Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.
Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürstentag. lichen Bunde. Der Kaiser Franz Joseph ist eine ehrliche Natur, aberdas östreichisch-ungarische Staatsschiff ist von so eigenthümlicher Zusammensetzung, daß seine Schwankungen, denen der Monarch seine Haltung an Bord anbequemen muß, sich kaum im Voraus berechnen lassen. Die centrifugalen Einflüsse der einzelnen Nationali¬ täten, das Ineinandergreifen der vitalen Interessen, die Oest¬ reich nach der deutschen, der italienischen, der orientalischen und der polnischen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenk¬ samkeit des ungarischen Nationalgeistes und vor Allem die Un¬ berechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüsse die politischen Entschließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenossen Oestreichs die Pflicht auf, vorsichtig zu sein und die Interessen der eignen Unterthanen nicht ausschließlich von der östreichischen Politik ab¬ hängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, ist nach der Zusammensetzung der Habsburgischen Monarchie und nach den bewegenden Kräften innerhalb derselben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichschen Periode gar¬ nicht, und nach derselben nicht durchweg in Uebereinstimmung. Sind aber die Rückwirkungen der wechselnden Ereignisse und Situa¬ tionen auf die Entschließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechenbar, so ist es auch für jeden Bundesgenossen Oestreichs geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen sich nöthigen Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht absolut zu ver¬ zichten. Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag. lichen Bunde. Der Kaiſer Franz Joſeph iſt eine ehrliche Natur, aberdas öſtreichiſch-ungariſche Staatsſchiff iſt von ſo eigenthümlicher Zuſammenſetzung, daß ſeine Schwankungen, denen der Monarch ſeine Haltung an Bord anbequemen muß, ſich kaum im Voraus berechnen laſſen. Die centrifugalen Einflüſſe der einzelnen Nationali¬ täten, das Ineinandergreifen der vitalen Intereſſen, die Oeſt¬ reich nach der deutſchen, der italieniſchen, der orientaliſchen und der polniſchen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenk¬ ſamkeit des ungariſchen Nationalgeiſtes und vor Allem die Un¬ berechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüſſe die politiſchen Entſchließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenoſſen Oeſtreichs die Pflicht auf, vorſichtig zu ſein und die Intereſſen der eignen Unterthanen nicht ausſchließlich von der öſtreichiſchen Politik ab¬ hängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, iſt nach der Zuſammenſetzung der Habsburgiſchen Monarchie und nach den bewegenden Kräften innerhalb derſelben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichſchen Periode gar¬ nicht, und nach derſelben nicht durchweg in Uebereinſtimmung. Sind aber die Rückwirkungen der wechſelnden Ereigniſſe und Situa¬ tionen auf die Entſchließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechenbar, ſo iſt es auch für jeden Bundesgenoſſen Oeſtreichs geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen ſich nöthigen Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht abſolut zu ver¬ zichten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0377" n="350"/><fw place="top" type="header">Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag.<lb/></fw> lichen Bunde. Der Kaiſer Franz Joſeph iſt eine ehrliche Natur, aber<lb/> das öſtreichiſch-ungariſche Staatsſchiff iſt von ſo eigenthümlicher<lb/> Zuſammenſetzung, daß ſeine Schwankungen, denen der Monarch<lb/> ſeine Haltung an Bord anbequemen muß, ſich kaum im Voraus<lb/> berechnen laſſen. Die centrifugalen Einflüſſe der einzelnen Nationali¬<lb/> täten, das Ineinandergreifen der vitalen Intereſſen, die Oeſt¬<lb/> reich nach der deutſchen, der italieniſchen, der orientaliſchen und<lb/> der polniſchen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenk¬<lb/> ſamkeit des ungariſchen Nationalgeiſtes und vor Allem die Un¬<lb/> berechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüſſe die politiſchen<lb/> Entſchließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenoſſen Oeſtreichs<lb/> die Pflicht auf, vorſichtig zu ſein und die Intereſſen der eignen<lb/> Unterthanen nicht ausſchließlich von der öſtreichiſchen Politik ab¬<lb/> hängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter<lb/> dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, iſt nach<lb/> der Zuſammenſetzung der Habsburgiſchen Monarchie und nach<lb/> den bewegenden Kräften innerhalb derſelben nicht haltbar, mit der<lb/> Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichſchen Periode gar¬<lb/> nicht, und nach derſelben nicht durchweg in Uebereinſtimmung.<lb/> Sind aber die Rückwirkungen der wechſelnden Ereigniſſe und Situa¬<lb/> tionen auf die Entſchließungen des Wiener Cabinets für die Dauer<lb/> unberechenbar, ſo iſt es auch für jeden Bundesgenoſſen Oeſtreichs<lb/> geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen ſich nöthigen<lb/> Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht abſolut zu ver¬<lb/> zichten.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [350/0377]
Siebzehntes Kapitel: Der Frankfurter Fürſtentag.
lichen Bunde. Der Kaiſer Franz Joſeph iſt eine ehrliche Natur, aber
das öſtreichiſch-ungariſche Staatsſchiff iſt von ſo eigenthümlicher
Zuſammenſetzung, daß ſeine Schwankungen, denen der Monarch
ſeine Haltung an Bord anbequemen muß, ſich kaum im Voraus
berechnen laſſen. Die centrifugalen Einflüſſe der einzelnen Nationali¬
täten, das Ineinandergreifen der vitalen Intereſſen, die Oeſt¬
reich nach der deutſchen, der italieniſchen, der orientaliſchen und
der polniſchen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenk¬
ſamkeit des ungariſchen Nationalgeiſtes und vor Allem die Un¬
berechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüſſe die politiſchen
Entſchließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenoſſen Oeſtreichs
die Pflicht auf, vorſichtig zu ſein und die Intereſſen der eignen
Unterthanen nicht ausſchließlich von der öſtreichiſchen Politik ab¬
hängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter
dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, iſt nach
der Zuſammenſetzung der Habsburgiſchen Monarchie und nach
den bewegenden Kräften innerhalb derſelben nicht haltbar, mit der
Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichſchen Periode gar¬
nicht, und nach derſelben nicht durchweg in Uebereinſtimmung.
Sind aber die Rückwirkungen der wechſelnden Ereigniſſe und Situa¬
tionen auf die Entſchließungen des Wiener Cabinets für die Dauer
unberechenbar, ſo iſt es auch für jeden Bundesgenoſſen Oeſtreichs
geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen ſich nöthigen
Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht abſolut zu ver¬
zichten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/377 |
| Zitationshilfe: | Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/377>, abgerufen am 25.11.2024. |
