Rechbergs Entlassung. Wandelbarkeit der östreichischen Freundschaft.
V.
Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualistischer Politik war die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieser Linie wir bei Oestreich rechnen konnten. Wenn man sich die Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Ver¬ stimmung über den Mangel an Folgsamkeit der Mittelstaaten mit diesen gebrochen und sich mit uns ohne und gegen sie verbündet hatte, so konnte man die Möglichkeit nicht abweisen, daß ein Mangel an Uebereinstimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenso uner¬ wartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet sagt, spleenetic and rash in einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die persönliche Verstim¬ mung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaisers Nicolaus mehr als über politische Differenzen hingereicht hatte, die östreichische Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergi¬ schen Undankbarkeit (Nous etonnerons l'Europe par notre in¬ gratitude) dauernd festzuhalten, so durfte man sich der Möglichkeit nicht verschließen, daß die sehr viel schwächern Bindemittel zwischen dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weg¬ geschwemmt werden könnten. Der Kaiser Nicolaus hatte zu dem Glauben an die Zuverlässigkeit seiner Beziehungen zu Oestreich viel stärkere Unterlagen als wir zur Zeit des dänischen Krieges. Er hatte dem Kaiser Franz Joseph einen Dienst erwiesen, wie kaum je ein Monarch seinem Nachbarstaat gethan1), und die Vortheile der gegenseitigen Anlehnung im monarchischen Interesse der Revolution gegenüber, der italienischen und ungarischen so gut wie der polnischen von 1846, fielen für Oestreich bei dem Zusammenhalten mit Rußland noch schwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 mög¬
1) S. o. S. 217.
Rechbergs Entlaſſung. Wandelbarkeit der öſtreichiſchen Freundſchaft.
V.
Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualiſtiſcher Politik war die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieſer Linie wir bei Oeſtreich rechnen konnten. Wenn man ſich die Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Ver¬ ſtimmung über den Mangel an Folgſamkeit der Mittelſtaaten mit dieſen gebrochen und ſich mit uns ohne und gegen ſie verbündet hatte, ſo konnte man die Möglichkeit nicht abweiſen, daß ein Mangel an Uebereinſtimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenſo uner¬ wartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet ſagt, spleenetic and rash in einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die perſönliche Verſtim¬ mung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaiſers Nicolaus mehr als über politiſche Differenzen hingereicht hatte, die öſtreichiſche Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergi¬ ſchen Undankbarkeit (Nous étonnerons l'Europe par notre in¬ gratitude) dauernd feſtzuhalten, ſo durfte man ſich der Möglichkeit nicht verſchließen, daß die ſehr viel ſchwächern Bindemittel zwiſchen dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weg¬ geſchwemmt werden könnten. Der Kaiſer Nicolaus hatte zu dem Glauben an die Zuverläſſigkeit ſeiner Beziehungen zu Oeſtreich viel ſtärkere Unterlagen als wir zur Zeit des däniſchen Krieges. Er hatte dem Kaiſer Franz Joſeph einen Dienſt erwieſen, wie kaum je ein Monarch ſeinem Nachbarſtaat gethan1), und die Vortheile der gegenſeitigen Anlehnung im monarchiſchen Intereſſe der Revolution gegenüber, der italieniſchen und ungariſchen ſo gut wie der polniſchen von 1846, fielen für Oeſtreich bei dem Zuſammenhalten mit Rußland noch ſchwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 mög¬
1) S. o. S. 217.
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Rechbergs Entlaſſung. Wandelbarkeit der öſtreichiſchen Freundſchaft.
V.
Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualiſtiſcher Politik war
die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieſer
Linie wir bei Oeſtreich rechnen konnten. Wenn man ſich die
Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Ver¬
ſtimmung über den Mangel an Folgſamkeit der Mittelſtaaten mit
dieſen gebrochen und ſich mit uns ohne und gegen ſie verbündet
hatte, ſo konnte man die Möglichkeit nicht abweiſen, daß ein Mangel
an Uebereinſtimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenſo uner¬
wartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel
an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen
gehabt, aber er war, wie Hamlet ſagt, spleenetic and rash in
einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die perſönliche Verſtim¬
mung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaiſers
Nicolaus mehr als über politiſche Differenzen hingereicht hatte, die
öſtreichiſche Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergi¬
ſchen Undankbarkeit (Nous étonnerons l'Europe par notre in¬
gratitude) dauernd feſtzuhalten, ſo durfte man ſich der Möglichkeit
nicht verſchließen, daß die ſehr viel ſchwächern Bindemittel zwiſchen
dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weg¬
geſchwemmt werden könnten. Der Kaiſer Nicolaus hatte zu dem
Glauben an die Zuverläſſigkeit ſeiner Beziehungen zu Oeſtreich
viel ſtärkere Unterlagen als wir zur Zeit des däniſchen Krieges.
Er hatte dem Kaiſer Franz Joſeph einen Dienſt erwieſen, wie kaum
je ein Monarch ſeinem Nachbarſtaat gethan 1), und die Vortheile der
gegenſeitigen Anlehnung im monarchiſchen Intereſſe der Revolution
gegenüber, der italieniſchen und ungariſchen ſo gut wie der polniſchen
von 1846, fielen für Oeſtreich bei dem Zuſammenhalten mit Rußland
noch ſchwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 mög¬
1)
S. o. S. 217.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/376>, abgerufen am 25.11.2024.
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