Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Friedrichs II. Epigonen. Die Frage der Verantwortlichkeit. unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Mi¬nister abgehn, wenn er die königliche Unterschrift für das, was er für nothwendig hält, nicht erlangen kann; aber er übernimmt durch sein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Consequenzen desselben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender sind als auf dem grade streitigen. Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staats¬ Es ist schwer zu sagen, wie die Verantwortlichkeit für unsre Friedrichs II. Epigonen. Die Frage der Verantwortlichkeit. unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Mi¬niſter abgehn, wenn er die königliche Unterſchrift für das, was er für nothwendig hält, nicht erlangen kann; aber er übernimmt durch ſein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Conſequenzen deſſelben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender ſind als auf dem grade ſtreitigen. Er iſt außerdem durch die collegiale Form des Staats¬ Es iſt ſchwer zu ſagen, wie die Verantwortlichkeit für unſre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0306" n="279"/><fw place="top" type="header">Friedrichs <hi rendition="#aq">II</hi>. Epigonen. Die Frage der Verantwortlichkeit.<lb/></fw> unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Mi¬<lb/> niſter abgehn, wenn er die königliche Unterſchrift für das, was<lb/> er für nothwendig hält, nicht erlangen kann; aber er übernimmt<lb/> durch ſein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Conſequenzen<lb/> deſſelben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender ſind<lb/> als auf dem grade ſtreitigen.</p><lb/> <p>Er iſt außerdem durch die collegiale Form des Staats¬<lb/> miniſteriums mit ihren Majoritätsabſtimmungen zu Compromiſſen<lb/> und zu Nachgiebigkeit ſeinen Collegen gegenüber nach der preußi¬<lb/> ſchen Miniſterverfaſſung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verant¬<lb/> wortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner<lb/> leitender Miniſter, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritäts¬<lb/> abſtimmung, leiſten. Die Entſcheidung über Wege und Abwege<lb/> liegt oft in minimalen, aber einſchneidenden Wendungen, zuweilen<lb/> ſchon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines inter¬<lb/> nationalen Actenſtückes. Schon bei geringer Abweichung von der<lb/> richtigen Linie wächſt die Entfernung von derſelben oft ſo rapid,<lb/> daß der verlaſſene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und<lb/> die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlaſſen wurde, un¬<lb/> ausführbar iſt. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umſtände,<lb/> unter denen eine Entgleiſung ſtattgefunden hat, Menſchenalter<lb/> hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der prag¬<lb/> matiſche Zuſammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden<lb/> Miniſtern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war,<lb/> Gleichgültigkeit gegen die ſachliche Seite der Geſchäfte, ſobald die<lb/> formale durch königliche Unterſchrift oder parlamentariſche Vota<lb/> gedeckt erſcheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwiſchen dem<lb/> eignen Ehrgefühl und der Verſtrickung der Competenzverhältniſſe<lb/> zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg,<lb/> oder zu Symptomen von Geiſtesſtörung, wie in einigen frühern<lb/> Fällen.</p><lb/> <p>Es iſt ſchwer zu ſagen, wie die Verantwortlichkeit für unſre<lb/> Politik während der Regirung Friedrich Wilhelms <hi rendition="#aq">IV</hi>. mit Ge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [279/0306]
Friedrichs II. Epigonen. Die Frage der Verantwortlichkeit.
unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Mi¬
niſter abgehn, wenn er die königliche Unterſchrift für das, was
er für nothwendig hält, nicht erlangen kann; aber er übernimmt
durch ſein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Conſequenzen
deſſelben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender ſind
als auf dem grade ſtreitigen.
Er iſt außerdem durch die collegiale Form des Staats¬
miniſteriums mit ihren Majoritätsabſtimmungen zu Compromiſſen
und zu Nachgiebigkeit ſeinen Collegen gegenüber nach der preußi¬
ſchen Miniſterverfaſſung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verant¬
wortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner
leitender Miniſter, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritäts¬
abſtimmung, leiſten. Die Entſcheidung über Wege und Abwege
liegt oft in minimalen, aber einſchneidenden Wendungen, zuweilen
ſchon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines inter¬
nationalen Actenſtückes. Schon bei geringer Abweichung von der
richtigen Linie wächſt die Entfernung von derſelben oft ſo rapid,
daß der verlaſſene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und
die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlaſſen wurde, un¬
ausführbar iſt. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umſtände,
unter denen eine Entgleiſung ſtattgefunden hat, Menſchenalter
hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der prag¬
matiſche Zuſammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden
Miniſtern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war,
Gleichgültigkeit gegen die ſachliche Seite der Geſchäfte, ſobald die
formale durch königliche Unterſchrift oder parlamentariſche Vota
gedeckt erſcheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwiſchen dem
eignen Ehrgefühl und der Verſtrickung der Competenzverhältniſſe
zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg,
oder zu Symptomen von Geiſtesſtörung, wie in einigen frühern
Fällen.
Es iſt ſchwer zu ſagen, wie die Verantwortlichkeit für unſre
Politik während der Regirung Friedrich Wilhelms IV. mit Ge¬
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |