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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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ständniß für politische Fragen wie Eulenburg, war er consequenter,
sichrer und besonnener als dieser. Sein Privatleben war einwands¬
frei. Ich war mit ihm von meinen Kinderjahren her, als er, mit
topographischen Aufnahmen beschäftigt, sich im Hause meiner Eltern
aufhielt (1833), persönlich befreundet und habe nur unter seinem
Jähzorn zuweilen gelitten, der sich leicht bis zur Gefährdung seiner
Gesundheit steigerte. In der Zeit, während deren ich krankheits¬
halber das Präsidium an ihn abgegeben hatte, 1873, machten sich
Streber, wie Harry Arnim und jüngere Militärs, dieselben, die mit
ihren Verbündeten in der "Kreuzzeitung" und durch die "Reichs¬
glocke" gegen mich arbeiteten, an ihn heran und suchten ihn mir
zu entfremden. Seine Präsidialstellung nahm ohne meine Mit¬
wirkung ein Ende auf die Initiative meiner übrigen Collegen,
die bei ihm, dessen Heftigkeit sich mit den Jahren steigerte und
der seinerseits von unsern Mitarbeitern in Civil nicht imponirt
war, die Formen vermißten, auf welche sie im collegialen Verkehr
Anspruch machten, und bei mir, und durch Eulenburg vertraulich
bei dem Könige, anregten, daß ich das Präsidium wieder über¬
nehmen möchte. Daraus entstand zu meinem Bedauern und ohne
meine Absicht, hauptsächlich durch Zwischenträgereien, in Roons
letzten Jahren nicht grade eine Erkältung, doch eine Zurückhaltung,
und bei mir die Empfindung, daß mein bester Freund und Kamerad
den Lügen und Verleumdungen, welche über mich systematisch ver¬
breitet wurden, nicht mit der Entschiedenheit entgegentrat, welche
ich, wie ich glaube, im umgekehrten Falle bethätigt haben würde.
Der Cultusminister von Mühler hatte viel Aehnlichkeit mit
seinem spätern Nachfolger, Herrn von Goßler, in der Art, wie er
sich geschäftlich gab, nur daß die Energie und die geschäftliche Lieb¬
haberei seiner gescheidten und, wenn sie wollte, liebenswürdigen
Frau auf ihn wirkte und er ihrer stärkern Willenskraft vielleicht
unterlag; ich wußte das anfangs allerdings nicht aus direkter Wahr¬
nehmung, sondern konnte es nur nach dem Eindrucke schließen, den
beide Persönlichkeiten mir im Verkehr gemacht hatten. Ich er¬

v. Roon, v. Mühler.
ſtändniß für politiſche Fragen wie Eulenburg, war er conſequenter,
ſichrer und beſonnener als dieſer. Sein Privatleben war einwands¬
frei. Ich war mit ihm von meinen Kinderjahren her, als er, mit
topographiſchen Aufnahmen beſchäftigt, ſich im Hauſe meiner Eltern
aufhielt (1833), perſönlich befreundet und habe nur unter ſeinem
Jähzorn zuweilen gelitten, der ſich leicht bis zur Gefährdung ſeiner
Geſundheit ſteigerte. In der Zeit, während deren ich krankheits¬
halber das Präſidium an ihn abgegeben hatte, 1873, machten ſich
Streber, wie Harry Arnim und jüngere Militärs, dieſelben, die mit
ihren Verbündeten in der „Kreuzzeitung“ und durch die „Reichs¬
glocke“ gegen mich arbeiteten, an ihn heran und ſuchten ihn mir
zu entfremden. Seine Präſidialſtellung nahm ohne meine Mit¬
wirkung ein Ende auf die Initiative meiner übrigen Collegen,
die bei ihm, deſſen Heftigkeit ſich mit den Jahren ſteigerte und
der ſeinerſeits von unſern Mitarbeitern in Civil nicht imponirt
war, die Formen vermißten, auf welche ſie im collegialen Verkehr
Anſpruch machten, und bei mir, und durch Eulenburg vertraulich
bei dem Könige, anregten, daß ich das Präſidium wieder über¬
nehmen möchte. Daraus entſtand zu meinem Bedauern und ohne
meine Abſicht, hauptſächlich durch Zwiſchenträgereien, in Roons
letzten Jahren nicht grade eine Erkältung, doch eine Zurückhaltung,
und bei mir die Empfindung, daß mein beſter Freund und Kamerad
den Lügen und Verleumdungen, welche über mich ſyſtematiſch ver¬
breitet wurden, nicht mit der Entſchiedenheit entgegentrat, welche
ich, wie ich glaube, im umgekehrten Falle bethätigt haben würde.
Der Cultusminiſter von Mühler hatte viel Aehnlichkeit mit
ſeinem ſpätern Nachfolger, Herrn von Goßler, in der Art, wie er
ſich geſchäftlich gab, nur daß die Energie und die geſchäftliche Lieb¬
haberei ſeiner geſcheidten und, wenn ſie wollte, liebenswürdigen
Frau auf ihn wirkte und er ihrer ſtärkern Willenskraft vielleicht
unterlag; ich wußte das anfangs allerdings nicht aus direkter Wahr¬
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[301/0328] v. Roon, v. Mühler. ſtändniß für politiſche Fragen wie Eulenburg, war er conſequenter, ſichrer und beſonnener als dieſer. Sein Privatleben war einwands¬ frei. Ich war mit ihm von meinen Kinderjahren her, als er, mit topographiſchen Aufnahmen beſchäftigt, ſich im Hauſe meiner Eltern aufhielt (1833), perſönlich befreundet und habe nur unter ſeinem Jähzorn zuweilen gelitten, der ſich leicht bis zur Gefährdung ſeiner Geſundheit ſteigerte. In der Zeit, während deren ich krankheits¬ halber das Präſidium an ihn abgegeben hatte, 1873, machten ſich Streber, wie Harry Arnim und jüngere Militärs, dieſelben, die mit ihren Verbündeten in der „Kreuzzeitung“ und durch die „Reichs¬ glocke“ gegen mich arbeiteten, an ihn heran und ſuchten ihn mir zu entfremden. Seine Präſidialſtellung nahm ohne meine Mit¬ wirkung ein Ende auf die Initiative meiner übrigen Collegen, die bei ihm, deſſen Heftigkeit ſich mit den Jahren ſteigerte und der ſeinerſeits von unſern Mitarbeitern in Civil nicht imponirt war, die Formen vermißten, auf welche ſie im collegialen Verkehr Anſpruch machten, und bei mir, und durch Eulenburg vertraulich bei dem Könige, anregten, daß ich das Präſidium wieder über¬ nehmen möchte. Daraus entſtand zu meinem Bedauern und ohne meine Abſicht, hauptſächlich durch Zwiſchenträgereien, in Roons letzten Jahren nicht grade eine Erkältung, doch eine Zurückhaltung, und bei mir die Empfindung, daß mein beſter Freund und Kamerad den Lügen und Verleumdungen, welche über mich ſyſtematiſch ver¬ breitet wurden, nicht mit der Entſchiedenheit entgegentrat, welche ich, wie ich glaube, im umgekehrten Falle bethätigt haben würde. Der Cultusminiſter von Mühler hatte viel Aehnlichkeit mit ſeinem ſpätern Nachfolger, Herrn von Goßler, in der Art, wie er ſich geſchäftlich gab, nur daß die Energie und die geſchäftliche Lieb¬ haberei ſeiner geſcheidten und, wenn ſie wollte, liebenswürdigen Frau auf ihn wirkte und er ihrer ſtärkern Willenskraft vielleicht unterlag; ich wußte das anfangs allerdings nicht aus direkter Wahr¬ nehmung, ſondern konnte es nur nach dem Eindrucke ſchließen, den beide Perſönlichkeiten mir im Verkehr gemacht hatten. Ich er¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/328>, abgerufen am 21.11.2024.