Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht. des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬wohnte. Zur Charakterisirung dieses Herrn wurde uns jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬ stimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu sagen pflegte: "Ich stimme wie der College Tempelhof", und gelegentlich darauf aufmerksam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬ wesend sei. Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht. des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬wohnte. Zur Charakteriſirung dieſes Herrn wurde uns jungen Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬ ſtimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu ſagen pflegte: „Ich ſtimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf aufmerkſam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬ weſend ſei. Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034" n="7"/><fw place="top" type="header">Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht.<lb/></fw>des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬<lb/> wohnte. Zur Charakteriſirung dieſes Herrn wurde uns jungen<lb/> Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬<lb/> ſtimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu ſagen pflegte:<lb/> „Ich ſtimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf<lb/> aufmerkſam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬<lb/> weſend ſei.</p><lb/> <p>Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige<lb/> Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den<lb/> Sühneverſuch vornehmen ſolle, der für meine Auffaſſung einen<lb/> gewiſſen kirchlichen und ſittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in<lb/> meiner Seelenſtimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius<lb/> in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern<lb/> Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten<lb/> gegen einen jungen Edelmann hegte. Er ſagte mit geringſchätzigem<lb/> Lächeln: „Es iſt verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man ſich<lb/> auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie<lb/> man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer<lb/> zurück. Der Fall lag ſo, daß der Mann geſchieden ſein wollte,<lb/> die Frau nicht, der Mann ſie des Ehebruchs beſchuldigte, die Frau<lb/> mit thränenreichen Declamationen ihre Unſchuld betheuerte und trotz<lb/> aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte.<lb/> Mit ſeinem lispelnden Zungenanſchlage ſprach Prätorius die Frau<lb/> alſo an: „Aber Frau, ſei ſie doch nicht ſo dumm; was hat ſie<lb/> denn davon? Wenn ſie nach Hauſe kommt, ſchlägt ihr der Mann<lb/> die Jacke voll, bis ſie es nicht mehr aushalten kann. Sage ſie<lb/> doch einfach Ja, dann iſt ſie mit dem Säufer kurzer Hand aus¬<lb/> einander.“ Darauf die Frau weinend und ſchreiend: „Ich bin<lb/> eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will<lb/> nicht geſchieden ſein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieſer<lb/> Tonart wandte ſich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da ſie<lb/> nicht Vernunft annehmen will, ſo ſchreiben Sie, Herr Referendarius,“<lb/> und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0034]
Als Auscultator beim Criminal- und Stadtgericht.
des Herrn Prätorius, der jedoch ihren Verhandlungen nicht bei¬
wohnte. Zur Charakteriſirung dieſes Herrn wurde uns jungen
Leuten erzählt, daß er in den Sitzungen, wenn behufs der Ab¬
ſtimmung aus einem leichten Schlummer geweckt, zu ſagen pflegte:
„Ich ſtimme wie der College Tempelhof“, und gelegentlich darauf
aufmerkſam gemacht werden mußte, daß Herr Tempelhof nicht an¬
weſend ſei.
Ich trug ihm einmal meine Verlegenheit vor, daß ich, wenige
Monate über 20 Jahre alt, mit einem aufgeregten Ehepaare den
Sühneverſuch vornehmen ſolle, der für meine Auffaſſung einen
gewiſſen kirchlichen und ſittlichen Nimbus hatte, dem ich mich in
meiner Seelenſtimmung nicht adäquat fühlte. Ich fand Prätorius
in der verdrießlichen Stimmung eines zur Unzeit geweckten, ältern
Herrn, der außerdem die Abneigung mancher alten Bürokraten
gegen einen jungen Edelmann hegte. Er ſagte mit geringſchätzigem
Lächeln: „Es iſt verdrießlich, Herr Referendarius, wenn man ſich
auch nicht ein bischen zu helfen weiß; ich werde Ihnen zeigen, wie
man das macht.“ Ich kehrte mit ihm in das Terminszimmer
zurück. Der Fall lag ſo, daß der Mann geſchieden ſein wollte,
die Frau nicht, der Mann ſie des Ehebruchs beſchuldigte, die Frau
mit thränenreichen Declamationen ihre Unſchuld betheuerte und trotz
aller Mißhandlung von Seiten des Mannes bei ihm bleiben wollte.
Mit ſeinem lispelnden Zungenanſchlage ſprach Prätorius die Frau
alſo an: „Aber Frau, ſei ſie doch nicht ſo dumm; was hat ſie
denn davon? Wenn ſie nach Hauſe kommt, ſchlägt ihr der Mann
die Jacke voll, bis ſie es nicht mehr aushalten kann. Sage ſie
doch einfach Ja, dann iſt ſie mit dem Säufer kurzer Hand aus¬
einander.“ Darauf die Frau weinend und ſchreiend: „Ich bin
eine ehrliche Frau, kann die Schande nicht auf mich nehmen, will
nicht geſchieden ſein.“ Nach mehrfacher Replik und Duplik in dieſer
Tonart wandte ſich Prätorius zu mir mit den Worten: „Da ſie
nicht Vernunft annehmen will, ſo ſchreiben Sie, Herr Referendarius,“
und dictirte mir die Worte, die ich wegen des tiefen Eindrucks,
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