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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußische Politik.
rechtigkeit zu vertheilen sei. Rein menschlich gesprochen, wird sie
in der Hauptsache auf dem Könige selbst beruhn bleiben, denn er
hat überlegne, ihn und die Geschäfte leitende Rathgeber zu keiner
Zeit gehabt. Er behielt sich die Auswahl unter den Rathschlägen
nicht nur jedes einzelnen Ministers, sondern auch unter den viel
zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geistreichen
Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern,
ehrlichen Phantasten und Höflingen vorgetragen wurden. Und
diese Auswahl behielt er sich oft lange vor. Es ist oft weniger
schädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den
Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieser persönlich so
liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen scharf und beinahe zwingend,
in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, sein Minister zu werden,
zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich
betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und
seine reiche Phantasie war flügellahm, sobald sie sich auf dem
Gebiete praktischer Entschlüsse geltend machen sollte. Mir fehlte die
schmiegsame Gefügigkeit zur Uebernahme und ministeriellen Ver¬
tretung von politischen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder
für deren Durchführung ich dem Könige den Entschluß und die
Consequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente
des Zwiespalts zwischen seinen einzelnen Ministern; die Frictionen
zwischen Manteuffel, Bodelschwingh und Heydt, die in triangularem
Kampfe mit einander standen, waren dem Könige angenehm und
ein politisches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwischen könig¬
lichem und ministeriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem
Bewußtsein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr,
Bunsen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb seine Politik mehr
defensiv als im Hinblick auf bestimmte Ziele, fortwurstelnd, wie
Graf Taaffe sagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchste Unter¬
schrift gedeckt war; doch hat der reine Absolutismus ohne Parla¬
ment immer noch das Gute, daß ihm ein Gefühl der Verantwort¬
lichkeit für eigne Thaten bleibt. Gefährlicher ist der durch gefügige

Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußiſche Politik.
rechtigkeit zu vertheilen ſei. Rein menſchlich geſprochen, wird ſie
in der Hauptſache auf dem Könige ſelbſt beruhn bleiben, denn er
hat überlegne, ihn und die Geſchäfte leitende Rathgeber zu keiner
Zeit gehabt. Er behielt ſich die Auswahl unter den Rathſchlägen
nicht nur jedes einzelnen Miniſters, ſondern auch unter den viel
zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geiſtreichen
Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern,
ehrlichen Phantaſten und Höflingen vorgetragen wurden. Und
dieſe Auswahl behielt er ſich oft lange vor. Es iſt oft weniger
ſchädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den
Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieſer perſönlich ſo
liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen ſcharf und beinahe zwingend,
in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, ſein Miniſter zu werden,
zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich
betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und
ſeine reiche Phantaſie war flügellahm, ſobald ſie ſich auf dem
Gebiete praktiſcher Entſchlüſſe geltend machen ſollte. Mir fehlte die
ſchmiegſame Gefügigkeit zur Uebernahme und miniſteriellen Ver¬
tretung von politiſchen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder
für deren Durchführung ich dem Könige den Entſchluß und die
Conſequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente
des Zwieſpalts zwiſchen ſeinen einzelnen Miniſtern; die Frictionen
zwiſchen Manteuffel, Bodelſchwingh und Heydt, die in triangularem
Kampfe mit einander ſtanden, waren dem Könige angenehm und
ein politiſches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwiſchen könig¬
lichem und miniſteriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem
Bewußtſein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr,
Bunſen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb ſeine Politik mehr
defenſiv als im Hinblick auf beſtimmte Ziele, fortwurſtelnd, wie
Graf Taaffe ſagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchſte Unter¬
ſchrift gedeckt war; doch hat der reine Abſolutismus ohne Parla¬
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[280/0307] Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußiſche Politik. rechtigkeit zu vertheilen ſei. Rein menſchlich geſprochen, wird ſie in der Hauptſache auf dem Könige ſelbſt beruhn bleiben, denn er hat überlegne, ihn und die Geſchäfte leitende Rathgeber zu keiner Zeit gehabt. Er behielt ſich die Auswahl unter den Rathſchlägen nicht nur jedes einzelnen Miniſters, ſondern auch unter den viel zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geiſtreichen Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern, ehrlichen Phantaſten und Höflingen vorgetragen wurden. Und dieſe Auswahl behielt er ſich oft lange vor. Es iſt oft weniger ſchädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieſer perſönlich ſo liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen ſcharf und beinahe zwingend, in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, ſein Miniſter zu werden, zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und ſeine reiche Phantaſie war flügellahm, ſobald ſie ſich auf dem Gebiete praktiſcher Entſchlüſſe geltend machen ſollte. Mir fehlte die ſchmiegſame Gefügigkeit zur Uebernahme und miniſteriellen Ver¬ tretung von politiſchen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder für deren Durchführung ich dem Könige den Entſchluß und die Conſequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente des Zwieſpalts zwiſchen ſeinen einzelnen Miniſtern; die Frictionen zwiſchen Manteuffel, Bodelſchwingh und Heydt, die in triangularem Kampfe mit einander ſtanden, waren dem Könige angenehm und ein politiſches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwiſchen könig¬ lichem und miniſteriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem Bewußtſein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr, Bunſen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb ſeine Politik mehr defenſiv als im Hinblick auf beſtimmte Ziele, fortwurſtelnd, wie Graf Taaffe ſagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchſte Unter¬ ſchrift gedeckt war; doch hat der reine Abſolutismus ohne Parla¬ ment immer noch das Gute, daß ihm ein Gefühl der Verantwort¬ lichkeit für eigne Thaten bleibt. Gefährlicher iſt der durch gefügige

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/307>, abgerufen am 21.11.2024.