/> nicht, daß die weitre Vervollſtändigung des Cabinets gelingen werde,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0294]
Berufung nach Berlin. In Babelsberg.
Herbſt noch immer nicht wußte, wo ich im Winter wohnen würde.
Ich war mit der Situation in ihren Einzelheiten nicht ſo vertraut,
daß ich dem Kronprinzen ein programmartiges Urtheil hätte abgeben
können; außerdem hielt ich mich auch nicht für berechtigt, mich
gegen ihn früher zu äußern als gegen den König. Den Eindruck,
den die Thatſache meiner Audienz gemacht hatte, erſah ich zunächſt
aus der Mittheilung Roons, daß der König mit Bezug auf mich
zu ihm geſagt habe: „Mit dem iſt es auch nichts, er iſt ja ſchon
bei meinem Sohne geweſen.“ Die Tragweite dieſer Aeußerung wurde
mir nicht ſofort verſtändlich, weil ich nicht wußte, daß der König
ſich mit dem Gedanken der Abdication trug und vorausſetzte, daß
ich davon gewußt oder etwas vermuthet hätte und mich deshalb
mit ſeinem Nachfolger zu ſtellen geſucht habe.
In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs
fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde,
und die Situation wurde mir erſt klar, als Se. Majeſtät ſie un¬
gefähr mit den Worten präciſirte: „Ich will nicht regiren, wenn
ich es nicht ſo vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewiſſen
und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber
nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Land¬
tags regiren ſoll, und ich finde keine Miniſter mehr, die bereit
wären, meine Regirung zu führen, ohne ſich und mich der parla¬
mentariſchen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb
entſchloſſen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdications¬
urkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen.“
Der König zeigte mir das auf dem Tiſche liegende Actenſtück in
ſeiner Handſchrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht.
Se. Majeſtät ſchloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Miniſter
könne er nicht regiren.
Ich erwiderte, es ſei Sr. Majeſtät ſchon ſeit dem Mai be¬
kannt, daß ich bereit ſei, in das Miniſterium einzutreten, ich ſei
gewiß, daß Roon mit mir bei ihm bleiben werde, und ich zweifelte
nicht, daß die weitre Vervollſtändigung des Cabinets gelingen werde,
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