Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Preußen als russischer Vasallenstaat. Ursache der Abhängigkeit. 1813 voll bezahlt machte, indem er uns die Olmützer Demüthigungaufzwang. Später kamen wir Rußland gegenüber im Krimkriege, im polnischen Aufstande von 1863 bedeutend in Vorschuß, und wenn wir in dem genannten Jahre Alexanders II. eigenhändiger Auf¬ forderung zum Kriege nicht Folge leisteten, und er darüber und in der dänischen Frage Empfindlichkeit bewies, so zeigt dies nur, wie weit der russische Anspruch schon über Gleichberechtigung hinaus gediehen war und Unterordnung verlangte. Das Deficit auf unsrer Seite war einmal durch Verwand¬ Aehnliche Verhältnisse fanden damals in der französischen Preußen als ruſſiſcher Vaſallenſtaat. Urſache der Abhängigkeit. 1813 voll bezahlt machte, indem er uns die Olmützer Demüthigungaufzwang. Später kamen wir Rußland gegenüber im Krimkriege, im polniſchen Aufſtande von 1863 bedeutend in Vorſchuß, und wenn wir in dem genannten Jahre Alexanders II. eigenhändiger Auf¬ forderung zum Kriege nicht Folge leiſteten, und er darüber und in der däniſchen Frage Empfindlichkeit bewies, ſo zeigt dies nur, wie weit der ruſſiſche Anſpruch ſchon über Gleichberechtigung hinaus gediehen war und Unterordnung verlangte. Das Deficit auf unſrer Seite war einmal durch Verwand¬ Aehnliche Verhältniſſe fanden damals in der franzöſiſchen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0302" n="275"/><fw place="top" type="header">Preußen als ruſſiſcher Vaſallenſtaat. Urſache der Abhängigkeit.<lb/></fw> 1813 voll bezahlt machte, indem er uns die Olmützer Demüthigung<lb/> aufzwang. Später kamen wir Rußland gegenüber im Krimkriege,<lb/> im polniſchen Aufſtande von 1863 bedeutend in Vorſchuß, und<lb/> wenn wir in dem genannten Jahre Alexanders <hi rendition="#aq">II</hi>. eigenhändiger Auf¬<lb/> forderung zum Kriege nicht Folge leiſteten, und er darüber und in<lb/> der däniſchen Frage Empfindlichkeit bewies, ſo zeigt dies nur, wie<lb/> weit der ruſſiſche Anſpruch ſchon über Gleichberechtigung hinaus<lb/> gediehen war und Unterordnung verlangte.</p><lb/> <p>Das Deficit auf unſrer Seite war einmal durch Verwand¬<lb/> ſchafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher<lb/> die geringere Energie von der größern ſtand, ſodann durch den<lb/> Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieſelben Geſinnungen wie<lb/> Alexander <hi rendition="#aq">I</hi>. für uns hege, und dieſelben Anſprüche auf Dankbarkeit<lb/> aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat<lb/> während der Regirung des Kaiſers Nicolaus kein im deutſchen<lb/> Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unſre Freundſchaft mit Rußland<lb/> auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindeſtens einen<lb/> analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unſrer Dienſt¬<lb/> leiſtung. Etwas mehr Selbſtgefühl und Kraftbewußtſein würde<lb/> unſern Anſpruch auf Gegenſeitigkeit in Petersburg zur Anerkennung<lb/> gebracht haben, um ſo mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution<lb/> Preußen, trotz der Schwerfälligkeit ſeines Landwehr-Syſtems, dieſem<lb/> überraſchenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne<lb/> Zweifel der ſtärkſte, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte<lb/> Militärſtaat in Europa war. Wie ſehr nicht nur in Oeſtreich,<lb/> ſondern auch in Rußland die militäriſchen Einrichtungen in 15 Frie¬<lb/> densjahren vernachläſſigt worden waren, vielleicht mit alleiniger<lb/> Ausnahme der Garde des Kaiſers und der polniſchen Armee des<lb/> Großfürſten Conſtantin, bewies die Schwäche und Langſamkeit der<lb/> Rüſtung des gewaltigen ruſſiſchen Reichs gegen den Aufſtand des<lb/> kleinen Warſchauer Königreichs.</p><lb/> <p>Aehnliche Verhältniſſe fanden damals in der franzöſiſchen<lb/> und mehr noch in der öſtreichiſchen Armee ſtatt. Oeſtreich brauchte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [275/0302]
Preußen als ruſſiſcher Vaſallenſtaat. Urſache der Abhängigkeit.
1813 voll bezahlt machte, indem er uns die Olmützer Demüthigung
aufzwang. Später kamen wir Rußland gegenüber im Krimkriege,
im polniſchen Aufſtande von 1863 bedeutend in Vorſchuß, und
wenn wir in dem genannten Jahre Alexanders II. eigenhändiger Auf¬
forderung zum Kriege nicht Folge leiſteten, und er darüber und in
der däniſchen Frage Empfindlichkeit bewies, ſo zeigt dies nur, wie
weit der ruſſiſche Anſpruch ſchon über Gleichberechtigung hinaus
gediehen war und Unterordnung verlangte.
Das Deficit auf unſrer Seite war einmal durch Verwand¬
ſchafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher
die geringere Energie von der größern ſtand, ſodann durch den
Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieſelben Geſinnungen wie
Alexander I. für uns hege, und dieſelben Anſprüche auf Dankbarkeit
aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat
während der Regirung des Kaiſers Nicolaus kein im deutſchen
Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unſre Freundſchaft mit Rußland
auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindeſtens einen
analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unſrer Dienſt¬
leiſtung. Etwas mehr Selbſtgefühl und Kraftbewußtſein würde
unſern Anſpruch auf Gegenſeitigkeit in Petersburg zur Anerkennung
gebracht haben, um ſo mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution
Preußen, trotz der Schwerfälligkeit ſeines Landwehr-Syſtems, dieſem
überraſchenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne
Zweifel der ſtärkſte, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte
Militärſtaat in Europa war. Wie ſehr nicht nur in Oeſtreich,
ſondern auch in Rußland die militäriſchen Einrichtungen in 15 Frie¬
densjahren vernachläſſigt worden waren, vielleicht mit alleiniger
Ausnahme der Garde des Kaiſers und der polniſchen Armee des
Großfürſten Conſtantin, bewies die Schwäche und Langſamkeit der
Rüſtung des gewaltigen ruſſiſchen Reichs gegen den Aufſtand des
kleinen Warſchauer Königreichs.
Aehnliche Verhältniſſe fanden damals in der franzöſiſchen
und mehr noch in der öſtreichiſchen Armee ſtatt. Oeſtreich brauchte
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