Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Elftes Kapitel: Zwischenzustand. falls andre Mitglieder sich durch meinen Eintritt zum Rücktritt be¬wogen finden sollten. Der König stellte nach einigem Erwägen und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit sei, als Minister für die Militär-Reorganisation einzutreten, und nach meiner Be¬ jahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Land¬ tages und deren Beschlüsse. Auf meine Zusage erklärte er schließlich: "Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdicire nicht." Ob er das auf dem Tische liegende Schriftstück vernichtet oder in rei memoriam aufbewahrt hat, weiß ich nicht. Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es sich für ihn nicht Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand. falls andre Mitglieder ſich durch meinen Eintritt zum Rücktritt be¬wogen finden ſollten. Der König ſtellte nach einigem Erwägen und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit ſei, als Miniſter für die Militär-Reorganiſation einzutreten, und nach meiner Be¬ jahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Land¬ tages und deren Beſchlüſſe. Auf meine Zuſage erklärte er ſchließlich: „Dann iſt es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu verſuchen, und ich abdicire nicht.“ Ob er das auf dem Tiſche liegende Schriftſtück vernichtet oder in rei memoriam aufbewahrt hat, weiß ich nicht. Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es ſich für ihn nicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0295" n="268"/><fw place="top" type="header">Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.<lb/></fw> falls andre Mitglieder ſich durch meinen Eintritt zum Rücktritt be¬<lb/> wogen finden ſollten. Der König ſtellte nach einigem Erwägen<lb/> und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit ſei, als Miniſter<lb/> für die Militär-Reorganiſation einzutreten, und nach meiner Be¬<lb/> jahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Land¬<lb/> tages und deren Beſchlüſſe. Auf meine Zuſage erklärte er ſchließlich:<lb/> „Dann iſt es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes<lb/> zu verſuchen, und ich abdicire nicht.“ Ob er das auf dem Tiſche<lb/> liegende Schriftſtück vernichtet oder <hi rendition="#aq">in rei memoriam</hi> aufbewahrt<lb/> hat, weiß ich nicht.</p><lb/> <p>Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten.<lb/> Auf dieſem Spaziergange gab er mir ein Programm zu leſen,<lb/> das in ſeiner engen Schrift acht Folioſeiten füllte, alle Eventuali¬<lb/> täten der damaligen Regirungspolitik umfaßte und auf Details<lb/> wie die Reform der Kreistage einging. Ich laſſe es dahin ge¬<lb/> ſtellt ſein, ob dieſes Elaborat ſchon Erörterungen mit meinen Vor¬<lb/> gängern zur Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherſtellung<lb/> gegen eine mir zugetraute conſervative Durchgängerei dienen ſollte.<lb/> Ohne Zweifel war, als er damit umging mich zu berufen, eine<lb/> Befürchtung der Art in ihm von ſeiner Gemalin geweckt worden,<lb/> von deren politiſcher Begabung er urſprünglich eine hohe Meinung<lb/> hatte, die aus der Zeit datirte, wo Sr. Majeſtät nur eine kron¬<lb/> prinzliche Kritik der Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner<lb/> beſſerer Leiſtung, zugeſtanden hatte. In der <hi rendition="#g">Kritik</hi> war die Prin¬<lb/> zeſſin ihrem Gemal überlegen. Die erſten Zweifel an dieſer gei¬<lb/> ſtigen Ueberlegenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war,<lb/> nicht mehr nur zu kritiſiren, ſondern ſelbſt zu handeln und die<lb/> amtliche Verantwortung für das Beſſermachen zu tragen. Sobald<lb/> die Aufgaben beider Herrſchaften <hi rendition="#g">praktiſch</hi> wurden, hatte der ge¬<lb/> ſunde Verſtand des Königs begonnen, ſich <hi rendition="#g">allmälig</hi> von der<lb/> ſchlagfertigen weiblichen Beredſamkeit mehr zu emancipiren.</p><lb/> <p>Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es ſich für ihn nicht<lb/> um Conſervativ oder Liberal in dieſer oder jener Schattirung,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [268/0295]
Elftes Kapitel: Zwiſchenzuſtand.
falls andre Mitglieder ſich durch meinen Eintritt zum Rücktritt be¬
wogen finden ſollten. Der König ſtellte nach einigem Erwägen
und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit ſei, als Miniſter
für die Militär-Reorganiſation einzutreten, und nach meiner Be¬
jahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Land¬
tages und deren Beſchlüſſe. Auf meine Zuſage erklärte er ſchließlich:
„Dann iſt es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes
zu verſuchen, und ich abdicire nicht.“ Ob er das auf dem Tiſche
liegende Schriftſtück vernichtet oder in rei memoriam aufbewahrt
hat, weiß ich nicht.
Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten.
Auf dieſem Spaziergange gab er mir ein Programm zu leſen,
das in ſeiner engen Schrift acht Folioſeiten füllte, alle Eventuali¬
täten der damaligen Regirungspolitik umfaßte und auf Details
wie die Reform der Kreistage einging. Ich laſſe es dahin ge¬
ſtellt ſein, ob dieſes Elaborat ſchon Erörterungen mit meinen Vor¬
gängern zur Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherſtellung
gegen eine mir zugetraute conſervative Durchgängerei dienen ſollte.
Ohne Zweifel war, als er damit umging mich zu berufen, eine
Befürchtung der Art in ihm von ſeiner Gemalin geweckt worden,
von deren politiſcher Begabung er urſprünglich eine hohe Meinung
hatte, die aus der Zeit datirte, wo Sr. Majeſtät nur eine kron¬
prinzliche Kritik der Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner
beſſerer Leiſtung, zugeſtanden hatte. In der Kritik war die Prin¬
zeſſin ihrem Gemal überlegen. Die erſten Zweifel an dieſer gei¬
ſtigen Ueberlegenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war,
nicht mehr nur zu kritiſiren, ſondern ſelbſt zu handeln und die
amtliche Verantwortung für das Beſſermachen zu tragen. Sobald
die Aufgaben beider Herrſchaften praktiſch wurden, hatte der ge¬
ſunde Verſtand des Königs begonnen, ſich allmälig von der
ſchlagfertigen weiblichen Beredſamkeit mehr zu emancipiren.
Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es ſich für ihn nicht
um Conſervativ oder Liberal in dieſer oder jener Schattirung,
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